In den neunziger Jahren wurde sie als Sängerin von Portishead zur Kultfigur des Trip-Hop. Seither lässt sich Beth Gibbons nur noch selten vernehmen. Umso gespannter war man am Dienstag auf ihr Konzert in Zürich.
Die Dunkelheit hat die Bühne verschluckt, die Musik wogt in schäumenden Klängen. Dann plötzlich ein ängstliches Wispern aus der Umnachtung, ein verwehtes Seufzen – bloss gehaucht, doch stark im Effekt. Wer diese Stimme vernimmt, fühlt sich wie aus selbstgerechtem Schlaf gerissen. Mit ihren Klagen macht einen Beth Gibbons sofort hellhörig für die Schreckensvisionen, die sie umtreiben.
Das war schon in den neunziger Jahren so, als man mit viel Vergnügen über die Sinnlosigkeit des Seins hinwegzugehen suchte. Alles wird gut, dachte man sich damals. Als dann aber Beth Gibbons ihre Stimme erhob als Sängerin des britischen Trios Portishead, sickerten sofort Zweifel und Melancholie zurück in die scheinbar unbeschwerte Gegenwart. Aber o Wunder! Das elegische Leiden erwies sich als Genuss. Eine ganze Generation wurde süchtig nach den Orakelsprüchen der singenden Kassandra, die lange nachhallten in der Leere der Spassgesellschaft.
Süchtig nach Melancholie
«Oh, can’t anybody see – we’ve got a war to fight», mahnte Beth Gibbons damals in «Roads». Und als sie den alten Hit am Dienstagabend nun auch wieder im Zürcher Theater 11 intonierte, glaubte man sie erstmals wirklich zu verstehen. Als hätte sich unterdessen ein Schicksal erfüllt.
Beth Gibbons ist sich musikalisch und poetisch treu geblieben über all die Jahre. Das Projekt Portishead schlummert zwar seit langem. Mit dem Album «Out of Season» aber hat sie sich 2002 an der Seite des Produzenten Rustin Man alias Paul Webb (von der Band Talk Talk) als Solosängerin in Szene gesetzt. 22 Jahre später nimmt sie mit dem Album «Lives Outgrown» den Faden der Solokarriere wieder auf. Abermals scheint sie an der Gegenwart zu zweifeln und zu verzweifeln. Abermals pflanzt sie in ihre Songs schlichte Worte und simple Motive, die sich mit der Zeit wuchernd verweben und verzweigen.
Im Konzert ist das Ergebnis noch eindrücklicher, was zunächst an der Präsenz und dem Engagement der Begleitband liegt. Schon das Instrumentarium erstaunt, das der sensiblen Handhabe von sieben Musikerinnen und Musikern obliegt und sich aus Gitarren, Geige, Bratsche, Bass sowie verschiedenen Blasinstrumenten und Trommeln zusammensetzt. Für die elektrisierenden Ambient-Sounds sorgt überdies der Keyboarder.
Die Komplexität des Klangkörpers entspricht Beth Gibbons differenzierten Soundscapes. Die Britin gehört nicht zu den Singer-Songwritern, die ihre Musik mit Versen fesseln und zähmen. Vielmehr hebt ihre Kunst mit nervlichen Reizen an, mit Regungen und Stimmungen aus der Tiefe der Seele, die sich in Melodie und Rhythmus verwirklichen und von den hochkochenden Emotionen symphonisch verstärkt werden. Und wenn die Sängerin dann ihren Kopf aus den Klangwogen streckt und die Stimme erhebt wie eine Meerjungfrau, nimmt sich der verwunschene Gesang bisweilen aus wie das Seufzen und Murmeln der Gischt.
Und wenn man sich fragt, wie es Gibbons schafft, über eine Stunde stets ähnlich behäbige Tempi anzuschlagen und dabei doch einen dramatischen Sog zu entfachen, so findet sich die Antwort im Beat. Die Rhythmen nämlich wachsen förmlich aus der Spannung zwischen den Viertelnoten eines dynamischen Herzschlags und den flüchtigen Achteln eines nervlich flirrenden Pulses heraus, um sich so zu immer wieder neuen Mustern und Metren zu fügen.
In «Floating on a Moment» eilt der Groove wie von der Leine gelassen durch die Zeit, obwohl Beth Gibbons hier dazu aufruft, sich angesichts des Todes in der Gegenwart auszuleben. «Rewind» wiederum ist eine Art «How dare you!» gegen die Ausbeutung der Natur; der Konflikt von Zivilisation und Wildnis drückt sich auch in einem verschachtelten Fünfvierteltakt aus. Die rhythmischen Spannungen entladen sich aber immer wieder auch in apokalyptischen und ekstatischen Sound-Schlachten wie in «Beyond the Sun».
Beth Gibbons glänzt dabei als Vokalistin, die auf jede Art von Glamour und Virtuosität verzichtet. Ihr Gesang klingt nie leicht und wendig. Oft werden die Stimmbänder forciert und strapaziert, so dass die brüchigen Melodien gerade noch hörbar bleiben über dem Kratzen des Kummers – ähnlich wie die schrillen Flageoletts der Geige, die die Metallsaiten in den höchsten Lagen freigeben. Aber Beth Gibbons’ prekäres Singen nimmt sich aus wie ein akustisches Stigma, das die Dringlichkeit ihrer Musik und ihrer Botschaften beglaubigt.
Licht aus, Licht an
Und stets verzichtet sie auf das Rampenlicht. Ihr zurückhaltendes, schemenhaftes Auftreten erinnert bisweilen an eine Nonne, manchmal gar an einen Zombie. Mit gekrümmten Schultern, von Schatten umfangen, steht sie vor dem Mikrofon, an das sich ihre gefalteten Hände klammern. Die Strähnen fallen ihr so tief ins Gesicht, dass ihre Mimik verborgen bleibt. Nur selten scheint ihr ein Luftzug ein paar Lichtstrahlen ins Gesicht zu wehen, was ihr einen umso gespenstischeren Ausdruck verleiht.
Leidet Beth Gibbons tatsächlich?, mag man sich fragen. Ist die Frau, die während des Konzerts kein Wort ans Publikum verliert, tatsächlich depressiv und verzweifelt? Wenn das Publikum zuletzt aber begeistert applaudiert und das Licht angeht im Saal, verwandelt sich die 59-jährige Künstlerin in eine zufrieden lächelnde Frau, die zwar Bescheidenheit ausstrahlt, aber auch viel Selbstbewusstsein und Gelassenheit.