Bei den Vorwahlen in Iowa spielen die christlichen Fundamentalisten eine entscheidende Rolle. Bei allen Vorbehalten gegenüber seinem Lebenswandel setzen sie ihre Hoffnung auf Trump, in dem sie einen apokalyptischen Krieger sehen.
«Gesegnet sei Trump! Hilf ihm, Jesus, Amerika wieder aufzubauen. Alle, die Gott fürchten, sollen sich um Trump versammeln. Lass ihn die Abrissbirne sein, die die korrupte Regierung niederreisst.» Dies sind Sätze aus dem Gebet, das ein Pastor in Clinton, Iowa, am 6. Januar vor versammelter Menge gen Himmel richtete, bevor Trump selbst die Bühne betrat und seine Wahlkampfrede hielt. Das Publikum beklatschte die kleine Predigt frenetisch. Viele trugen Caps mit der Aufschrift: «Jesus Is My Savior, Trump Is My President».
Zuvor, bei einer Rally in Coralville, ebenfalls in Iowa, ging ein Pastor sogar so weit, im Namen Gottes die Gegner Trumps vor der fürchterlichen Rache zu warnen, die sie ereilen werde, wenn er wiedergewählt werde. Trumps Feinde seien Werkzeuge des Teufels, sagte er und beschwor die bevorstehende spirituelle Schlacht.
Iowas Bevölkerung ist sehr religiös, mit 28 Prozent Evangelikalen. Wenn am Montag hier mit dem Caucus die ersten republikanischen Vorwahlen stattfinden, wird das Resultat eine Signalwirkung für das ganze Land haben, obwohl der Gliedstaat alles andere als repräsentativ für die USA ist. Er hat lediglich etwas mehr als drei Millionen Einwohner, mehrheitlich Weisse, und ist ländlich geprägt. Zudem müssen die Wähler persönlich ihre Stimme abgeben. Angesichts prognostizierter Mindesttemperaturen von minus 28 Grad werden sich nur Hartgesottene auf den Weg machen, was Trump zugutekommen dürfte.
«Und Gott erschuf Trump»
Vor Trumps Rede in Clinton wurde ein Video mit dem Titel «God Made Trump» eingespielt. Darin wird suggeriert, dass Gott 1946 Trump erschuf, um Amerika zu retten. Er wird als Hirte bezeichnet, der sich um seine Herde kümmert und sie führt – wie Jesus, wenn nicht wie Gott selbst. Einige Pfarrer in Iowa zeigten sich empört über den Spot und bezeichneten ihn als blasphemisch. Vor allem auch, weil Trump ja nicht gerade für seinen christlichen Lebenswandel und seine tiefe Gläubigkeit bekannt ist. Das ist in der Tat die grosse Frage: Warum ist ausgerechnet Trump für so viele Evangelikale zu einem Heilsbringer geworden, in den sie alle ihre Hoffnungen setzen?
Vielleicht kann Steve Scheffler weiterhelfen. Der 75-Jährige ist Präsident der Iowa Faith and Freedom Coalition, der wohl einflussreichsten rechts-christlichen Organisation in den USA. Scheffler ist auch Mitglied im Republican National Committee und hat in seiner langen Karriere vier Präsidentschaftskampagnen mitgestaltet und unzählige Politiker beraten.
Man trifft sich gegen Abend in einem unscheinbaren, fast leeren Café im verschneiten Clive, einem Vorort von Des Moines, wo ihn vermutlich kaum jemand erkennt. Er hat mehrere Treffen hinter sich. Was frappiert im Gespräch ist der Gegensatz zwischen seinem präzisen Wissen – er kann Wahlstatistiken aus den achtziger Jahren abrufen – und der Polemik, wenn es um Biden und die Demokraten geht.
Seine Organisation gibt keine Wahlempfehlung ab, aber er macht kein Hehl daraus, dass er beeindruckt ist von Trumps Durchschlagskraft und ihm gute Chancen sowohl im Caucus am 15. Januar wie auch bei den eigentlichen Wahlen einräumt, insbesondere unter den weissen Evangelikalen, die in den USA etwa 14 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen.
Ist es den Religiösen egal, dass Trump nicht in die Kirche geht, dass er ein Playboy und zwei Mal geschieden war? «Wir suchen ja keinen Pastor», sagt Scheffler, «sondern einen Politiker, dem man zutraut, dass er evangelikale Anliegen durchbringt. Mit der Besetzung des Supreme Court, der Beendigung des nationalen Rechts auf Abtreibung und der Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem hat er bewiesen, dass er liefert.» Es habe immer wieder christliche Politiker mit untadeligem Lebenswandel gegeben, die jedoch nichts zustande gebracht hätten. Trump aber sei ein Macher. Mit anderen Worten: Jesus selbst hätte bei den Wahlen wahrscheinlich unter republikanischen Evangelikalen keine Chance. Er würde als zu «soft» durchfallen.
