Der Markt für Sexpuppen wächst. Aktivisten und manche Experten fordern ein Verbot. Doch einer hält dagegen: Die Nutzung von Sexpuppen könne Kinder vielleicht sogar vor Missbrauch schützen, sagt der Psychiater Johannes Fuss. Er macht, was wenige tun, und erforscht das Beziehungszwielicht zwischen Mensch und Roboter.
Kaffee ohne Koffein, Süsses ohne Zucker, Wein ohne Alkohol – und jetzt Sex ohne Körperlichkeit. Der Philosoph Slavoj Zizek hat schon in den 1990er Jahren prophezeit, was uns blüht. Wir konsumieren zunehmend Dinge ohne ihre Essenz. Eine entleerte Simulation nannte er das.
Nun ist er also da, der neue Sex, und Experten sind davon überzeugt, dass er viel durcheinanderbringen wird in den Köpfen der Menschen. Sexpuppen erscheinen vielen als etwas Schmuddeliges, Abstruses – noch. Doch der Markt für Sexpuppen und -roboter wächst kontinuierlich.
Mit wenigen Klicks im Internet lässt sich das bis zu 10 000 Franken teure Wunschmodell mit der passenden Brustgrösse, Haut-, Augenfarbe und Intimfrisur zusammenstellen. Durch bessere Technologie wie zum Beispiel Heizsysteme, die warme Haut simulieren, oder künstliche Intelligenz werden die Gegenstände echten Sexualpartnern immer ähnlicher. Es gibt bereits Puppenbordelle.
Ob Puppennutzer gefährlicher sind, ist unklar
Diese Entwicklung macht vielen Angst. Aktivisten und manche Wissenschafter sagen, die Puppen normalisierten eine Sicht auf Frauen und Kinder als Objekte und Konsumgüter, normalisierten Gewalt und Kindsmissbrauch und müssten vollständig verboten werden.
Das Problem: Zwar haben die deutsche und die Schweizer Regierung entschieden, dass zumindest kindliche Sexpuppen verboten sind. Doch dafür gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Ob Menschen mit der Nutzung von Objekten zur sexuellen Befriedigung wirklich einüben, Frauen und Kinder zu missbrauchen und zu objektifizieren, weiss niemand. Womöglich bewirken die Puppen sogar das Gegenteil. Es gibt kaum Erkenntnisse dazu.
Für Kathleen Richardson ist auch ohne Forschung alles klar. «Kindlich anmutende Puppen sind die Materialisierung sexueller Gewalt an Kindern», schreibt sie. Die britische Professorin für KI-Ethik fordert in ihrer «Campaign Against Sex Robots» ein umfassendes Verbot von Sexrobotern, aber auch von Sexpuppen. Die Kritik basiert auf der Annahme, dass gewalttätiges und herabwürdigendes Verhalten mit den Puppen trainiert und schliesslich auf den Menschen übertragen werde. Zudem würden Frauen und Kinder zunehmend objektifiziert, eine Pornokultur implementiert.
Auch Feministinnen wie Alice Schwarzer oder die Kanadierin Megan Walker argumentieren ähnlich in der Zeitschrift «Emma». Sie stellen den Missbrauch und die Gewalt an Frauen gleich mit der Nutzung von Sexrobotern: «Was könnte austauschbarer sein als eine Silikonpuppe? Nachdem sie von dem einen Mann benutzt wurde, wird sie gesäubert und dem nächsten Benutzer gereicht. Wenn sie kaputt ist, verschlissen, (. . .) wird sie mit dem restlichen Müll entsorgt. Hört sich an wie das Leben zahlreicher realer Frauen, oder?», schreibt Walker.
Bei dieser Argumentation schwingt viel Wut mit. Johannes Fuss aber möchte Fakten schaffen. Er ist Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung an der Universität Duisburg-Essen und erforscht als einer von ganz wenigen das Beziehungszwielicht zwischen Ding und Mensch. Er stellt Fragen: Warum kaufen sich Männer (die grosse Mehrzahl der Puppennutzer ist männlich) solche Puppen, die immer häufiger eher Roboter sind? Welches Frauenbild haben sie? Und vor allem: Werden die Nutzer dadurch gefährlicher?
Eine moralisierte Debatte ohne Grundlage
«Ich erlebe die Debatte um dieses Thema teilweise als grotesk», sagt Fuss. «Viele Argumente sind überzeichnet, dämonisierend und moralisierend.» Die Vorstellung, dass ein Mann sexuelle Handlungen mit einer kindlich aussehenden Puppe begehe, produziere wirkungsmächtige Bilder in den Köpfen. Das werde als abstossend empfunden und erzeuge Empörung. «Zunächst ist das nur eine Verbildlichung von Phantasien. Und Menschen können für sich phantasieren, was sie wollen.»
In der Debatte, die dem Verbot von kindlichen Sexpuppen im Deutschen Bundestag vorangegangen sei, sei es so dargestellt worden, als gäbe es einen klaren Zusammenhang. Als führte das Ausleben von Phantasien mit solchen Objekten unweigerlich dazu, dass in der Folge realer Missbrauch begangen werde. «Dabei kennen wir Risikofaktoren für realen Missbrauch: Täter besitzen weniger Empathie, sind weniger sozial. Und die Forschung zeigt für Puppennutzer eher das Gegenteil.»
