Nach der Meisterschaft will Bayer 04 am Mittwochabend auch in der Europa League triumphieren. Im Final in Dublin wartet Atalanta Bergamo.
Die Gratulationen, die Xabi Alonso entgegennimmt, sind zahlreich in diesen Tagen. Erst zum 50. und dann zum 51. – und das, obwohl der Baske den runden Geburtstag erst in acht Jahren begehen wird.
Die Ziffernfolge verweist vielmehr auf einen Umstand, der im europäischen Fussball auf diesem Niveau einzigartig ist: Leverkusen, mit dem Coach Xabi Alonso erstmals deutscher Meister, hat eine Saison der Superlative hingelegt und ist mittlerweile seit 51 Pflichtspielen unbesiegt.
Die Bundesliga beendete Bayer 04 mit sagenhaften 90 Punkten – und als erstes Team ungeschlagen. In Sachen Punktzahl zog Xabi Alonso mit der besten Saison des Wundertrainers Pep Guardiola gleich, als dieser die Bayern trainierte, verfehlt aber den Rekord von Jupp Heynckes aus dem Jahr 2013 um einen einzigen Punkt.
Xabi Alonso will nicht gierig sein
So gierig sei er nicht, sagte der Trainer, als er darauf angesprochen wurde, ob er es bedauere, diesen Rekord verfehlt zu haben. Ebenso blieb eine weitere Bestmarke der Bayern unangetastet: In jenem Jahr, als Jupp Heynckes sie zum Triple und somit zum grössten Erfolg der Vereinsgeschichte führte, deklassierten sie die Konkurrenten mit einem Vorsprung von 25 Punkten. Dagegen nehmen sich die immer noch imposanten 17 Punkte, die Leverkusen vor dem Zweiten, Stuttgart, liegt, geradezu bescheiden aus.
Der Einzigartigkeit ist sich der Coach dennoch bewusst: «Es war das erste Mal, dass es das in der Bundesliga gegeben hat. Diese Mannschaft geht in Gold in die Geschichte der Bundesliga ein.» Er, der früher auch für Real Madrid spielte, vergass nicht, anzumerken, dass es eine solche Dominanz in Spanien noch nie gegeben habe.
Tatsächlich ist eine solche Serie umso höher zu bewerten, als die Leverkusener gar nicht als Favoriten in diese Spielzeit gegangen sind. Vielmehr gab es mit dem FC Bayern einen Hegemonen und in Dortmund und Leipzig zwei ambitionierte Herausforderer. Dass sich mit dem VfB Stuttgart ein Überraschungsteam in den Spitzenkampf einschaltete und eine herausragende Saison hinlegte, verdeutlicht nur, wie gut der Job ist, der in Leverkusen erledigt wurde.
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— Bayer 04 Leverkusen (@bayer04fussball) May 21, 2024
Die Erfolgsserie könnte tatsächlich eine sein, die sehr lange Bestand haben wird. Dass nichts für die Ewigkeit ist, haben die Leverkusener ja selber bewiesen, indem sie Arsenals «Invincibles» unter dem Coach Arsène Wenger erfolgreich nacheiferten, die in der Saison 2003/2004 ungeschlagen blieben. Auch haben sie den alten Rekord an unbesiegten Spielen in einer Spitzenliga von Juventus Turin aus der Saison 2011/2012 überboten. Und zwar um mittlerweile acht Matches.
Nur besagen solche Zahlen wenig, wenn nicht auch die Mannschaft und ihr Fussball erinnerungswürdig sind. Juventus war zu seiner Zeit eben kein Team, das in Europa den Ton angab, und auch Leverkusen ist das noch nicht. Hierfür hat die Mannschaft eben erst die Voraussetzung geschaffen, indem sie sich für die Champions League qualifizierte.
Das «kleine Triple» soll her
Leverkusen will allerdings mehr nach diesem Titelgewinn der Superlative: Das Triple soll her – auch wenn es nur das kleine ist. Am Samstag steht die Mannschaft im Cup-Final gegen den ersten FC Kaiserslautern – der ruhmreiche Zweitligaklub gilt bei den Buchmachern als nahezu chancenlos.
Zuvor aber, am Mittwochabend, geht es in Dublin gegen Atalanta Bergamo um den Titel in der Europa League. Ein Gegner, der unangenehmer kaum sein könnte: taktisch diszipliniert, kompakt, konterstark und technisch versiert. Zwar kein Spiegelbild der Equipe von Xabi Alonso, aber ein Team mit ähnlichen Qualitäten.
Als Favorit möchte sich der gefeierte Trainer jedenfalls nicht sehen, und er täte gut daran, dies auch seiner Mannschaft zu vermitteln, die wirkt, als bade Alonso sie nach jedem Training in Drachenblut. Die feierliche Übergabe der Meisterschale am letzten Spieltag nach einem 2:1 gegen den FC Augsburg wirkte jedenfalls massvoll ausgelassen.
Granit Xhaka, Leverkusens Stratege, verwies noch einmal auf den Tag, an dem die Meisterschaft gewonnen wurde mit einem 5:0 gegen Werder Bremen. Auch da habe es sich schon gut angefühlt, sagte Xhaka, was angesichts des Platzsturms von Tausenden von Anhängern ein wenig untertrieben erscheint. Der Schweizer verwies auf die einzigartige Qualität des Erlebnisses: Es sei noch mal «etwas anderes, die Schale dann in der Hand zu halten».
Man sollte die Zurückhaltung des mitunter explosiven Xhaka nicht mit Unterkühltheit verwechseln. Vielmehr reflektiert sie die seriöse Haltung eines Leaders, der weiss, dass es für ihn und seine Mitspieler im Saisonfinish noch um zwei Titel geht.
Für einmal ist Leverkusen das Vorbild
Sie alle wirken, als seien sie sich vollkommen bewusst, dass noch grosse Aufgaben vor ihnen liegen. Man kann die alte Wendung, wonach nichts erfolgreicher ist als der Erfolg, auf diese Leverkusener übertragen: Jeder Sieg scheint die Vorfreude auf den nächsten noch zu steigern, und selbst wenn die Kraft einmal zur Neige zu gehen scheint: Vor allem in den letzten Minuten setzt dieses Team ungeheure Energien frei.
So makellos, dass es beinahe unheimlich erscheint: Das ist Bayer Leverkusen vor den letzten zwei Spielen in dieser Rekordsaison. Dass sie als Vorbild gelten, kann daher kaum verwundern, ebenso wenig ist es eine Übertreibung, sie schon jetzt zum Favoriten für die kommende Saison zu erklären. Dafür ist die Selbstdemontage des FC Bayern einfach zu eindrücklich. Leverkusen erscheint für einmal als das seriöse Gegenmodell zum FC Bayern. Und sollte das Team tatsächlich auch die letzten zwei Spiele gewinnen, dann dürfte Leverkusen weit über diese Saison hinaus als ein Musterexemplar gelten.