Die Folgen der Erderwärmung blieben an den höchsten Bergen lange unsichtbar. Doch nun fällt weniger Schnee – und Trockenheit, Stein- und Eisschläge bedrohen die Alpinisten.
Die Achttausender-Saison beginnt traditionell jeweils mit der Besteigung der Annapurna. Der Grund: Der Berg ist nur etwas mehr als 8000 Meter hoch und zählt damit zu den niedrigeren Achttausendern. Auf dem Gipfel ist es deshalb gewöhnlich nicht so kalt wie am Makalu, am Lhotse, am Kangchendzönga oder am Mount Everest, deren Gipfel fünfhundert und mehr Meter höher liegen.
Ob es Anfang April mit einem Gipfelerfolg an der Annapurna I klappen würde, war allerdings lange Zeit unklar. Der Berg gab damit eine Vorahnung davon, was sich in diesem Frühling auch an den anderen Achttausendern im Himalaja zeigen dürfte. Der Winter war viel zu trocken. Niederschläge blieben aus. Und in der Höhe fiel zu wenig Schnee. Das stellte die Bergsteiger an der Annapurna in diesem Jahr vor besondere Herausforderungen.
Die Folgen beschrieb Mingma Gyalje Sherpa, einer der erfolgreichsten nepalesischen Höhenbergsteiger, Guides und Expeditionsveranstalter, in einem Post in den sozialen Netzwerken: «Ich habe den Annapurna noch nie in einem so schlimmen Zustand erlebt. Früher sind wir mit Steigeisen zum Lager I aufgestiegen, und dieses Jahr nehmen wir unsere normalen Trekkingstiefel.»
Plötzlich sind da überall Spalten und Risse
Aus seiner Erfahrung in der Vergangenheit wusste Mingma Gyalje, wie viel Seil nötig ist. Doch weil heuer aufgrund des geringen Schneefalls zu viele Spalten offen sind und sich das Team seiner Agentur mühsam einen Weg durch das Gewirr aus Klüften und gefährlich über der Aufstiegsroute hängenden Séracs suchen musste, wurde der Weg länger – und wurde entsprechend mehr Seil benötigt als gewöhnlich. Eine dieser Spalten wurde Vadim Druelle beinahe zum Verhängnis: Der französische Speed-Bergsteiger wollte an dem Berg einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Er stürzte in eine Spalte und überlebte nur mit viel Glück.
Die klimatischen Veränderungen hinterlassen im Himalaja deutliche Spuren. Vom Island Peak, früher ein beliebter Trekking-Sechstausender, raten Veranstalter längst ab. Am Mera Peak, einem anderen populären Trekking-Sechstausender, tun sich beim Aufstieg zum Gipfel links und rechts der Route ungewöhnlich viele Risse auf. Den 7126 Meter hohen Himlung haben Veranstalter wie Furtenbach Adventures aus dem Programm gestrichen, weil der Gletscherrückgang insbesondere im unteren Bereich des Berges die Steinschlaggefahr jüngst erhöht hat.
Konnten die Wunden, die die globale Erwärmung auch an den Eisriesen des Himalaja hinterlässt, lange Zeit noch vom Niederschlag überdeckt werden, treten sie nun immer offener zutage. Heuer gibt es an den Achttausendern ungewöhnlich wenig Schnee, dafür viel Trockenheit, Staub, Stein- und Eisschlag. Laut dem vom International Centre for Integrated Mountain Development in Kathmandu vorgelegten «Snow Update 2025» ist im vergangenen Winter in der Himalaja-Hindukusch-Region 23,6 Prozent weniger Schnee gefallen als bisher üblich. Das ist der niedrigste Wert seit 23 Jahren.
Steinbrocken, so gross wie eine Mikrowelle
Anja Blacha ist die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin, sie stand mittlerweile auf den Gipfeln von elf Achttausendern, zehnmal ohne Flaschensauerstoff. Auch sie berichtet nach ihrem Gipfelerfolg an der Annapurna vor wenigen Tagen von enormer Trockenheit und wenig Schneefall im vergangenen Winter. Während die kommerziellen Expeditionen vom Lager III zum Gipfel starteten, hatte Blacha ihr Zelt zusätzlich im Lager IV in 6950 Metern Höhe aufgeschlagen. «In der Gegend lagen viele grosse Steinbrocken, so gross wie eine Mikrowelle», erzählt sie im Telefonat aus Kathmandu. Steinschlag, selbst in grosser Höhe, kann durchaus klimatische Ursachen haben.
Und das hat Folgen für das Bergsteigen. Auffällig an der Annapurna ist laut Blacha gewesen, dass beim Abstieg zahlreiche Bergsteiger die Passage unterhalb von Lager III mieden. «Da wollte niemand mehr ein zweites Mal durch», sagt sie. Im Aufstieg hatte Blacha in dieser gefährlichen Zone eine Eislawine weitgehend unversehrt überstanden. Der Italiener Gian Luca Cavalli kam weniger glimpflich davon: Die Eislawine traf ihn an der Hand und am Kopf; er musste ins Spital gebracht werden.
