Der Bund will den Filmemachern vorschreiben, welche Art von Filmen sie produzieren sollen. Und er macht immer mehr Vorgaben zu Inklusion, Diversität und Umweltschutz. Ein grosser Einschnitt in die Kunstfreiheit.
Wie jedes Jahr traf sich die Schweizer Filmbranche in den letzten zwei Wochen am Festival von Locarno. 28 einheimische Filme liefen im Programm, ein guter Wert. Auch das wirtschaftliche Umfeld sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus: Letztes Jahr lag der Kino-Marktanteil des Schweizer Films mit fast 10 Prozent so hoch wie schon lange nicht mehr. Und durch die neu eingeführte Investitionspflicht von 4 Prozent für Streaming-Plattformen («Lex Netflix») ist in den nächsten Jahren im kommerziellen Bereich eine quantitative Steigerung der Film- und Serienproduktion zu erwarten.
Das Bundesamt für Kultur (BAK) lädt in Locarno die Branche immer zu einer Veranstaltung ein. Kulturministerin Elisabeth Baume-Schneider hielt eine Rede vor den versammelten Filmschaffenden. Titel: Kulturwirtschaft an der Schnittstelle von Kreativität, Markt und Politik.
Die Plattitüden über die Wichtigkeit der Kulturförderung wurden zuerst freundlich aufgenommen. Doch dann nahm Baume-Schneider Bezug auf eine Studie einer Consulting-Firma aus Berlin, die vom BAK beauftragt worden war, den Stand der Schweizerischen Filmbranche zu erörtern. Die Resultate sollten die Grundlage bilden für die neue Filmförderung (Fifö). Schon die Ankündigung einer solchen Studie hatte letztes Jahr zu Unmut in der Branche geführt. Die Bedenken waren berechtigt, das Ergebnis ist enttäuschend.
Wie eine sowjetische Parteiveranstaltung
Die wichtigste Empfehlung aus der knapp 200 000 Franken teuren Studie: Der Schweizer Film müsse mittels Inlandpromotion sichtbarer gemacht werden. Dieser Ratschlag verwunderte nicht bei einer Marketing-Firma. Und viele der simplen Empfehlungen («zu viele Filme», mehr «marktorientierte Filme» usw.) sind weit weg von der Realität der Schweizer Kinolandschaft, welche durch Diversität geprägt ist. Doch wie soll das eine Consulting-Firma aus Berlin wissen, die eine Studienleiterin einsetzt, die weder Französisch noch Italienisch spricht?
Worüber sich die Studie und die Branche einig sind: Wichtiges Ziel ist die Einführung einer wirtschaftlichen Standortförderung. Wie zum Beispiel in Österreich, wo jährlich 80 Millionen Euro zur Verfügung stehen, um amerikanische und deutsche Filmproduktionen anzulocken, die dann bei den Dreharbeiten ein Vielfaches der Summe in der lokalen Ökonomie umsetzen.
Doch über den Elefanten im Raum wurde an der Veranstaltung mit Baume-Schneider nicht gesprochen, auch nicht an der Podiumsdiskussion danach: dass das Geld immer weniger wird, die Auflagen an die Filmemacher aber immer mehr steigen. Die Aufblähung der Bürokratie ist eklatant: Trotz Sparmassnahmen schafft die staatliche Filmförderung ständig neue Stellen für Aufgaben, die durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation von der Branche übernommen werden könnten. Sinnbildlich dafür sassen auf dem Podium zur neuen Politik des BAK nur zwei Filmschaffende neben vier Leuten aus Politik und Administration. Der ganze Anlass erinnerte ältere Filmschaffende an eine sowjetische Parteiveranstaltung.
Auch über das grundlegende Problem der Filmbranche wurde nicht gesprochen: Die stagnierenden Mittel der staatlichen Filmförderung reichen schon lange nicht mehr aus, um den Nachwuchs effizient zu fördern und die Kontinuität der anerkannten Filmemacher zu garantieren.
Mittelfristig ist dadurch die bisher starke Präsenz von Schweizer Filmen an grossen internationalen Filmfestivals gefährdet. Diese Filme hatten bisher das kulturelle Gesicht der Schweiz im Ausland geprägt. Eine solche Aufmerksamkeit und Wertschätzung erreicht man nicht durch erfolgreiche Schweizer Komödien und Kinderfilme, sondern durch anspruchsvolle Art-House-Filme, welche nur durch die freie Kreativität der Filmschaffenden zu haben sind.
Doch nun will das BAK den Filmemachern vorschreiben, welche Art von Filmen sie produzieren sollen. So wünscht sich das BAK unter anderem mehr Kinder- und Genrefilme. Solche Vorgaben sind ein dramatischer Einschnitt in die unternehmerischen und kulturellen Freiheiten. Dabei handelt es sich um eine Industrie, deren Erfolg auf der unternehmerischen und künstlerischen Freiheit der Filmschaffenden gründet. Das funktioniert nicht mit einem Fünfjahresplan, der vom Kulturministerium kontrolliert wird.
