Was wusste die Finma über die Benko-Kredite? Laut Insidern begleitete die Bankaufsicht Julius Bär eng. Dennoch kam es zum Debakel.
«Philipp war immer schon ein guter Typ. Cool und sehr selbstbewusst, doch umgänglich und jemand, an den man sich persönlich wenden konnte. Zudem ist er nicht nur brutal schnell im Reden, sondern auch im Denken», erinnert sich ein früherer Weggefährte an den nun zurückgetretenen Chef der Bank Julius Bär. Wegen der komplett schiefgelaufenen Vergabe strukturierter Bankkredite an den österreichischen Milliardär René Benko und dessen zusammengebrochenes Immobilienimperium Signa Holding gab Philipp Rickenbacher diesen Donnerstag seinen sofortigen Rücktritt bekannt.
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass damit genau der Mann gehen muss, der vor fünf Jahren als Hoffnungsträger angetreten war, die von Compliance-Skandalen durchgeschüttelte Bank in ruhigere und vor allem weniger riskante Gewässer zu führen.
Rickenbacher schien der richtige Mann für den Job. Er gilt als sehr vorsichtig in Bezug auf Risiken. Auch verfügte er als studierter ETH-Biotechnologe über einen deutlich grösseren akademischen Rucksack als andere Banker. Bankintern hatte er früher den Ruf eines «Techies». «Philipp war ein Bastler, der zu Hause auch einmal den Computer auseinanderbaute», so der Weggefährte. Vor dem CEO-Job leitete Rickenbacher unter anderem die Abteilung für strukturierte Produkte. Damit versteht er auch die komplexesten Bankinstrumente.
Zu selbstsicher
Vielleicht spielte das alles auch eine Rolle dabei, dass sich Rickenbacher zu lange zu sicher war, die Kreditvergaben an Benko im Griff zu haben. Tatsächlich ist dieses Geschäft ja auch bei vielen Vermögensverwaltern Alltag. Allerdings werden den sehr betuchten Kunden vor allem Lombard- oder auch Hypothekarkredite gewährt. Jene sind mit werthaltigen Sicherheiten unterlegt.
Das Private-Debt-Geschäft, aus welchem die Benko-Kredite vergeben wurden, ist aber eine ganz andere Kategorie. Privatbanken vergeben einen solchen strukturierten Kredit nur an schwerreiche Privatkunden und deren Gesellschaften. Diese sind mit schlechteren Sicherheiten unterlegt, bringen aber höhere Zinsen. Als Rickenbacher 2019 CEO von Bär wurde, war Benko wohl bereits Kunde. Wie viel Geld er bei Bär hatte, ist nicht bekannt, ebenso wenig, ob ihn Rickenbacher jemals persönlich traf. Das Treffen mit wichtigen Kunden gehört allerdings zum Jobprofil eines Bankchefs. Es ist möglich, dass sich Rickenbacher von dem in Deutschland sehr bekannten Benko und dessen Glamour persönlich einlullen liess.
Zu Beginn lief es gut, so wurden zwei Private-Debt-Kredite an Benko vollständig zurückbezahlt, Bär verdiente dabei kräftig Geld. Ab 2022 wurden dann aber bis irgendwann im Jahr 2023 drei weitere folgenschwere Kredite vergeben. Über die Details ist wenig bekannt, kolportiert wird, dass Bär auch Aktien einer Benko-Firma als Sicherheit für einen Kredit akzeptierte. Das ist hochriskant und für viele Banken ein Tabu. Für Bär bedeuteten die Kredite aber auch bankintern attraktive Anreize; Kredite an eigene Kunden werden teilweise als Netto-Neugeld gezählt, das ist relevant für die Boni der Private Banker.
Laut Bank-Insidern benötigt das Private-Debt-Geschäft allerdings viel Fachwissen beispielsweise über den internationalen Immobilienmarkt. Es sei nicht von ungefähr, dass primär die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse solche Kredite vergeben. «Ab und zu gewähren auch grössere internationale Vermögensverwalter, grosse Kantonalbanken und in Einzelfällen auch einmal kleinere Banken ausgesuchten Privatkunden einen solchen Kredit, aber das dürfte die Ausnahme sein», so ein Beobachter zur Lage in der Schweiz.
