Der jüdische Staat verfügt über eine blühende Rüstungsindustrie. In Kriegen kann das Land bisher aber trotzdem nur bestehen, weil andere Staaten Waffen in grosser Zahl liefern.
Israels Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen verschlingt Unmengen an Munition. Nach der Einschätzung einer amerikanischen Behörde hat das israelische Militär allein in den ersten beiden Monaten des Krieges bei Luftangriffen 29 000 Bomben auf die Küstenenklave abgeworfen. Inzwischen dürfte diese Zahl noch weit höher liegen. Dazu kommt der Einsatz von zahllosen Abwehrraketen, Artillerie- und Panzergranaten, zu denen es keine klaren Angaben gibt.
Ein Ende des Krieges scheint derzeit nicht in Sicht, und auch im Norden, an der libanesischen Grenze, ist ein weiterer kostspieliger Waffengang denkbar. So stellt sich die Frage: Woher hat Israel all sein Kriegsmaterial? Und wie finanziert der jüdische Staat die Rüstungsgüter?
Eine blühende Rüstungsindustrie
Als Kleinstaat, der von mehreren feindlich gesinnten Mächten umgeben ist, hat Israel schon seit seiner Gründung viel in seine Verteidigung investieren müssen. In den siebziger Jahren flossen zeitweise mehr als 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in die Verteidigung. In den letzten Jahren sank dieser Wert auch aufgrund des massiven israelischen Wirtschaftswachstums auf rund 5 Prozent – was immer noch deutlich mehr ist, als die USA oder europäische Staaten ausgeben.
Nun dürfte der Wert aufgrund des Krieges wieder deutlich steigen. Der Verteidigungshaushalt von 17 Milliarden Dollar im Jahr 2023 war im Dezember um 7,9 Milliarden Dollar erhöht worden. Jetzt plant die israelische Regierung, auch die Militärausgaben im laufenden Jahr um 15 Milliarden Dollar auf 32 Milliarden zu erhöhen. Zum Vergleich: Der Schweizer Verteidigungshaushalt belief sich 2023 auf 5,5 Milliarden Franken. Im Zeitraum zwischen 2018 und 2022 gab Israel pro Kopf insgesamt 2535 Dollar für sein Militär aus. Es wird in dieser Hinsicht nur von Katar übertroffen.
Dabei bezieht Israel einen grossen Teil seines militärischen Bedarfs aus heimischer Produktion. Das Land verfügt über eine blühende Rüstungsindustrie, mehr als 150 israelische Firmen sind in diesem Bereich tätig. Zu den wichtigsten gehören die beiden halbstaatlichen Unternehmen Israel Aerospace Industries und Rafael Advanced Defense Systems sowie die private Firma Elbit Systems. Sie versorgen das Militär mit Drohnen, Abwehrraketen sowie dem mittlerweile berühmten Raketenabwehrsystem Iron Dome. Auch die Merkava-Kampfpanzer werden in Israel hergestellt.
Der israelische Staat gehört zu den wichtigsten Abnehmern dieser Rüstungsgüter, doch auch der Export von Kriegsmaterial floriert seit Jahrzehnten. Im Jahr 2022 exportierte Israel Waffen im Wert von 12,5 Milliarden Dollar – eine Steigerung von rund 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass auch arabische Staaten, die 2020 im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen ihre Beziehungen mit Israel normalisiert hatten, Kriegsgüter für rund 3 Milliarden Dollar bestellten. Mit dem Verkauf des Abwehrsystems Arrow 3 an Deutschland schloss Israel im vergangenen Jahr das grösste Rüstungsgeschäft seiner Geschichte ab.
