Am Sonntag hat in Senegal die Präsidentenwahl stattgefunden, die eigentlich schon abgesagt war. Das vorläufige Ergebnis lässt einen überraschenden Wahlausgang erwarten.
1. Was ist passiert?
Am Sonntag hat in Senegal die Präsidentschaftswahl stattgefunden. Der abtretende Präsident Macky Sall, der seit 2012 regiert und sein Amt nur ungern abgibt, hatte im Februar versucht, diese auf Dezember zu verschieben. Proteste, Druck aus dem Ausland und ein Gerichtsentscheid verhinderten den Schritt, den manche als «Verfassungscoup» bezeichnet hatten.
Bei der Wahl bahnt sich nun eine Überraschung an. Erste Teilresultate, die am Sonntagabend durchsickerten, zeigen den 44-jährigen Oppositionskandidaten Bassirou Diomaye Faye deutlich vorne. Faye war erst wenige Tage vor der Haft aus dem Gefängnis freigekommen, er sass dort wegen Vorwürfen, die er als politisch motiviert bezeichnete.
Für einen Sieg im ersten Wahlgang braucht Faye mehr als 50 Prozent aller Stimmen. Anhänger von Faye feierten am Sonntagabend in den Strassen der Hauptstadt Dakar. Mehrere der 18 anderen Kandidaten haben ihm bereits gratuliert. Nicht aber der Kandidat der Regierungskoalition, Amadou Ba. Dieser will sich am Montag äussern. Falls sein Rückstand nicht überdeutlich ist, dürfte Ba auf die Bekanntgabe des Schlussresultats verweisen. Diese muss bis Freitag erfolgen.
2. Weshalb ist die Wahl wichtig?
Weil Senegals Demokratie auf der Kippe stand.
Präsident Macky Sall liebäugelte lange mit einer verfassungswidrigen dritten Amtszeit, erst ein halbes Jahr vor dem ursprünglichen Wahltermin erklärte er seinen Verzicht. Anfang Februar verkündete er dann plötzlich in einer Fernsehansprache, dass die auf den 25. Februar angesetzte Wahl auf Dezember verschoben werde. Als Grund nannte er einen Konflikt zwischen dem Parlament und dem Verfassungsgericht über den Ausschluss von Kandidaten.
Es folgten Proteste in Senegal und internationaler Druck. Schliesslich erklärte das Verfassungsgericht die Wahlverschiebung für widerrechtlich.
Schon vor der Wahlverschiebung hatte Senegals Demokratie unter Macky Sall schweren Schaden genommen. Kritiker werfen seiner Regierung vor, die Justiz und den Sicherheitsapparat instrumentalisiert zu haben. Hunderte von Oppositionellen wurden in den vergangenen Jahren inhaftiert, bei Protesten tötete die Polizei mehrere Dutzend Demonstranten. Der bekannte senegalesische Journalist Ayoba Faye beschrieb das politische System unter Sall im Gespräch mit der NZZ als «autoritäre Demokratie, in der nur eine Person entscheidet».
Dass die Wahl nun doch stattgefunden hat, war allein schon ein Sieg für die Demokratie – auch weil in Senegals Nachbarschaft in den vergangenen Jahren eine Reihe von Regierungen vom Militär gestürzt wurden. Ein Sieg der Opposition wäre eine grosse Überraschung.
3. Wer sind die Protagonisten?
19 Kandidaten traten an, die schillerndste politische Figur aber gehört nicht zu ihnen. Der charismatische Oppositionsführer Ousmane Sonko, der 49-jährige Bürgermeister der Stadt Ziguinchor, durfte nicht antreten. Er ist unter anderem wegen Verleumdung verurteilt worden, weil er einem Minister vorgeworfen hatte, 47 Millionen Dollar an Regierungsgeldern gestohlen zu haben. Sonko sass bis vor wenigen Tagen im Gefängnis. Er profitierte von einem Amnestiegesetz, das Präsident Sall vor der Wahl lancierte, angeblich um die politischen Wogen nach der Verschiebung der Wahl zu glätten.
Nach Sonkos Freilassung bejubelten Tausende Menschen den Oppositionsführer in den Strassen der Hauptstadt Dakar. An Sonkos Seite befand sich der Mann, der an seiner Stelle die Wahl gewinnen soll: Bassirou Diomaye Faye. Der 44-jährige Steuerinspektor war im selben Gefängnis wie Sonko gesessen und am selben Tag freigekommen.
Sonko hat Faye als seinen «Plan B» und als «kleinen Bruder» bezeichnet. Faye war nur mässig bekannt, bevor er Kandidat wurde. Die Inhaftierung half, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Möglich, dass Faye nach der Wahl in den Präsidentenpalast einzieht, der wenige hundert Meter vom Gefängnis entfernt liegt, in dem er während fast eines Jahres sass.
Fayes grösster Konkurrent ist Amadou Ba, der Kandidat der Regierungskoalition, der das Erbe von Macky Sall weitertragen soll. Der frühere Premierminister ist ein Technokrat, auch er war früher Steuerbeamter. Ba kämpft damit, dass sein Rückhalt im Lager des Präsidenten brüchig ist. Er kann aber trotzdem auf die Mobilisierungsmaschinerie der Regierungspartei zählen und dürfte vor allem im ländlichen Senegal Unterstützung finden.
4. Was beschäftigt die Senegalesen?
Senegal befindet sich je nach Sichtweise in einer vielversprechenden oder in einer schwierigen Situation. Salls Regierung hat grosse Infrastrukturprojekte realisiert, unter anderem einen Regionalzug in der Hauptstadtregion und Autobahnen. Die ausländischen Investitionen haben zugenommen. Zentral für die wirtschaftliche Zukunft sind vor allem lukrative Gasvorkommen vor der Küste, die ab diesem Jahr ausgebeutet werden sollen. Sie sollen Senegal ein zweistelliges Wirtschaftswachstum bescheren.
Andrerseits hat Senegal eine hohe Arbeitslosigkeit, gerade unter den vielen Jungen im Land (das Medianalter liegt bei 18 Jahren). Dazu sind die Lebenskosten stark gestiegen. Tausende von Senegalesen suchen ihr Glück anderswo, unter anderem indem sie den gefährlichen Seeweg Richtung Europa auf sich nehmen. 2023 erreichten 40 000 Personen die Kanarischen Inseln, die meisten von ihnen kamen aus Senegal und dem benachbarten Gambia.
Amadou Ba, der Kandidat der Regierungskoalition, verspricht, den wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben und bis 2028 mehr als eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Faye, der wichtigste Oppositionskandidat, vertritt das Anti-System-Programm seiner Partei Pastef. Er fordert ein Senegal, das mehr Unabhängigkeit gegenüber dem Ausland demonstriert, vor allem gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Faye will den Austritt aus der westafrikanischen Währung CFA prüfen, die noch aus der Kolonialzeit stammt und an den Euro gebunden ist. Er will auch die Verträge mit den ausländischen Gasfirmen neu verhandeln, die Korruption stärker bekämpfen und die Macht des Präsidenten einschränken.