Kartenhaus fällt
Bär baute dieses Geschäft in den letzten Jahren auf. Die Risiken des verschachtelten Systems und des hochriskanten Geschäftsmodell Benkos, das auf Schulden, überhöhten Mieten der eigenen Warenhäuser und Tiefzinsen aufbaute, wurden aber falsch eingestuft. Als die Zinsen stiegen, brach das Kartenhaus zusammen.
Wo war in diesen Jahren die Bankenaufsicht? Als nicht systemrelevante Bank gehört Julius Bär zur sogenannten Gruppe 3. Ein Ausfall einer solchen wäre zwar ein «bedeutendes Risiko» für die Stabilität des Finanzsystems, aber kein «hohes» wie für Banken der Gruppe 2 (ZKB, Raiffeisen), beziehungsweise «sehr hohes» in der Gruppe 1 (UBS). Da die Aufsicht risikobasiert ist, wäre es möglich, dass die Kredite an Benko zuerst unter dem Radar der Finanzmarktaufsicht (Finma) blieben. Erst wenn eine Kreditvergabe an einen Kunden die Schwelle von 10 Prozent des Eigenkapitals überschreitet, gilt er als Klumpenrisiko, das zwingend mit dem Regulator besprochen werden muss. Bei der Bank Bär mit einem Eigenkapital von 6 Milliarden Franken wäre diese Schwelle erst mit der Vergabe der dritten Tranche überschritten worden.
Befragte erklären allerdings, dass die Finma die Bank eng begleitete. Da Julius Bär die grösste Bank der Gruppe 3 ist, kümmert sich ein Finma-Spezialist fast ausschliesslich um sie. Das ist bei den anderen Banken dieser Gruppe nicht so. Zu hören ist weiter, dass die Finma trotz den Turbulenzen um die Credit Suisse genug Kapazitäten für Julius Bär hatte. Befragte gehen davon aus, dass die Finma zeitnah über die heiklen Kredite informiert war.
In der Folge habe der Finma-Zuständige genau wissen wollen, was für Kredite an wen vergeben wurden, was die Sicherheiten waren und ob bei der Vergabe alle internen Prozesse eingehalten wurden, so der Insider: «Die Finma prüft nicht jedes grössere Kreditengagement», doch sei der Anspruch, dass sie einen solchen Kredit sieht und so lange mit der Bank diskutiert, bis deren Antworten zufriedenstellend sind.Das waren sie bei Bär nicht.
Angesichts steigender Zinsen und immer lauterer Marktwarnungen zum Benko-Imperium diskutierten Finma und Bär immer mehr, heisst es. Den geschäftlichen Entscheid fällte dann aber die Bank, denn der Regulator kann nicht vorschreiben, wem eine Bank welchen Kredit geben soll. Der Insider geht davon aus, dass dennoch mehrere Eskalationsstufen gezündet wurden, die Finma also Vor-Ort-Kontrollen durchführte und für den Hochrisikokredit einen Zuschlag beim Eigenkapital verhängte. Solche Pillar-2-Massnahmen werden nicht kommuniziert, weder Bär noch die Finma nahmen Stellung. Irgendwann war es dann für Bär zu spät, sich aus dem immer grösser werdenden Benko-Strudel freizuschwimmen.
Per Ende Oktober hatte das Kredithandbuch von Julius Bär für Private Debt 1,5 Milliarden Franken betragen, Benko war die grösste Einzelposition. Gemessen am gesamten Kreditbuch von 41 Milliarden betrugen seine Positionen gerade einmal 1,7 Prozent. Auch kann die Bank den nun eingetragenen Totalabschreiber tragen. Zudem war die Bankführung bis ganz nach oben informiert, ebenso die Finma. Es wäre nicht gänzlich unverständlich, wenn die oberste Führung das Thema zuerst hätte aussitzen wollen, wie mehrere Medien meldeten.