Israel erhält von den USA 3,8 Milliarden Dollar pro Jahr
Trotz der auf Hochtouren laufenden Waffenproduktion ist Israel bei weitem kein Selbstversorger in Sachen Kriegsmaterial. In vielen Kriegen in der Vergangenheit konnte es nur bestehen, weil andere Staaten Waffen in grosser Zahl lieferten. War zunächst Frankreich der wichtigste Unterstützer, erhält Israel seit den siebziger Jahren vor allem von den Vereinigten Staaten Waffenhilfe. Insgesamt sind mehr als 120 Milliarden Dollar für militärische Zwecke an Israel geflossen.
Damit ist Israel mit Abstand der grösste Empfänger im Rahmen des Programms Foreign Military Financing (FMF) der USA. Derzeit erhält Israel jedes Jahr 3,8 Milliarden Dollar von den USA, gemäss einer 2016 unter Präsident Barack Obama unterzeichneten Vereinbarung. Der Grossteil dieses Geldes ist dafür vorgesehen, dass Israel amerikanische Waffensysteme und Dienstleistungen einkauft. Als einziges FMF-Empfängerland darf Israel damit zudem Ausrüstung von israelischen Rüstungsfirmen kaufen. Weitere 500 Millionen Dollar sind für Raketenabwehrsysteme vorgesehen, von denen viele in israelisch-amerikanischer Koproduktion entwickelt und hergestellt werden.
So ist das Iron-Dome-System zwar eine israelische Eigenentwicklung, doch seit 2014 werden etwa die dafür benötigten Tamir-Abwehrraketen durch die amerikanische Firma Raytheon in Arizona produziert. Besonders abhängig von den USA ist die israelische Luftwaffe. Seit den sechziger Jahren hat Washington mehr als 1000 Kampfflugzeuge geliefert, zuletzt 50 Exemplare des international begehrten F-35. Ab 2027 sollen 25 weitere dazukommen.
Zudem haben die Vereinigten Staaten über die Jahre Zehntausende von Lenkbomben an Israel geliefert, die zielgenaue Luftangriffe ermöglichen. Besonders wichtig sind dabei die sogenannten JDAM, kurz für Joint Direct Attack Munition. Dabei handelt es sich um ein Lenksystem, mit dem sich konventionelle Bomben lenkbar machen lassen. Fast 20 000 JDAM hat Israel seit der Jahrtausendwende von den USA erhalten.
Seit Kriegsbeginn herrscht kaum Transparenz
Doch in einem Krieg von dieser Grössenordnung sind auch solche Vorräte schnell aufgebraucht, zumal Israel schon in vergangenen Konflikten Bomben, Raketen und Granaten in grosser Zahl eingesetzt hat. So haben die USA bereits wenige Tage nach Beginn des Krieges im Oktober damit begonnen, weitere Rüstungsgüter nach Israel zu fliegen.
Im Gegensatz zu den amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine hat Washington allerdings nicht öffentlich gemacht, was seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober genau geliefert wurde. Die Biden-Regierung hat sich bereits zwei Mal auf Notstandsregelungen berufen, um bei diesen Waffenlieferungen den Kongress zu umgehen. Laut der «Washington Post» haben die USA seit Kriegsbeginn mehr als 100 Verkäufe an Israel getätigt. Beim Grossteil davon wurde der Kongress nicht benachrichtigt, weil dies erst ab einem gewissen Geldbetrag gemacht werden muss.
Einzelne Medienberichte und Aussagen von Behördenvertretern lassen jedoch erahnen, um welche Waffensysteme es sich handelt. So berichtete ein israelischer Fernsehsender Ende Dezember, insgesamt seien seit Kriegsbeginn 244 amerikanische Transportflugzeuge mit mehr als 10 000 Tonnen an militärischer Ausrüstung in Israel angekommen. Das israelische Verteidigungsministerium liess verlauten, dass die Lieferungen gepanzerte Fahrzeuge, Schutzausrüstung, medizinische Güter sowie Munition enthielten.