Die Kosten steigen, die Fördermittel stagnieren
In der Filmbranche hat niemand etwas dagegen, neben den vergleichsweise kostengünstigen Art-House-Filmen wie von der Filmförderung gewünscht auch teure inländische Genre-Filme zu produzieren. Das geht aber nicht ohne Erhöhung der selektiven Förderung. Doch diese wurde seit 16 Jahren nicht mehr erhöht, während die Produktionskosten rasant gestiegen sind. Kostentreibend wirkten auch die vielen neuen Vorgaben zu Inklusion, Diversität, umweltfreundlicher Produktion und so fort, die in den letzten Jahren dazugekommen sind. Für alles gibt es mittlerweile Vorschriften.
Auch die Teuerung von etwa fünf Prozent wurde in dieser Zeit nicht angeglichen. Die in kreativen und technischen Filmberufen Tätigen drängen verständlicherweise auf eine Erhöhung ihrer Saläre, um die Teuerung auszugleichen. Für die Produzentinnen und Produzenten ist dies aber nicht finanzierbar. Und so werden Filmprojekte am Ende oft durch Teilverzicht auf Honorare oder sogar durch Streichung der Handlungsunkosten garantiert. Dies höhlt die wirtschaftlichen Grundlagen der unabhängigen Filmproduktionen aus.
Der starken kommerziellen Präsenz der Schweizer Produktionen in den Fernsehserien und Online-Produkten steht also eine schwache kulturelle Förderung entgegen. Und genau in diesem Bereich soll nicht nur weiter gespart werden, durch bürokratische Reglemente und Auflagen werden sogar weitere Erschwernisse geschaffen.
Ein Beispiel ist die Ausweitung des Auftrags an die Swissfilms, eine staatliche Agentur, die bisher für die Promotion des Schweizer Films im Ausland zuständig war. Neu soll sie auch im Inland für den Schweizer Film werben. Grundlage dafür ist der Befund der Berliner Consulting-Firma, dass der Schweizer Film im Inland zu wenig sichtbar sei. Trotz Einwänden der Branche entschied das BAK, 690 000 Franken aus dem Budget für die Herstellung von Filmen an die Swissfilms umzuleiten. Dafür hat Swissfilms eine Person neu eingestellt, welche nicht aus der Filmbranche kommt. Diese hat inzwischen weitere Leute angestellt. Es ist davon auszugehen, dass auch diese nicht aus dem Kinobereich kommen, sondern aus dem Marketing. Denn der Branche wurde bei verschiedenen Gelegenheiten durch die Administration vorgehalten, sie sei nicht fähig, «ihre Produkte zu verkaufen». Durchgesickert ist inzwischen, dass der grösste Anteil der Budgeterhöhung von Swissfilms für die Lohnkosten dieser neuen Angestellten verwendet wird – sie erhalten Saläre, die in der unabhängigen Verleihbranche niemand auch nur annähernd erreicht.
Es gäbe noch viele weitere Beispiele, wie die Administration die Bürokratie aufbläht und ihre Kontrolle über die Filmproduktion und den Verleih ausweitet. So sollen in Zukunft in der sechsköpfigen Fachkommission, welche die zu fördernden Projekte beurteilt, zwei Mitglieder fest angestellt werden. Dies im Gegensatz zu den anderen Fachleuten, welche auf freiwilliger Basis in den Fachkommissionen sitzen. Wer diese Festangestellten nach welchen Kriterien bestimmt, ist nirgends festgehalten.
Bundesrätin lehnt Vorschlag ab
Die Filmbranche ist sich bewusst, dass die öffentlichen Mittel knapp sind. Deshalb hat sie dem BAK Dutzende von Vorschlägen gemacht, wie der Spardruck aufgefangen werden könnte. So zum Beispiel durch Beschränkungen der Auflagen und Vereinfachung der Abläufe. Als Vorbild könnte die Förderung in Frankreich dienen. Dort dürfen keine Dossiers mit Hunderten von Seiten eingereicht werden wie bei uns. Auch Budgets und Finanzpläne sind nur sehr grob zu präsentieren. Denn jede Fachperson weiss, dass sich im Laufe der Finanzierung noch vieles ändern wird. Das Wichtigste bei einem Film ist ohnehin die Idee, also das Drehbuch. Erst wenn ein Grossteil der Finanzierung gesichert ist, prüft die französische Förderung alle Details. Damit erspart sie sich in der Erstinstanz den bürokratischen Aufwand, den das BAK bei uns betreibt.
Bei einem Treffen von Baume-Schneider mit der Filmakademie im Februar wurde darum gebeten, einen runden Tisch mit der ganzen Branche zu organisieren. Die Branche sollte in die Sparbemühungen einbezogen werden, mit dem Ziel, die Reglemente zu vereinfachen und innovative Lösungen in der Finanzierung zu finden. Denn die Sektion Film des BAK hat ein Gesamtbudget von 57 Millionen Franken, doch davon fliessen nur 27 Millionen an die Filmproduktion. Der Rest geht in den sogenannten Überbau, also in die Bürokratie. Unser Vorschlag wurde von Baume-Schneider abgelehnt.
Samir Jamal Aldin, meistens nur Samir genannt, ist Filmemacher, Produzent und Co-Präsident der Schweizer Filmakademie. 1994 gründete er die Produktionsfirma Dschoint Ventschr, die seither zahlreiche international prämierte Spiel- und Dokumentarfilme produziert hat.