Den Gotthard-Basistunnel gibt es schon lange – und bald gibt es auch den Brenner-Basistunnel. In Deutschland werden die Zulaufstrecken für schnellen Personen- und mehr Güterverkehr erst erhebliche Zeit später fertig. Woran das liegt.
Für die Deutsche Bahn (DB) war es ein «Meilenstein»: Ende April teilte sie mit, dass im Grenzgebiet zwischen Weil am Rhein und Basel eine neue Gleisgruppe für den Güterverkehr in Betrieb genommen worden sei. Zwei Durchfahrt-Gleise für die Züge zwischen Deutschland und der Schweiz, vier weitere für die Zollabfertigung und interne Aufgaben wie Lok- und Personalwechsel.
Zwölf Kilometer Gleise sind verlegt, eine Eisenbahnbrücke erneuert, Lärmschutzwände errichtet – zweieinhalb Jahre nach dem symbolischen Spatenstich auf Schweizer Gebiet. Der Planfeststellungsabschnitt 9.3, der südlichste der rund 200 Kilometer langen Ausbaustrecke Karlsruhe–Basel im Zulauf zum Gotthard, zeigt, wie kleinteilig und komplex die Schaffung einer modernen Bahninfrastruktur sein kann.
Und genau darin liegt die Schwierigkeit, ein grosses europäisches Eisenbahnprojekt zu koordinieren. Beteiligt sind multinationale, nationale und regionale Verwaltungsapparate, Ingenieur- und Baufirmen sowie Hersteller von Tunnelanlagen, Brücken, Trassen und Rollmaterial. Einige Beispiele laufender Projekte verdeutlichen die Komplexität.
Was etwa dem ICE-Reisenden zwischen Weil am Rhein und Basel kaum auffallen wird, ist für die Fracht auf Schienen «die Beseitigung eines Nadelöhrs – wir schaffen dringend benötigte Kapazitäten für den internationalen Güterverkehr», betont Ingrid Felipe. Sie ist Vorstand des Ressorts Infrastrukturplanung und -projekte bei der DB Infrago AG, der Konzerntochter für Netz und Bahnhöfe.
Felipe, zuvor Grünen-Politikerin im österreichischen Bundesland Tirol, muss – wie im Abschnitt zwischen Weil und Basel – immer wieder auch in kleinen Schritten denken. Denn fast acht Jahre nach der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels ist das in einem Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz vereinbarte Ziel, die wichtige Bahnstrecke im Rheintal zwischen Karlsruhe und Basel durchgehend viergleisig auszubauen, nur abschnittsweise realisiert. Die Fertigstellung der Viergleisigkeit ist für 2035 avisiert. Fast 19 Jahre nach der Tunneleröffnung in den Alpen.
Der vollständige Ausbau für Tempo 250 soll bis 2041 folgen. Bis jetzt sind 60 Kilometer in Betrieb, gebaut werden derzeit etwa 20 Prozent der Strecke, für einige Abschnitte gibt es noch keine Baugenehmigung. Dabei zählt sie als Teilstück des Verkehrskorridors zwischen Italien und den Nordseehäfen zu den von der EU geforderten und geförderten Transeuropäischen Netzen (TEN).
Dass es so lange dauert, hat verschiedene Ursachen. Die Erteilung des Baurechtes ist bekanntlich ein komplizierter bürokratischer Prozess, der insbesondere mit den Abwägungen der Umweltverträglichkeit viel Zeit braucht. Zudem entwickelt sich gegen Infrastrukturprojekte allenthalben mehr und mehr Bürgerwiderstand. So auch im badischen Offenburg und darum herum, wo zwei Gleise für den Güterverkehr durch die Stadt gelegt werden sollten.
Der Protest aktivierte die Politik bis hinauf zum kürzlich verstorbenen Wolfgang Schäuble noch in seiner Zeit als Bundesfinanzminister. Erreicht wurde, dass der Deutsche Bundestag 2016 den Investitionen für den elf Kilometer langen Rastatt-Tunnel zustimmte, trotz Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich.