«Wir sind alle Sünder», sagt Scheffler, um Trumps Lebenswandel zu relativieren. Allerdings könne Trump so schlimm ja nicht sein, meint er. Trumps Kinder seien, im Gegensatz zu Hunter Biden, gut herausgekommen. Biden hält er für den schlimmsten Präsidenten aller Zeiten, noch schlimmer als Obama. Er zerstöre absichtlich das Land und die Freiheit, unternehme nichts gegen die «Invasion» aus dem Süden, während seine Partei Israel der Vernichtung preisgeben wolle. Biden habe offensichtlich jeden Kontakt zur Realität verloren. Scheffler fragt sich, wer im Hintergrund die Fäden ziehe – vielleicht Obama?
Amerika befinde sich am Kipppunkt. Er vergleicht die Situation mit kommunistischen Ländern und Bananenrepubliken. Die religiöse Freiheit und die Christen selbst seien bedroht. Als Beispiel erwähnt er, nebst den vorübergehenden Kirchenschliessungen wegen Covid-19, ein schwules Paar, das wegen Diskriminierung gegen gläubige Restaurantbetreiber in Iowa klagte, die ihr Lokal nicht für die Hochzeitsfeier zur Verfügung hatten stellen wollen.
«Man weiss nicht einmal mehr, was ein Mann ist»
Ganz so bedroht scheint das Christentum in Iowa allerdings nicht zu sein. Immerhin findet am 8. Januar in der Hauptstadt Des Moines unter dem Titel «Gather at the Gate» ein Gebetsanlass im Capitol statt. In der prächtigen Rotonda werden Kirchenlieder gesungen, mehrere Prediger halten Andachten und beten mit den Anwesenden. Eine Frau vollführt eine Art amerikanisches Fahnenschwingen, ein DJ führt durch das Programm. «Sie zerstören unsere Familien», ist ein Refrain der Reden, wobei nicht präzisiert werden muss, wer «sie» sind.
Der wichtigste Redner ist Bob Vander Plaats, der Vorsitzende der Organisation The Family Leader, ebenfalls eine wichtige evangelikal-republikanische Lobbygruppe, die den Anlass organisiert hat. Sie hat im Gegensatz zur Iowa Faith and Freedom Coalition eine Wahlempfehlung abgegeben, und zwar für den Gouverneur von Florida, Ron DeSantis.
Unter dem Titel «Gather at the Gate» lud die rechts-christliche Organisation The Family Leader mit ihrem Präsidenten Bob Vander Plaats (unten) am 8. Januar im Iowa State Capitol in Des Moines zu einem Anlass mit Gebet und Gesang.
Im Gespräch erklärt Vander Plaats, dass Trump zwar die Vorwahlen gewinnen könnte, aber nicht die eigentlichen Wahlen. Dafür sei er zu extrem. Was die christliche Glaubwürdigkeit Trumps angehe, sagt er, gehe es bei ihm immer um Deals, um «Transaktionen»: «Du tust etwas für mich, ich tue etwas für dich.» Um die Unterstützung der Evangelikalen zu gewinnen, habe er ihnen zwar die Abschaffung des nationalen Rechts auf Abtreibung in Aussicht gestellt und sein Versprechen gehalten; aber ob er persönlich Abtreibung wirklich ablehne, sei unklar. Deshalb glaubt er, entgegen den Umfragen, die einen Sieg Trump voraussagen, dass DeSantis in Iowa gewinnen wird.
Auch er glaubt, das Christentum sei bedroht. Aber angesichts des Gebetsanlasses im Capitol kann man ja nicht einmal von einer Trennung zwischen Staat und Kirche sprechen, geschweige denn von einer Bedrohung. Er widerspricht: «Hinter dem Laizismus steht die Idee, dass man die Kirche vor der Einflussnahme durch den Staat schützen muss. Die Kirche hingegen kann und soll der Politik beratend und helfend zur Seite stehen – ein biblischer Bund.»
Ein Beispiel für den Zerfall der christlichen Werte ist für ihn die Tatsache, dass man nicht einmal mehr wisse, was ein Mann und eine Frau seien. Als weiteren Beleg könne man die Rechte der Eltern anführen: «Wenn diese nichts mehr gelten, dann können wir unsere Kinder ja gleich der Regierung übergeben, damit sie sie erzieht. Wir werden in die Ecke gedrängt und verfolgt. Und deshalb brauchen wir einen radikalen Erneuerer.»
Die Wahl als Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse
Besucht man die evangelikalen Kirchen in Des Moines, ist der Fundamentalismus nicht auf Anhieb spürbar. Vor allem fällt die Modernität des Gottesdienstes auf. Professionelle Bands, in farbiges Licht getaucht, spielen christlichen Pop, die Texte kann man von den Bildschirmen ablesen. Eine Art kirchliches Karaoke. Der Predigt kann dank perfekter Power-Point-Projektion auch ein verschlafener Morgenmuffel gut folgen.