Am 9. Dezember teilte die amerikanische Regierung mit, sie habe den Verkauf von 14 000 Panzergranaten an Israel bewilligt. Ende Dezember genehmigte sie den Verkauf von 155-mm-Artilleriegranaten im Wert von 147 Millionen Dollar. Laut einem Bericht des «Wall Street Journal» hat Washington ausserdem 21 000 präzisionsgelenkte Bomben zur Verfügung gestellt, wovon Israel offenbar bereits die Hälfte verbraucht hat. Ebenso bereiteten die USA eine zusätzliche Lieferung von jeweils 1000 Fliegerbomben und JDAM vor. Im Rahmen eines Pakets über 106 Milliarden Dollar, das vor allem Hilfen für die Ukraine vorsieht, will die Biden-Regierung Israel mit weiteren 14,3 Milliarden Dollar unter die Arme greifen. Die Vorlage steckt derzeit aber im Kongress fest.
Munition aus geheimen Lagern
Nicht alle Waffen, die Israel von den USA erhält, werden von ausserhalb geliefert. Laut mehreren Berichten darf Israel seit Kriegsbeginn auch auf mehrere amerikanische Munitionslager zurückgreifen, die sich auf israelischem Staatsgebiet befinden. Bei diesen sogenannten War Reserve Stocks for Allies handelt es sich um Depots mit Waffen, die eigentlich für den Nachschub von amerikanischen Einsätzen im Nahen Osten vorgesehen sind. Nun werden sie offenbar genutzt, um die israelische Armee zu versorgen, worüber kaum Transparenz besteht.
Was sich genau in diesen Lagern befindet, ist nicht öffentlich bekannt. Laut einem Bericht des Nachrichtenportals «Axios» hat Israel aus dem Vorrat mehrere zehntausend Artilleriegranaten erhalten, die eigentlich an die Ukraine hätten geliefert werden sollen. Nach Angaben eines amerikanischen Admirals im Ruhestand sind die Lager vorwiegend mit «dummen Bomben» gefüllt, die sich nicht lenken lassen.
Gemäss Einschätzungen der amerikanischen Geheimdienste vom Dezember handelte es sich bei 40 bis 45 Prozent der Bomben, die Israel auf Gaza abgeworfen hat, um solche «dummen» Geschosse. So werden offensichtlich längst nicht alle Bomben mit JDAM ausgerüstet. Der Einsatz dieser Munition hat für laute Kritik gesorgt. Denn laut Waffenexperten steht er im Kontrast zu Israels Beteuerungen, die Zahl der zivilen Opfer minimieren zu wollen.
USA untersuchen tödliche Angriffe
Ohnehin ist der Wind, der Israel aus den USA entgegenbläst, inzwischen merklich kühler geworden. Washington hat zwar Berichte dementiert, dass es die Waffenlieferungen einschränken wolle, um Druck auf Netanyahu auszuüben. Doch Joe Biden verordnete im Februar, dass Empfänger amerikanischer Militärhilfe «glaubwürdige und zuverlässige schriftliche Zusicherungen» abgeben müssen, dass sie sich an das Völkerrecht halten. Dies wurde als Signal an Israel interpretiert.
Zudem hat das amerikanische Aussenministerium kürzlich eine Untersuchung eingeleitet, ob amerikanische Bomben zur Tötung von Zivilisten missbraucht wurden. Dabei geht es um mehrere israelische Luftangriffe, bei denen Dutzende Zivilisten ums Leben kamen, sowie den möglichen Einsatz von weissem Phosphor in Libanon.
In Israel gibt es mittlerweile Bestrebungen, die Abhängigkeit von amerikanischen Waffen zu reduzieren. Das Verteidigungsministerium hat laut einem Medienbericht mehrere lokale Rüstungsunternehmen gebeten, die heimische Produktion von Munition anzukurbeln. Besorgt hält der israelische Journalist in dem Bericht fest, es sei ein ernstes Problem, wenn ein verbündeter Staat, von dessen Munitionslieferungen Israel abhängig sei, an der Legitimität des Krieges zu zweifeln beginne.