Es gibt regionale Widerstände
Nicht ohne Widerstand ist laut Ingrid Felipe auch der Anschluss an den zweiten Alpen-Basistunnel. In Bayern gibt es erheblichen Widerstand gegen die Fortführung der Brenner-Strecke, die vom nördlichen Tunnelportal in der Nähe von Innsbruck aus zunächst durch das Inntal in Tirol und Oberbayern und dann weiter Richtung München geplant ist.
Eine über 60 Kilometer lange, von der DB ausgewählte «Vorzugsstrasse» von Kiefersfelden vor der österreichischen Grenze bis nach Grafing bei München soll Möglichkeiten für schnellen Fernverkehr und Kapazitäten für internationale Güterzüge schaffen. Etwa 60 Prozent der Strecke würden umweltverträglich im Tunnel verlaufen. Sie wäre, wie die Alpenquerung selbst, Teil des sogenannten TEN-Korridors von Skandinavien nach Sizilien.
Derzeit müssen sich die Planer mit den «Kernforderungen» aus der Region befassen. Es sind Maximalforderungen. Der Landkreis Rosenheim bezweifelt, dass der neue Tunnel erheblich mehr Verkehr auf die Schiene bringt. Er fordert «die Erbringung des grundsätzlichen Nachweises dafür, dass für die Umsetzung des Brenner-Nordzulaufs die Errichtung einer Neubaustrecke tatsächlich erforderlich ist». Könne dieser Bedarfsnachweis nicht erbracht werden, sei das Projekt aufzugeben. Wenn doch gebaut werden sollte, dann müsste die Strecke auch über die geplanten Bauwerke hinaus weitestgehend im Tunnel verschwinden.
Die Vorständin Felipe akzeptiert den Druck aus der Politik; das sei «normale parlamentarische Diskussion». Auch wenn bereits rund hundert Vorschläge von Anwohnern und Gemeinden in die Trassenplanung eingegangen seien. Die Bahn müsse die nun vorgelegten Kernforderungen fachlich bewerten. Die Entscheidung falle ohnehin in Berlin im Deutschen Bundestag. Das Projekt gehe nächstes Jahr in die parlamentarische Diskussion.
Wie schnell die Politik entscheidet, ist offen. So oder so: Der Brenner-Tunnel werde gemäss allen Prognosen den Bahnen deutliches Verkehrswachstum bringen, sagt Felipe. Und die neue Strecke über die vorgesehenen 60 Prozent hinaus im Tunnel zu verstecken, sei nach Ansicht der DB zwar technisch machbar. Jedoch überstiegen die hohen zusätzlichen Kosten den gesetzlichen Planungsauftrag. Das könne nur der Bundestag entscheiden.
Anfang der 2030er Jahre soll der Brenner-Basistunnel, der dann längste Eisenbahntunnel der Welt, fertiggestellt sein. Die DB habe sich das Ziel gesetzt, die «Gesamtinbetriebnahme» des Zulaufs bis 2040 zu realisieren. Damit befinde man sich innerhalb des international abgestimmten Zeitplans, betont Felipe. Ein Zuckerbrot für die ablehnenden Oberbayern: Parallel soll die bestehende Bahnstrecke modernisiert, mit Schallschutz ausgestattet und für den gewünschten Nahverkehr im Takt ausgestattet werden.
Auch das Meer wird für die Bahn untertunnelt
Um den TEN-Korridor Skandinavien–Sizilien geht es auch im hohen Norden an der Ostsee. Zwischen der dänischen Insel Lolland und ihrem deutschen Gegenüber Fehmarn laufen die Baumassnahmen für die «feste Fehmarnbelt-Querung» bereits seit mehreren Jahren auf vollen Touren.
