Der Minergie-Mitbegründer Ruedi Kriesi ist eine treibende Kraft hinter dem Ausbau der Solarenergie in den Bergen. Er musste miterleben, wie Gemeinden seine Projekte ablehnten und Umweltverbände mit reisserischen Flyern Angst verbreiteten. Doch aufgeben wolle er nicht, sagt er im Interview – ganz im Gegenteil.
Sie sind Mitgründer und Präsident der Interessengemeinschaft (IG) Solalpine, die seit gut zwei Jahren den Bau von grossen Solaranlagen in den Bergen vorantreibt. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ruedi Kriesi: Ich war schon seit langem der Meinung, dass es besser ist, in den Alpen Photovoltaikanlagen zu bauen, als jedes Hausdach mit Solarpanels zu belegen. Vor zwölf Jahren machte ich erste Skizzen zum möglichen Flächenbedarf. Dann liess ich das Thema ruhen, bis ich vor einigen Jahren merkte, dass sich auch verschiedene Stromversorger mit solchen Projekten beschäftigen. Schliesslich gründete ich Ende 2021 mit einer Handvoll Fachleuten die IG Solalpine, um den Bau von solchen Anlagen in den Alpen zu fördern.
Ihre Organisation hat es geschafft, das Thema der Solarenergie in den Alpen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Sie haben aber nur gerade fünf Mitglieder. Warum?
Weil wir neutral sein und auf keinen Fall als Vasallen der Elektrizitätswerke wahrgenommen werden wollen. Unser Interesse ist sehr breit: Wir wollen die historische Chance nutzen, welche der Bau von Solaranlagen in den Alpen bietet. Sie werden uns dabei helfen, uns von einer über 200 Jahre gewachsenen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen mit all ihren Problemen zu lösen. Die Sicht der Elektrizitätswerke ist enger. Sie sind als Investoren stärker an Umsatz und Rendite interessiert.
Was macht Ihre IG genau?
Wir versuchen, bei Behörden, in der Politik und in der Öffentlichkeit die Akzeptanz und die Planungsbedingungen für alpine Solaranlagen zu verbessern. Wir entwickeln aber auch Projekte. Wir suchen zuerst nach Standorten und reden dann mit den Gemeinden und Grundeigentümern. Wir erklären ihnen, was ein solches Projekt für sie bedeuten würde. Dann fragen wir sie, ob wir eine Machbarkeitsstudie erstellen dürfen. Diese bieten wir danach den dreizehn Stromversorgern an, die unsere Partner sind. Manchmal kommen auch Elektrizitätswerke auf uns zu und bitten uns, für sie die Entwicklung an einem bestimmten Standort zu übernehmen.
Sobald die Projekte zur Abstimmung kommen, sind es also nicht mehr Vorhaben der IG Solalpine, sondern der Stromversorger?
Genau. Und wir mussten merken, dass das ein Problem ist. Eines unserer Ziele war, dass wir als neutrale Gruppe mit den Gemeinden verhandeln. Bei den Abstimmungen in Ilanz und Surses brachten die Projektgegner plötzlich das Argument auf, dass die bösen Elektrizitätswerke aus dem Unterland den Berggemeinden das Land wegnehmen wollen. Genau solche Diskussionen wollten wir vermeiden. Unsere Organisation hat ja nichts von den Projekten.
Ruedi Kriesi
Der ETH-Ingenieur wurde bekannt als Mitbegründer der Marke Minergie. Er war von 1985 bis 2000 Leiter der Energiefachstelle des Kantons Zürich. Von 2000 bis 2010 arbeitete er als Leiter Technik der Zehnder Group, wo er zuständig war für die Entwicklung von Wohnungslüftungen. Kriesi war bis 2015 Vizepräsident und Strategieleiter des Vereins Minergie. Ab 2020 baute er die Interessengemeinschaft (IG) Solalpine auf, wo er heute Geschäftsleiter und Präsident ist.
Doch. Sie erhalten Geld für die Machbarkeitsstudien.
Ja, aber an der Realisierung der Projekte verdienen wir nichts. Zudem fliesst jeder Franken umgehend in neue Projekte. Bei uns bleibt nichts hängen.
In den letzten Monaten dominierten abgelehnte Projekte für alpine Solaranlagen die Schlagzeilen. Was machten die Elektrizitätswerke falsch?