In der gut gefüllten Valley Church, einer Megakirche für etwa tausend Besucher, spricht der Pastor an diesem Sonntag über das unverfängliche Thema, wie wichtig ein gelegentlicher Rückzug aus dem tätigen Leben sei, so wie sich auch Jesus zum Gebet in die Wüste oder auf den Berg zurückzog. Wunderschöne, meditative Bilder von israelischen Landschaften untermalen die Betrachtungen. Politische Bezüge werden vermieden. Nach dem Gottesdienst gibt es Kaffee, in einer Sofaecke kann man sich geistlichen Beistand holen. Unter den Besuchern sind Junge und Alte, Männer und Frauen, Weisse und Schwarze, auch viele Familien mit Kindern.
Saylorville hingegen gilt als rechtslastige Kirche; auf der Website wird zum Beispiel die Evolutionslehre abgelehnt. Aber auch hier geht es am Sonntag um ein unpolitisches Thema: den übertriebenen Hedonismus, der nicht glücklich macht. Das Niveau der Predigt, gespickt mit philosophischen und literarischen Bezügen, ist frappant höher als in Schweizer Kirchen. Irritierend ist höchstens, dass ausgerechnet die LGBT-Vertreter als Beispiel für schrankenlose Genusssucht herhalten müssen. So als ob Homosexuelle Gelüste auslebten, die bei guten Christen nur deshalb nicht hervortreten, weil sie sie im Zaum halten. Aber abgesehen davon versuchen sich vermutlich auch die extremeren Kirchen gemässigt zu geben, um niemanden abzuschrecken. Denn der Exodus aus den Kirchen hat auch vor den Evangelikalen nicht haltgemacht, und es herrscht ein Verteilkampf. Als Neuankömmling wird man geradezu gehätschelt.
Die Saylorville Church ist eine der vielen evangelikalen Kirchen in Des Moines.
Hinter den Kulissen sieht es allerdings weniger konziliant aus. Steffen Schmidt, emeritierter Professor an der Iowa State University und Experte für die Zusammenhänge zwischen Evangelikalismus und Politik, zeichnet ein beunruhigendes Bild der Szene. «Für viele Evangelikale geht es dieses Jahr nicht nur um eine politische Wahl, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres», sagt er im Gespräch. «Für sie steht die Zukunft Amerikas und des Christentums auf dem Spiel. Sie sehen die Wahl als finale Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse – ein Art Armageddon.»
Trumps Verachtung der Frauen stösst auf Resonanz
Viele hätten in einer Mischung aus Hoffnung und Angst schon lange auf diesen Moment gewartet. Schliesslich seien viele dieser Kirchen auf das Jüngste Gericht ausgerichtet. Trump sei in diesem Drama für viele eine Art Gesandter oder Werkzeug Gottes. Dass er nicht gerade ein Vorzeigechrist sei, sei bekannt. Aber er werde als wilder Kämpfer betrachtet, ein Mittel zum Zweck, das Gott in seinem unerforschlichen Ratschluss ausgewählt habe. Dass er auf so viel Widerstand stosse, auch in Form von Gerichtsprozessen, und trotzdem standhaft bleibe, erhöhe die Bewunderung für ihn. Es rücke ihn noch näher zum heldenhaften Leiden Jesu.
Selbst Trumps oft abfällige Haltung gegenüber Frauen und die Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung minderten sein Ansehen nicht, sagt Schmidt. «Unter Evangelikalen ist die Vorstellung der männlichen Dominanz gegenüber Frauen weit verbreitet. Trumps Machismo passt perfekt in dieses Bild.»
Auch Trumps Reichtum wirke für seine Jünger nicht sündhaft. «Viele Evangelikale glauben, Wohlstand sei ein Zeichen von Gottes Gunst», sagt Schmidt. «Trump wäre nicht Milliardär, wenn Gott das nicht so gewollt hätte.» Die Kehrseite davon sei eine Verachtung für die Armen und die Leidenden. Das sei zwar nicht das, was Jesus gepredigt habe, aber populär.
Noch eine weitere Parallele sieht Schmidt: «Trump versteht es, sich als Aussenseiter zu inszenieren, obwohl er zur Elite gehört. Genau so ist es mit den Evangelikalen. Sie verfügen über beträchtliche Macht, und trotzdem sehen sie sich als verfolgt und unterdrückt oder geben sich zumindest so.»
Sowohl Linke wie Rechte fürchten sich vor der Zukunft
Es ist Schmidt allerdings wichtig, nicht zu sehr auf Trump zu fokussieren. «Die Verbindung der Republikaner mit den weissen Evangelikalen hat viel früher begonnen, mit Reagan in den achtziger Jahren», sagt er. «Und sie wird andauern, auch wenn Trump von der Bühne verschwindet.» Auch sei der politische Rechtsdrall nicht auf die USA beschränkt, sondern betreffe viele Länder. «Es hat mit der Globalisierung, der Migration, der Auflösung von alten Ordnungen und dem Niedergang der Religion zu tun», sagt er.
Aber in den USA beunruhigt ihn vor allem die apokalyptisch-messianische Stimmung unter den Evangelikalen. «Das Ende sei nah, rufen sie, aber nicht in Angst, sondern in einer Euphorie. Sie wollen nicht mehr warten, bis Gott zur Endschlacht aufruft, sondern das Ziel politisch erreichen», sagt er. «Und wenn es um alles oder nichts geht, ist kein Einsatz zu hoch.»