Der Erfolg einer amphibischen Landung hängt davon ab, ob genügend schnell in grossen Mengen Nachschub herbeigeschafft werden kann. Chinas Strategen verfolgen offensichtlich einen neuen Ansatz.
Sind die ersten Truppen an Land und Brückenkopf gesichert, kommt es bei einer amphibischen Landung zu einem kritischen Moment: Gelingt es dem Angreifer genügend schnell, Material, Munition und Truppen herbeizuschaffen, um den weiteren Vorstoss ins Landesinnere zu ermöglichen?
An einem Strand ist dies schwierig: Das Wasser ist zu seicht für grosse Transportschiffe – das Umladen auf Landungsboote ist zeitaufwendig, die Gefahr gross, dass sich die vielen Boote gegenseitig blockieren. Ein alternativer Ansatz ist, einen Hafen zu erobern. Doch Häfen sind meist stark verteidigt und vermint.
Eine zivile Technologie wird militärisch genutzt
Eine dritte Option ist, quasi einen Hafen mitzubringen. Oder zumindest eine Anlage, die das schnelle Löschen von grossen Mengen Material inklusive schwerer gepanzerter Systeme ermöglicht. Satellitenbilder deuten darauf hin, dass die chinesischen Streitkräfte bei ihrer Planung einer Invasion Taiwans diesen Ansatz verfolgen.
Mitte Januar berichtete die Fachpublikation «Naval News», dass in einer Werft nahe der südchinesischen Stadt Guangzhou mehrere spezielle Plattformen im Bau seien, die als temporäre Hafenanlagen dienen könnten. Diese Plattformen verfügen über grosse Stelzen, die auf den Meeresgrund abgesenkt werden können. Daraufhin wird die Plattform angehoben, und es entsteht eine stabile Fläche, die grosse Lasten tragen kann.
Solche Plattformen sind weltweit im Einsatz etwa beim Bau von Windkraftanlagen auf See oder bei Bauarbeiten in Häfen. Auf neuesten Satellitenbildern des Guangzhou Shipyard International (GSI) sind drei Plattformen erkennbar, die kurz vor der Fertigstellung zu stehen scheinen. Drei weitere sind in Trockendocks im Bau. «Diese Plattformen sind in mehrfacher Hinsicht aussergewöhnlich und wahrscheinlich für militärische Zwecke gebaut», sagt Alex Luck.
Der unabhängige Militärexperte, der insbesondere die chinesische Marine beobachtet, verweist auf die spezielle Rumpfform mit einem ausgeprägten Bug. Zivile Plattformen sind rechteckig und werden von Schleppern an ihren Einsatzort gebracht. «Hier handelt es sich aber um Systeme, die sich über grössere Distanzen selbständig fortbewegen können», sagt Luck.
Ebenso auffallend ist eine lange Rampe am Bug, die bei zwei der fast fertiggestellten Plattformen sichtbar ist. Diese sind über einhundert Meter lang. Über diese Rampen könnten Fahrzeuge von der Plattform direkt auf festen Grund fahren.
Chinas Militär setzt bereits zivile Fähren ein
Das mögliche Einsatzszenario sieht so aus: Die Plattformen fahren bei einer Invasion Taiwans nahe an einen Strand heran, lassen ihre Stelzen ab und fahren die Rampe aus. Am Heck der Plattform können Fähren mit Panzern und anderen militärischen Fahrzeugen andocken. Wellenbrecher, Böschungen oder Minen im Strand sind keine Hindernisse mehr.
Wie die Plattformen genau eingesetzt würden, müsse man noch sehen, sagt Luck: «Aufschluss darüber wird man erhalten, wenn die chinesische Marine erste Manöver mit den Plattformen durchführt.» Da China dabei kaum ausländische Beobachter zulassen wird, werden Experten ihre Erkenntnisse wohl erneut auf Satellitenbilder abstützen.
Bekannt ist schon länger, dass China zivile Ro-Ro-Fähren so bauen lässt, dass diese für militärische Transporte eingesetzt werden können. Ro-Ro steht für «roll on, roll off» und bezeichnet Fähren, bei denen Fahrzeuge ohne zusätzliche Anlagen am Hafen direkt an und von Bord fahren können.
Chinas Fähren haben verstärkte Decks und Laderampen, die selbst schwere Kampfpanzer tragen können. Mehrmals haben Chinas Streitkräfte amphibische Manöver durchgeführt, bei denen zivile Fähren eingebunden waren.
Militärischer und ziviler Schiffbau sind eng verzahnt
Die Satellitenaufnahmen von GSI zeigen auch die enge Verzahnung von zivilem und militärischem Schiffbau. Chinesische Werften nutzen ihr Know-how, ihre Arbeiter und ihre kapitalintensiven Anlagen für beide Bereiche. GSI baut laut Luck keine Kampfschiffe wie Fregatten oder U-Boote. Die Werft sei auf Hilfsschiffe spezialisiert.
Dazu gehören grosse Versorgungsschiffe, die Kampfschiffe mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Munition versorgen. So sind Einsätze über lange Zeit und grosse Distanzen möglich. Auch Chinas Spitalschiffe stammen von GSI. Diese kommen bei humanitären Missionen zum Einsatz oder machen Besuche in befreundeten Ländern und schaffen so Goodwill für China.
Auf dem Satellitenbild sind zwei weitere aussergewöhnliche Schiffe zu sehen. Eines verfügt über ein grosses, flaches Deck und gleicht einem Helikopterträger. Der genaue Einsatzzweck dieses Schiffes sei unklar, sagt Luck, doch wahrscheinlich sei es für Drohnen ausgelegt. Mehrere Details deuten darauf hin, dass es nicht für den Kriegseinsatz gebaut ist. Es könnte sich um eine reine Testplattform handeln oder bei der Küstenwache zum Einsatz kommen.
Daneben liegt ein Trimaran, der auf dem Satellitenbild einem Raumschiff aus «Star Wars» ähnelt. Es handelt sich laut Luck um ein Boot, das wahlweise mit oder ohne Besatzung eingesetzt werden kann. Vielleicht sei es auch ein komplett autonomes System.
Für den Experten zeigen beide ungewöhnlichen Prototypen, dass Chinas Schiffsbauer stetig neue Schiffstypen entwickelten. Die Marine der Volksbefreiungsarmee wächst nicht nur zahlenmässig stark, sie bereitet sich auch auf neue Einsatzszenarien vor.