Viele Elektrizitätswerke glauben, sie kennen die Berggemeinden genau, weil sie dort ja teilweise schon seit über hundert Jahren aktiv sind. Doch leider stellte sich das als falsch heraus. Bei der Kommunikation haben sie noch Luft nach oben. Sie haben es zum Beispiel nicht geschafft, der lokalen Bevölkerung zu erklären, dass wir eine Antwort auf einen absehbaren Versorgungsengpass erarbeiten, der massive Auswirkungen auf die ganze Schweiz hätte – und damit auch auf die Bewohner der Berggebiete.
Die Politik förderte den Bau von alpinen Solaranlagen mit einer Gesetzesvorlage, Solarexpress genannt. Dieser sieht einen sehr strengen Zeitplan vor. Ist dieser zu ambitioniert?
Der Solarexpress war eine gute Sache, weil er einen Run ausgelöst hat. Doch heute zeigen sich auch Nachteile. Die Zeit, um die lokale Bevölkerung emotional abzuholen, war sehr knapp. Im Rückblick war das ein wichtiger Grund dafür, weshalb gewisse Projekte scheiterten.
Ist Ihre Vision der grossflächigen Stromproduktion in den Alpen gescheitert?
Wir mussten Rückschläge hinnehmen, und ich hatte mir den Weg nicht so hürdenreich vorgestellt. Aber wir sehen unser Projekt als Erfolg. Wir führen eine Liste mit alpinen Solarprojekten. Uns sind 54 Projekte bekannt, die von uns oder anderen Initianten stammen. 19 davon wurden angenommen, 13 wurden abgelehnt, bei 11 steht die Abstimmung an.
Der Solarexpress will bis 2025 ungefähr 2 Terawattstunden Stromproduktion auf den Weg bringen. Wo stehen wir?
Gemäss unseren Berechnungen werden wir ungefähr 0,6 Terawattstunden schaffen. Das sind 30 Prozent der im Solarexpress vorgesehenen Menge. Für uns ist aber etwas anderes wichtig: Wir werden mehrere Anlagen bauen können. Das erlaubt uns, Erfahrungen zu sammeln. Und das ist für die Entwicklung der Technologie entscheidend. Wenn wir mehr Erfahrung haben, werden auch gewisse der jetzt abgelehnten Projekte wieder eine Chance erhalten.
Welche Rolle spielen lokale und nationale Umweltschutzorganisationen?
Man muss unterscheiden: Landschaftsschützer stehen unseren Projekten skeptischer gegenüber als Organisationen, denen es um das Wohl von Tieren und Pflanzen geht. Insgesamt muss ich aber sagen: Die Umweltschützer haben uns auch enttäuscht.
Wo zum Beispiel?
In Ilanz und Surses verteilten Pro Natura, Birdlife und die Stiftung Landschaftsschutz einen reisserischen Flyer. Um Angst zu verbreiten, zeigte dieser eine gigantische Anlage, die gar nie so ausgesehen hätte. Und er verbreitete Argumente, die leider Unsinn sind.
Zum Beispiel?
Die Umweltschützer behaupten, dass Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern genügen, um den künftig fehlenden Winterstrom zu ersetzen. Doch das wird nicht reichen. Solaranlagen im Mittelland liefern zwischen November und Februar sehr wenig, das Loch im Winter wird jedoch riesig sein. Ausserdem wird man viele Gebäude nicht mit Solarpanels bedecken können, weil die Besitzer das nicht wollen. Es wird darum beides brauchen.
Haben Sie die Umweltorganisationen darauf angesprochen?
Ja. Sie beschwichtigen und sagen, ihre Argumente richteten sich nur gegen einzelne Vorhaben. Dem muss ich widersprechen: Diese Argumente sind ein Frontalangriff auf die alpinen Solarprojekte. Und ich kann die Naturschützer schlicht nicht verstehen. Vor zwei Jahren musste der Bund im Eiltempo – und laut dem Bundesverwaltungsgericht illegal – in Birr ein Öl- und Gaskraftwerk bauen, um Versorgungsengpässe im Winter zu verhindern. Mittelfristig will er Öl- und Gaskraftwerke mit einer Leistung errichten, die jener des Kernkraftwerks Gösgen entspricht. Als Notkraftwerke sind diese völlig vertretbar. Ohne alpine Photovoltaik oder Windanlagen werden sie aber in einigen Jahren jeden Winter während vieler Stunden laufen müssen. Wie sollen wir da Klimaneutralität erreichen?
Ein weiterer Vorwurf der Umweltorganisationen lautet, dass die Anlagen der Biodiversität schaden.