«Ich denke aber, dass die Finma klar erklärte, dass jemand die Verantwortung übernehmen müsse. Und indirekt sanften Druck ausübte, sonst selbst mithilfe eines Enforcement-Verfahrens zu untersuchen», sagt der Bankenexperte. Sicher ist, dass die Entscheidung über personelle Konsequenzen vollumfänglich dem Bär-Verwaltungsrat überlassen wurde.
Julius Bär gab zudem bekannt, die betroffenen Kredite in Höhe von 586 Mio. Franken vollständig abzuschreiben. Damit ist Bär bis heute die mit Abstand am stärksten von der Signa-Pleite betroffene Schweizer Bank. Als Folge fiel der Konzerngewinn für 2023 gegenüber dem Vorjahr um mehr als die Hälfte auf noch 454 Millionen Franken.
Für diesen Einbruch übernimmt korrekterweise der CEO den Hut. Für den strategischen Fehlentscheid steht Präsident Romeo Lacher in der Pflicht. Beobachter rechnen mit seiner Demission spätestens an der GV 2025. Rickenbacher bleibt ein kleiner Trost. Jetzt hat er wieder Zeit zum Skifahren, einem Hobby, dem er früher ab und zu im Skiklub von Julius Bär frönte.
Die Mär von der grundsoliden Familienbank
Julius Bär ist längst nicht mehr das altehrwürdige Traditionshaus der Vergangenheit
Stolpert die Bank Julius Bär über ein Fehlverhalten oder einen Fehlentscheid, äussern Kommentatoren gerne Erstaunen darüber, dass es ausgerechnet bei der altehrwürdigen Privatbank dazu gekommen ist. Gerne wird auch an deren Wurzeln als familiengeführtes Traditionsunternehmen erinnert. Doch ist dieses Bild angejahrt – und wird der Bank seit zwei Dekaden auch nicht mehr gerecht.
Seit 2005 hat die Familie Bär keine Stimmenmehrheit mehr an der kotierten Bank. Die zudem längst keine Privatbank mehr ist. Ganz korrekt darf dieser Begriff nämlich nur verwendet werden, wenn die Besitzer mit ihrem Privatvermögen haften. Nach der Übernahme von drei Privatbanken der UBS und des Asset-Managers GAM ab 2005 kam es beim Vermögensverwalter im Gegenteil zum Einzug einer neuen Manager- und Grossbankenkultur. Alex Widmer, Johannes de Gier, David Solo und der spätere Bär-Chef Boris Collardi veränderten die Bank nachhaltig. Wachstumsziele, Anreizsysteme, Saläre, Streitkultur und Egos – alles wurde einige Nummern grösser und aggressiver. Nicht immer zum Vorteil der Bank.
In der Folge war der Vermögensverwalter gleich wie auch andere Schweizer Banken auch immer wieder in grössere und kleinere Skandale verwickelt. Zu massgeblichen Änderungen bankintern führten die eklatanten Mängel bei Compliance und Risiko in den Fällen Fifa, Petrobras und Venezuela. Heute muss die Bank ihre Vergabe von riskanten Krediten an den Privatkunden René Benko aufarbeiten. Die Bank steigt gleich ganz aus diesem Geschäft aus. Und näherst sich so wieder stärker der selbst gewählten Vorgabe, der einzig wahre Pure Player am Markt zu sein, der sich auf die risikoarme Betreuung von sehr vermögenden Privatkunden beschränkt.
Möglicherweise ist der Blick einiger Beobachter von Nostalgie geprägt. Denn gegen aussen tritt die Bank heute international auf. Die laufende Imagekampagne auf ein diverses vermögendes Publikum zugeschnitten, ohne viel Referenz auf die Schweiz. Das war früher anders, die letzte breiter bekannte Werbekampagne mit dem Skispringer Simon Ammann setzte noch stark auf Bodenständigkeit und die tiefe Verbundenheit mit der Schweiz.