Um den Werkplatz zu schützen, sind 1200 Firmen von der CO2-Abgabe befreit. Sie haben sich freiwillig zu Emissionsminderungen verpflichtet. Künftig soll das Instrument für alle Unternehmen zugänglich sein. Am Programm gibt es jedoch harsche Kritik.
Die Schweiz hat einen der höchsten Emissionspreise weltweit: Wer mit Erdöl oder Erdgas seine Wohnung heizt, muss 120 Franken für jede emittierte Tonne CO2 zahlen.
Über 1200 Unternehmen erhalten dagegen heute ihre CO2-Abgaben vollständig zurück, falls sie gewisse Ziele für die Reduktion von CO2 einhalten. Für jeden dieser Anlagenbetreiber wird zunächst individuell abgeklärt, wie viel Treibhausgase sie einsparen können. Und zwar mit Investitionen, die sich im Prozessbereich innerhalb von vier Jahren und bei Gebäuden innert acht Jahren amortisieren sollen.
Um ihr Versprechen zu besiegeln, schliessen die Firmen mit einer von zwei beauftragten Agenturen, meist der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW), eine Vereinbarung ab. Im Schnitt haben sich die Firmen von 2013 bis 2020 dazu verpflichtet, ihre Emissionen um 12 Prozent zu verringern. Die Ziele wurden in diesem Zeitraum gar übererfüllt, die Ersparnis lag bei 19 Prozent.
Fast eine Milliarde Franken gespart
Laut der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), die das Instrument in einem Bericht unter die Lupe genommen hat, haben die Firmen von 2013 bis 2020 geschätzt 938 Millionen Franken an Abgaben gespart. Da die Firmen ihre Ziele sogar übertroffen haben, erhielten sie überdies entsprechende Bescheinigungen, die sie verkaufen konnten. Die geschätzten Einnahmen belaufen sich auf mehr als 100 Millionen Franken.
Die EFK kritisiert in ihrem Bericht, dass die Vorgaben an die Firmen zu wenig ambitioniert seien. Sie rechnet vor, dass der Industriesektor insgesamt 20 Prozent weniger CO2 ausstosse als noch 2013. Die von der Abgabe befreiten Firmen müssten angesichts der hohen Einnahmenausfälle mehr liefern als der Durchschnitt, findet die EFK.
Die Energie-Agentur der Wirtschaft wirft dagegen der EFK vor, sie habe einen untauglichen Vergleich gewählt. Allein die Schliessung einer Raffinerie in Crissier 2016 habe zu einem Wegfall von 6,4 Prozent des CO2-Ausstosses der Industrie geführt. Wenn man für Schliessungen und für Produktionsrückgänge korrigiere, sei die Ersparnis bei den von der Abgabe befreiten Firmen viel höher als im Rest der Industrie.
Der EnAW-Geschäftsführer Frank Ruepp erinnert zusätzlich daran, dass der Zweck der ganzen Übung nicht nur der Klimaschutz gewesen sei, sondern gemäss dem Willen des Parlaments auch besonders «der Schutz des Werkplatzes Schweiz»: Unternehmen, die im Vergleich mit der Wertschöpfung hohe Energiekosten haben und die im internationalen Wettbewerb stehen, sollen nicht benachteiligt werden.
Ausdehnung auf alle Firmen
Eine Reform des Instruments ist gerade im Gang. Bereits seit 2022 gibt es für die Übererfüllung der Ziele keine Bescheinigungen und damit kein Geld mehr. Die EFK vergleicht die bisherige Praxis mit einer Subvention. Diese entfällt zwar, gleichzeitig reduziert man aber die Motivation der Firmen, über das Ziel hinaus Klimaschutz zu betreiben.
Die zweite grosse Neuerung wird derzeit in den Räten diskutiert. Das neue CO2-Gesetz sieht vor, dass alle Firmen an dem Programm teilnehmen können. Bisher war der Zugang auf energieintensive Branchen beschränkt, zudem musste eine Firma mindestens 100 Tonnen CO2 pro Jahr ausstossen.
Das Hauptargument der Wirtschaft, Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Ausland zu verringern, verfängt aber immer weniger, wenn immer mehr Firmen die Befreiung nutzen können. Schon jetzt machen davon viele Firmen Gebrauch, die lokal orientiert sind oder Grenzschutz geniessen, wie agrarwirtschaftliche Betriebe. Derzeit machen zum Beispiel Wärmenetze, Milchverarbeiter, Ziegeleien oder Betreiber von Gewächshäusern mit. Die grössten Schweizer Emittenten wie Betonfabriken sind ohnehin dem Emissionshandel der EU angeschlossen.
Der Ökonom Beat Hintermann von der Universität Basel hat die Wirkung der freiwilligen Verpflichtungen analysiert. Er lehnt deren Ausweitung ab. In der Schweiz habe man sich darauf verständigt, mit einer spürbaren CO2-Abgabe die negativen externen Effekte den Verursachern zu übertragen. Entsprechend sollten Haushalte und Firmen gleichermassen motiviert werden, ihre Emissionen zu senken. Eine Ausweitung würde diesem Ziel widersprechen.
Hintermann betont stattdessen die Vorteile, wenn alle Verursacher in der Schweiz die CO2-Abgabe bezahlen müssten. Einen Hickhack zwischen EFK und EnAW um die wahren Einsparungen, wie er jetzt publik wurde, gibt es bei einer Abgabenlösung nicht, weil man ohne detaillierte Ziele für einzelne Firmen und deren staatliche Überwachung auskommt.
«Eine Sonderbehandlung von Firmen, die stark im internationalen Wettbewerb stehen, geht zudem auch mit einer Abgabe. Dafür braucht es keine komplizierten Alternativsysteme», sagt Hintermann. Betroffenen Unternehmen könnte man zum Beispiel auf einem Teil ihrer Emissionen für eine Übergangszeit die Abgabe erlassen.
Anreiz zur Reduktion erhalten
Die Energie-Agentur der Wirtschaft hat durch ihre jahrelange Tätigkeit einen Markt für die Energieberatung und die Dekarbonisierung von Firmen geschaffen. Mit den Leistungen der EnAW sind denn auch 95 Prozent der Firmen zufrieden.
Würde man ganz auf eine CO2-Abgabe setzen, würde dieser Teil des Leistungsauftrags der EnAW mit dem Bund zwar entfallen. Die Energieberatung würde aber keineswegs überflüssig. Denn die Berater, die heute im Auftrag der EnAW tätig sind, würden weiter Aufträge von Firmen erhalten, die ihren Energieverbrauch beziehungsweise ihre CO2-Emissionen in den Griff bekommen wollen.
Die EFK geht in ihrem Bericht nicht auf die Vorzüge der verschiedenen Instrumente ein, sondern beschränkt sich auf die Beurteilung der Reduktionsverpflichtungen. Hier empfiehlt sie, die staatliche Aufsicht zu verstärken. Diesen Ball nimmt das Bundesamt für Energie in einer Stellungnahme gerne auf und drängt ebenfalls auf ehrgeizigere Massnahmen.
Folgt man den EFK-Vorschlägen, wäre jedenfalls zu befürchten, dass die Bundesämter sich stärker einmischen würden und die Bürokratie zunähme. Gegenüber dem Ist-Zustand klingt dies nicht nach Fortschritt.