Die Schweiz hat tatsächlich ein enormes Problem bei der Biodiversität. In Graubünden ist die Situation aber nicht schlecht, wie ein kürzlich publizierter Bericht der Kantonsregierung zeigt. Die grosse Ausnahme sind Pflanzen und Tiere an und in Gewässern. Und diese sind von unseren Anlagen ja nicht betroffen.
Trotzdem greifen Sie in die Landschaft ein.
Das ist aus Sicht der Biodiversität aber nicht entscheidend. Wir wissen von grossen Solaranlagen im Unterland, dass sie die Biodiversität fördern. Es gibt Experten, die davon ausgehen, dass das auch in den Alpen der Fall sein wird. Zum Beispiel, weil die Solarpanels Schatten spenden. Genau weiss es aber niemand. Umso wichtiger ist es, Erfahrungen zu sammeln.
Es gibt nicht nur Einwände der Umweltschützer. Eine Kritik an alpinen Solaranlagen lautet, dass die Standortgemeinden zu wenig profitieren.
Die Wasserkraft in den Alpen produziert günstig. Bei der Alpen-Photovoltaik ist das anders: Dieser Strom ist teuer. Der Bau lässt sich nur rechtfertigen, weil wir in Europa im Winter ziemlich sicher in einen Stromengpass laufen. Darum ist das Risiko für die Investoren höher und die Entschädigung aus unserer Sicht angemessen.
Wie viel Geld erhalten die Gemeinden?
Wir rechnen heute mit Produktionskosten von zwischen 10 und 25 Rappen pro Kilowattstunde. Derzeit liegt der Marktpreis für Strom in Europa übrigens bei nur rund 8 Rappen, was das Risiko illustriert. Die Gemeinden erhalten rund 1 Rappen. Das ist viel in einer Situation, in der niemand wirklich weiss, ob die alpine Solarenergie je rentieren wird.
Was verdienen die Gemeinden denn sonst mit der Nutzung der Gebiete, in denen die Solaranlagen entstehen sollen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Uns liegen Zahlen einer Gemeinde vor über die Nutzung ihrer Alpen. Durch das Solarprojekt würde sie eine Entschädigung erhalten, die um den Faktor einhundert höher liegt. Das ist eine grosse Chance für die Gemeinden.
Warum?
Weil die Alpweiden leider wirtschaftlich im Niedergang sind. Im letzten Jahrhundert wurden 1300 Quadratkilometer Alpweiden aufgegeben. 5400 Quadratkilometer sind geblieben. Wollen wir mit alpinen Solaranlagen die von uns angestrebte Leistung von 20 Gigawatt realisieren, benötigen wir nur gerade 300 Quadratkilometer Fläche. Das zeigt: Wir pflastern die Alpen mitnichten mit Solarpanels zu.
Besteht die Gefahr, dass der Solarexpress nach 2025 zum Stillstand kommt?
Nicht, wenn die Bevölkerung am 9. Juni Ja sagt zum Gesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Dieses unterstützen wir stark. Es sieht vor, dass die Kantone Gebiete ausscheiden, die geeignet sind für die Produktion von Wind- und Solarenergie. Weil sie diese zusammen mit den Gemeinden festlegen, ist die Chance gross, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung besser wird. Dazu kommt: Ab einer gewissen Grösse erlangen Projekte neu nationale Bedeutung. Für uns bedeutet das vereinfachte und schnellere Bewilligungsverfahren.
Gäbe es keine Alternative?
Das kann mir niemand sagen. Windenergie ist ebenfalls sehr geeignet, aber wohl noch umstrittener. Und sonst bleibt eigentlich nur noch der Import von grossen Strommengen. Die Schweiz wird immer auf den Stromaustausch angewiesen sein, aber die Mengen, die wir ohne Zubau von Produktionskapazitäten in der Schweiz werden importieren müssen, sind beängstigend.
Was ist mit der Atomkraft?
Aus technischer Sicht kann sie eine Lösung sein. Aber ob der Neubau von Kernkraftwerken Akzeptanz in der Bevölkerung fände, weiss heute niemand. Wir brauchen jedoch Lösungen für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Bei der alpinen Sonnenenergie reden wir von Dutzenden von konkreten Projekten. Bei der Kernkraft ist man gerade erst dabei, über eine Aufhebung des Neubauverbots zu diskutieren.
Sie fahren Ihr Engagement für die alpine Solarenergie also allen Rückschlägen zum Trotz nicht zurück?
Auf gar keinen Fall.
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