Von Norden aus entsteht ein 18 Kilometer langer, dann weltweit längster Absenktunnel aus vorgefertigten Betonsegmenten für zwei elektrifizierte Bahngleise und eine vierspurige Autobahn. In Puttgarden, dem deutschen Fährhafen der «Vogelfluglinie», haben die bautechnischen Vorbereitungen für die Tunnelzufahrten ebenfalls begonnen.
Problematischer ist auch bei diesem Projekt der Zulauf in die deutsche Verkehrsinfrastruktur. Knapp 90 Kilometer Schienenausbau- und -neubaustrecke bis nach Lübeck sind geplant. Hinter den Verfahrensbeteiligten liegen kontroverse Auseinandersetzungen. Mehr als 15 000 Stellungnahmen und Einwendungen aus dem Bundesland Schleswig-Holstein machten die Planung langwierig.
Nicht immer gab es Ablehnung: Zwar wurde vielfach die Befürchtung wachsender Lärmbelästigung durch zunehmenden Verkehr geäussert. Es gab aber auch konkrete Vorstellungen, wie die Badeorte an der Lübecker Bucht zukünftig an Schiene und Strasse angeschlossen werden können, wenn die bisherige eingleisige «Bäderbahn» weichen muss.
Das Ringen um Kompromisse und Alternativen fand 2020 mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ein Ende. Unter anderem musste es sich ausführlich mit Fragen auseinandersetzen, ob und inwieweit die Schweinswal-Populationen rund um die Insel Fehmarn durch das Projekt geschädigt werden. Die letzten Klagen von Projektgegnern wurden abgewiesen.
Zügig voran geht es gleichwohl nicht. «Es geht nicht nur um viel Geld, sondern immer wieder auch um die Lösung technischer Probleme», sagt Ingrid Felipe. So macht sich der Gemeinderat der Inselgemeinde Fehmarn Sorgen um die Trinkwasserversorgung, an anderer Stelle brüten die Ingenieure, wie sie eine feste, sichere Trasse in die durchlässigen leichten Böden nahe der See legen können.
Gelöst ist zumindest in der Planung eine Spezialaufgabe: Zwischen dem ostholsteinischen Festland und der Insel Fehmarn muss der Fehmarnsund überquert werden. Bis jetzt führt eine ansehnliche Brücke über die schmale Wasserstrasse, im Volksmund «Kleiderbügel» genannt. Sie nahm über Jahrzehnte den Auto- und Bahnverkehr zur Vogelfluglinie auf – zweispurig auf der Bundesstrasse, eingleisig auf der Schiene.
Das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk wird saniert; doch der künftige Verkehr soll wie bei der Belt-Querung ebenfalls durch einen Unterwassertunnel mit Schienen und Strasse geleitet werden.
Trotz der anspruchsvollen Bauaufgabe ist die Infrastruktur-Expertin der DB optimistisch, dieses Projekt kurzfristig nach der Fertigstellung des neuen Tunnels zwischen Deutschland und Dänemark abschliessen zu können. «Die dänischen Tunnelbauer wollen 2029 bei uns in Puttgarden ankommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die deutsche Anschlussstrecke kurzfristig danach in Betrieb nehmen können. Das ist sehr ambitioniert und fordert sehr viel Anstrengungen von der Bahn und allen Behörden.»
Weitere Ausbaupläne für das deutsche Schienennetz ergeben sich zwangsläufig. «Von den neun TEN-Korridoren, die die EU definiert hat, durchlaufen sechs Deutschland. Das nächste Grossprojekt ist auf dem Weg: Es ist eine Neubaustrecke von Dresden nach Tschechien mit einem Tunnel durch das Erzgebirge. Ein Verkehrsweg, der grosse Teile des östlichen Europa und darüber hinaus des Orients mit den deutschen Seehäfen verbindet.» Die Planung einer Vorzugsvariante ist auch hier abgeschlossen und geht bald in die politische Beratung.