Die Pariser Luxusmarke ist für Frauenmode berühmt, aber es gibt Hoffnung, dass Chanel unter Mathieu Blazy das Sortiment für Männermode erweitern könnte.
Das neue Jahr hält einige modische Leckerbissen bereit: Wird Alessandro Micheles zweite Valentino-Kollektion auch so einschlagen wie jene damals bei Gucci? Wird Haider Ackermann als neuer Kreativchef von Tom Ford den Spagat zwischen seinen betörend kuratierten Drapierungen und den Ansprüchen einer breit aufgestellten Luxusmarke schaffen? Was macht Louise Trotter aus Bottega Veneta? Und natürlich wollen in der Branche alle wissen, was sich Mathieu Blazy für Chanel ausdenkt.
Damit wären wir beim Thema, denn besonders bei Letzterem sind die Hoffnungen riesig. Blazy hat sich in den letzten Jahren an der Spitze von Bottega Veneta als innovativster und cleverster Kreativchef einer Luxusmarke bewiesen. Ihm ist es gelungen, mit aufwendigen Handwerkstechniken und teilweise fast schon avantgardistischen Ansätzen, wie etwa Trompe-l’Œil-Kleidern aus Leder, aber auch coolen Silhouetten der Marke Bottega Veneta zu einer neuen, frischen Ausstrahlungskraft zu verhelfen.
Einen ähnlichen Effekt, so werden die Erwartungen sein, wird er auch bei der viel grösseren Marke Chanel erreichen müssen – eine Mehrheit der Branchenkennerinnen und -experten ist zuversichtlich, dass er die richtige Wahl ist für den Posten, den einst Karl Lagerfeld so erfolgreich bekleidete. Zu rechnen ist mit einem Blazy-typischen Ansatz, der Anleihen bei bekannten wie auch weniger bekannten Archiventwürfen einschliesst, einer Mischung aus Pragmatismus, Romantik und Glamour. Man erinnere sich an seine Arbeiten für die «Artisanal»-Haute-Couture-Linie von Maison Martin Margiela, deren anonymer Kreativchef er einst war.
Das interne Designteam, das seit dem Weggang von Virginie Viard interimsmässig bereits ein paar solide Chanel-Kollektionen vorlegte, hat für den neuen Kreativchef ein neutrales Fundament mit Anleihen von klassischen Chanel-Looks vorbereitet. Nun gilt es, den Kollektionen wieder etwas mehr Ecken und Kanten, den sogenannten «Edge», zu verleihen. Und dabei könnte auch helfen, im bestehenden Chanel-Sortiment die bisher kaum bekannte Kategorie der Herrenmode sichtbarer und einem grösseren Publikum zugänglicher zu machen.
Im Gegensatz zu Marken wie Louis Vuitton oder Dior, die ihre Herrenkollektionen in separaten Shows gross promoten, gab es Männer-Looks von Chanel bisher nur ab und zu, quasi als Auflockerung eines Defilees während der Frauen-Shows und als exklusive Zückerchen für die männliche Kundschaft. Stellt sich die Frage: Will das Haus diese Exklusivität für Herren opfern, um die hohe Popularität der Marke zu sichern zugunsten eines Wachstums? Und das trotz eher düsteren Prognosen in der Luxusindustrie? Eine «offizielle» Herrenmodelinie wäre jedenfalls eine folgerichtige Ausweitung der bereits breit aufgestellten Duft- und Pflegesparte sowie der «Monsieur de Chanel»-Uhren für Herren.
Gut erkennbare Prestige-Looks von Chanel – auch für Männer
In den vergangenen Jahren sieht man so oder so immer mehr Männer in Chanel-Modekreationen. Dazu gehören die ikonischen Tweedjacken, Taschen und Perlenketten. Auftritte männlicher VIP während der Chanel-Defilees bewiesen immer wieder, dass Chanel auch Männern gut steht: Dazu gehören der Musikproduzent und DJ Sébastien Tellier oder die Musikerlegende Nile Rogers. Weitere weltberühmte Musiker, die Chanel tragen, sind Kendrick Lamar und Pharrell Williams, der für Chanel bereits über den Laufsteg lief und 2019 eine Kapselkollektion für das Modehaus entworfen hatte.
Wer bei diesen «Men in Chanel» aber genau hinschaut, bemerkt, dass sich bei vielen die Knopfleiste auf der linken Jackenseite befindet – es muss sich also um einen Entwurf aus einer Damenkollektion handeln. Die Art, wie all diese Herren Chanel-Kreationen vorgeführt haben, führt vor Augen, dass es Potenzial geben würde für Herrenmode von Chanel. Insbesondere seit sich die jüngere Generation als modisch mutiger und kompetenter erweist und die Kernelemente der Marke schätzt, scheint die Zeit reif, dass Chanel mit anderen Luxusmarken wie Louis Vuitton, Gucci oder Dior mitzieht und das Angebot für eine kaufkräftige Masse modeinteressierter Männer ausbaut.
Das Attraktive an Chanel-Looks – auch für sie – ist das von weitem gut erkennbare Prestige, das sie ausstrahlen. Seien es die Doppel-C-Logos bei Accessoires oder das diagonale «Diamant»-Steppnahtmuster bei Lederwaren. Ohne Logo sind auch die typischen Kastenjäckchen sofort erkennbar, dank ihrem aufwendig gewobenen Tweed und den verzierten Knöpfen. Letztere verwandeln auch schlichtere Teile aus Denim oder Strick auf Anhieb in ein typisches Chanel-Stück.
Es wäre also fast wünschenswert, dass Chanel unter dem Kreativchef Mathieu Blazy dieses Potenzial künftig nutzen würde. Dass Blazy dafür bereits die richtigen Kontakte hat, die eine solche Idee vorantreiben würden, ist klar. Mit dem «Bleu de Chanel»-Botschafter Timothée Chalamet hätte er bereits einen populären Botschafter im Haus.