Die Qualität der Zutaten sei das A und O gelungener Gerichte, findet unser Autor. Und dann wäre da noch die Sache mit den Rezepten.
Rezepte sind so eine Sache. Höre ich mich zu diesem Thema um, bei Freunden, Kunden, in Blogs und in Magazinen, wird schnell klar: Keine andere Weisung oder Anleitung wird weniger pragmatisch befolgt als jene, an deren Ende eine gelungene Mahlzeit stehen sollte.
Überlegen Sie sich beim Radwechsel, nur die Hälfte der Schrauben festzuziehen? Verwenden Sie Stahlnägel anstatt der mitgelieferten Holzstifte, welche Ihr neues Ikea-Regal zusammenhalten sollen? Schmieren Sie sich Ihre absurd teuren Anti-Aging-Crèmelein in die Kniekehle statt an die faltige Wange? Mitnichten. Weil die Handhabung schwarz auf weiss in den Anweisungen steht. Tut es in Rezepten auch.
Aber dort wird munter ersetzt, weggelassen, vervielfacht, abgekürzt. 200 ml Doppelrahm? Ach, Kaffeerahm ist auch Rahm, dazu viel günstiger. In Eile? Okay, dann 220 °C und nur 15 Minuten im Ofen anstatt der korrekten 120 °C und 90 Minuten. Lieber das Billig-Kotelett vom Grossverteiler statt eines Stücks vom naturnah aufgewachsenen Wollschwein der Fiechter-Metzger-Schwestern vom Wochenmarkt? Wozu der Aufwand, ein Schwein ist ein Schwein, solange es grunzt. Und das tun die aus deutschen Quälfarmen auch. Sogar lauter. Man weiss, warum. Und dann wundert sich das kochende Volk, dass es anders kommt, als es sollte.
Kreiert ein Koch oder eine Köchin ein Rezept, überlegt er oder sie sich dabei etwas. Also bitte einige Male genau einhalten, dann vielleicht mit Variationen starten. Wenn überhaupt.
Was den Ausschlag gab, waren die Zutaten
So tat ich es mit einem meiner Frühlings-Lieblingsrezepte: Spargeln mit Morcheln und Blätterteig. So simpel. Und so gut. Ausgetüftelt von den Haeberlin-Brüdern im elsässischen Illhäusern. Damals schon fünfzig Jahre lang drei Michelin-Sterne. Ich kochte das Gericht häufig, trieb es zur Perfektion, faltete den Blätterteig von Grund auf, verwendete für die Sauce selbstgemachten Kalbsfond, jagte Morcheln an mäandernden Fluss-Auen und stach nach Spargel in sandigen Weinländer Äckern. Kurzum, ich war sehr zufrieden mit dem Resultat.
Bis zu meinem ersten Besuch in Illhäusern. Logo bestellte ich die Spargeln. Und weinte in den Teller. Aus Glück. Und aus Frust. Hätte die Liebste mich nicht zurückgehalten, ich hätte den Koch erdolcht und mich danach im wunderschönen Gartenteich ertränkt. Das Gericht war einfach um Lichtjahre schmackhafter, zarter, vollendeter als meine Version! Mein Selbstbewusstsein musste sogleich mit einem famosen, getrüffelten Bressehuhn und einer Magnum Pinot gris von Zind-Humbrecht aufgepäppelt werden.
Natürlich war es viel besser. Die hatten drei Sterne, ich keinen. Was aber den Ausschlag gab, waren die Zutaten. Ein Drei-Sterne-Koch ist so gut wie seine Produkte. Und umgekehrt. Mein Mantra, ein Gericht könne nur so gut sein wie seine schlechteste Zutat, erreicht dennoch nicht alle sofort, manchmal braucht es handfeste Überzeugung. Und einen Hinweis auf Prioritäten.
Ich stehe in der Migros und wundere mich über die absurd tiefen Preise von ausländischem Fleisch. Eine junge Person neben mir, sie nuckelt an einer Gas-Pipeline-dicken Röhre, die aus einem Stahlbecher gigantischen Formats ragt, stellt sich eine Packung Aktions-Hack in ihren Korb.
«Warum kaufst du das? Die Tiere, von denen es stammt, hatten wohl kein gutes Leben.» Ich greife in ihren Korb und lege es zurück. Sie schaut mich entgeistert an. «Es ist halt das Billigste hier und für eine Bolo ganz okay.» Ich widerspreche. «Nein, ist es nicht. Wie viel hast du denn für dieses Ding ausgegeben?» Und zeige auf ihren umgeschnallten tragbaren Swimmingpool. «Für meinen Quencher? Etwa 50 Stutz. Hip, darum teuer, denn alle möchten jetzt diesen Trinkbecher.»
Ich rede zehn Minuten auf sie ein, appelliere an ihre Wertvorstellungen, ihre Gesundheit und ihre moralische Verantwortung dem Tierwohl im Besonderen und dem Planeten im Allgemeinen gegenüber, bis sie sich tatsächlich für ein regionales Produkt entscheidet. Vielleicht will sie mich auch nur endlich loswerden.
Selbstgemachtes von Spitzenköchen
Gute Zutaten, die einem auch noch viel Arbeit abnehmen, besorgt man sich auch von Koch-Handwerkern. Immer mehr Spitzenköchinnen und -köche füllen ihre von Grund auf selbstgemachten Grundsaucen und Fonds in Gläser ab, sterilisieren Eingemachtes, Suppen und Currys und verkaufen ihre geheimen Gewürzmischungen. Manch einer subventioniert mit dem Verkauf seiner Spezialitäten die teure Mannschaft und hält in Randzeiten die Küchenmaschinerie damit am Laufen. Und macht uns mit seinen Preziosen glücklich.
Deren Genuss daheim ersetzt zwar nicht den Besuch im Sterne-Tempel, doch holen sich die Foodies dessen Kompetenz und Zutaten in die heimische Küche. Wer einmal die Fleisch- und Fischfonds von Werni Tobler oder von Le Saucier verkocht hat, macht die nicht mehr selbst. Wer die Terrinen und Pasteten von Philippe Chevrier als Vorspeise gereicht hat, zählt plötzlich mehr Freunde, als ihm lieb sein kann. Ein Glas Hummerbisque vom Widder-Koch Stefan Heilemann kittet jeden Ehestreit.
Die Drei-Sterne-Köche Caminada und Giovannini verkaufen in ihren den Restaurants angegliederten Shops und Bäckereien ihre Delikatessen, so wie das Zwei-Stern-Magdalena auch. Jetzt in der Spargelzeit eine perfekte Hollandaise ohne die ganze Mischerei und die Angst, ob sie überhaupt zusammenhält? Fragen Sie Ihren Lieblingskoch.
Richard Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Er findet, (Billig-)Fleisch essen ist kein Menschenrecht. Seine Rezepte (auch das mit Spargel, Morchel und Blätterteig) veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch. Instagram @richifoodscout.