Am 7. April, als die meisten Leute den Gipfel erreichten, gab es acht Helikopterflüge, um Bergsteiger vom Lager III ins Basislager zu bringen. Blacha gehörte zu den wenigen, die sich gegen den Transport im Helikopter entschieden. «Ich hätte mir gewünscht, nicht durch diese Passage absteigen zu müssen, aber es gehört dazu. Für mich wäre der Berg sonst nur halb bestiegen gewesen.»
Mingma Gyaljes Fazit: «Dieser Berg ist einfach zu riskant. Das ist meine letzte Expedition auf die Annapurna gewesen.» In einem anderen Social-Media-Post schrieb er: «Ich werde in Zukunft keine Expedition mehr auf die Annapurna führen. Ihre Schönheit hat mich immer angezogen, aber ich will mein Leben hier nicht mehr riskieren.»
Und wie sieht es am Mount Everest aus? In den kommenden Wochen wollen sich laut Berichten rund 400 Alpinisten aus der ganzen Welt am höchsten Berg und an seinem Nachbarn, dem Lhotse (8516 Meter), versuchen. Bis ins Lager III auf 7200 Metern Höhe nutzen sie für beide Berge die gleiche Aufstiegsroute und die gleichen Lager.
Ein ungewöhnlicher, konstant starker Wind hat im Basislager auf dem Khumbu-Gletscher in den vergangenen Wochen zahlreiche Zelte zerstört. Und auch die Trockenheit der vergangenen Wochen und Monate macht die Situation am Berg heuer zu einer besonderen. Das sagt Dawa Steven Sherpa von Asian Trekking. Der Expeditionsveranstalter stand vor 18 Jahren zum ersten Mal auf dem Gipfel des Mount Everest. Er hat mit eigenen Augen gesehen, wie der Berg sich seither gewandelt hat.
Der März war in diesem Jahr besonders trocken. Die Folge? An immer mehr Stellen zeigt sich blankes Gletschereis ohne Schneeauflage.
Seen, Rinnsale und blaues Gletschereis
Am auffälligsten sei die Veränderung im Basislager auf dem Khumbu-Gletscher, sagt Dawa Steven am Telefon. Auf dem Gletscher bilden sich mittlerweile regelmässig kleine Seen. Unter dem Eis entstehen Höhlen, deren Decken einstürzen können – Beobachtungen, die Gletscherforscher auch in den Alpen machen. Die Expeditionsveranstalter müssen deshalb aufpassen, wo sie ihre Zelte aufbauen und wo die Wege verlaufen.
Über die Verhältnisse in den oberen Passagen des Everest lässt sich erst in einigen Wochen Genaueres sagen. Die Icefall-Doctors haben die Route durch den zerklüfteten Khumbu-Eisbruch mit Leitern und Fixseilen ausgestattet. Bei der Wegfindung und beim Transport des benötigten Materials wurden sie in diesem Jahr zum ersten Mal von Drohnen unterstützt.
Schon jetzt ist allerdings klar: Am Mount Everest sind die Verhältnisse ähnlich kompliziert wie an der Annapurna. Suraj Paudyal unterstützt die Icefall-Doctors vom Basislager aus. Er sagt: «Der Winter war trocken und windig. Der März besonders. Trockenheit begünstigt Steinschlag und Lawinen.» Hinzu komme, dass das Gletschereis spröde wie Glas sei. Auf Fotos, die Paudyal zur Illustration des Gesagten schickt, ist blankes Gletschereis ohne Schneeauflage zu erkennen. Über das Eis winden sich kleine Rinnsale. An den steilen Flanken ist deutlich das blaue Eis des Gletschers zu sehen.
Um eine gangbare Route durch den Khumbu-Eisbruch zu ermöglichen, mussten die acht Icefall-Doctors heuer besonders nah an die Westschulter des Everest heranrücken. Das ist riskant. 2014 starben 16 Sherpas durch eine Lawine, die von der Westschulter auf den Khumbu niederging. Laut Dawa Steven Sherpa, der in engem Kontakt mit den Icefall-Doctors steht, führt die gegenwärtige Route an einer durch Steinschlag gefährdeten Zone vorbei. Auch einige Séracs machen den Weg durch den Khumbu-Gletscher gefährlicher als in den Jahren zuvor.
Nun ist die Crew der Expedition Operators Association gefordert: Sie muss die Route vom Lager II in rund 6400 Metern Höhe bis zum 8848 Meter hohen Everest-Gipfel präparieren. Ob auch sie an der einen oder anderen Passage einen Zickzackkurs wählen muss, wie das Team an der Annapurna? Ausschliessen kann das im Moment niemand.