In einer britischen Studie haben Forscher pädophile Menschen untersucht und zwei Gruppen verglichen: Jene, die zur Erfüllung ihrer Wünsche eine Puppe nutzten. Und jene, die das nicht taten. Die erste Gruppe war einzelgängerischer und zurückgezogener, aber gleichzeitig empathischer und sozial verträglicher. «Der Gedanke liegt nahe, dass sich manche Menschen mit einer pädophilen Neigung eine Alternative für ihre Wünsche suchen, die keine Opfer produziert.»
Vielleicht helfen Sexpuppen, Kinder zu schützen
Fuss argumentiert, dass es einen stabilen Prozentsatz in der Bevölkerung gebe, der eine sexuelle Präferenz für Kinder habe, und diese sei nicht änderbar. «Solchen Menschen dann die Möglichkeit wegzunehmen, legal und ohne Leidtragende ihre Neigungen auszuleben, könnte kontraproduktiv für den Schutz von Kindern sein.» Es gelinge zu häufig nicht, die Katastrophe eines sexuellen Kindesmissbrauchs zu verhindern. «Sollte sich herausstellen, dass die Puppen zum Kinderschutz beitragen, wäre es falsch, sie zu verbieten.»
Fuss selbst und seine Kollegin Jeanne Desbuleux ermittelten 2023 in einer Befragung von 224 Puppennutzern, dass insbesondere pädophile Teilnehmer häufig Praktiken ausübten, die mit realen Kindern illegal wären. Und in der Folge insgesamt weniger Drang zu sexuellen Handlungen verspürten und von einem geringeren Interesse an Intimität mit echten Kindern berichteten.
In einer weiteren Befragung aus dem vergangenen Jahr berichteten pädophile Betroffene, dass sie aufgrund des Verbots von kindlichen Sexpuppen einen erhöhten Leidensdruck erlebten und in der Folge ihr persönliches Risiko für einen Übergriff als gestiegen ansehen würden.
Forschung in einem derart tabuisierten Bereich ist schwierig: Betroffene muss man erst einmal finden, häufig bleibt die Zahl der Studienteilnehmer klein. Ausserdem ist es schwer überprüfbar, wie wahrheitsgemäss die Teilnehmer antworten. «Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich der Wahrheit anzunähern», sagt Fuss. Und die Daten, die es zu dem Thema gibt, zeichnen ein anderes Bild als das der Öffentlichkeit: Vielleicht könnten solche Puppen und Roboter bei einer bestimmten Gruppe von Pädophilen sogar helfen, Kinder vor Übergriffen zu schützen.
Eine, die tagtäglich mit pädophilen Menschen arbeitet, ist Fanny De Tribolet-Hardy. Sie leitet die Präventionsstelle Pädosexualität an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Dazu gehört das Projekt «Kein Täter werden», das pädophilen Menschen dabei hilft, ihre Neigungen zu kontrollieren und nicht straffällig zu werden. Die Psychiaterin fände eine mögliche Aufhebung des Verbots von Robotern mit kindlichem Erscheinungsbild fragwürdig.
«Eine Legalisierung von solchen Kinderpuppen produziert zwar keine Opfer. Aber sie könnte die gesellschaftliche Sicht beeinflussen», sagt sie. Seien sexualisierte Kinderpuppen frei verfügbar, könnte das sexuelle Handlungen an realen Kindern normalisieren. Dies sei jedoch nur ihre persönliche Einschätzung.
Wachsender Markt: einsame junge Männer
Der Aspekt, dass Sexpuppen möglicherweise sogar schützend gegen Gewalt wirken könnten oder vielleicht neutral, werde verschwiegen, argumentiert hingegen Fuss: «Es wird immer pädophile Menschen geben. Aber anstatt zu überlegen, was man tun kann, um das Risiko für sexuelle Übergriffe zu verringern, wird einfach nur ausgedrückt: Das wollen wir nicht, und das muss weg, weil wir das unmoralisch finden.»
Dabei werde alleine die Neigung zur Pädophilie gleichgesetzt mit einer Straftat, jedoch setzten bei weitem nicht alle Menschen mit dieser Veranlagung ihre Phantasien um. Die meisten Sexualstraftaten an Kindern würden ausserdem von Menschen begangen, die eigentlich nicht sexuell auf Kinder ausgerichtet seien, sondern vielmehr auf Machtausübung oder Erniedrigung.
Es gibt noch eine andere Nutzergruppe von Sexrobotern, die in unserer Single-Gesellschaft wächst: einsame Männer, denen es nicht gelingt, tragbare Beziehungen zu Frauen oder Menschen allgemein aufzubauen. «Wir haben festgestellt, dass besonders in typischen Incel-Foren sehr viel Werbung für hochrealistische Sexroboter zu finden ist. Der Markt hat diese Nutzergruppe längst entdeckt», sagt Fuss. Incel steht für «unfreiwillig sexuell enthaltsam» und ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe junger Männer, die sich von Frauen verschmäht sehen und frauenfeindliche Einstellungen entwickeln.
«Man kann mich hübsch anziehen und hinstellen. Als Dekoration oder als nette kleine erotische Komponente im Haus oder auch – man glaubt es kaum – einfach nur zum Liebhaben. Mich zu lieben, ist nämlich ganz leicht.» So lässt ein Nutzer Sexpuppe Jessy auf seiner Website sprechen.
Dass die Puppen manchmal Einsamkeit kompensieren, zeigen auch die Ergebnisse einer weiteren Befragung, die Fuss und seine Kollegin Desbuleux durchgeführt haben: Mehr als die Hälfte der 217 befragten Sexpuppenbesitzer empfinden sie als echte Partnerin, fahren mit ihr in die Ferien, setzen sie auf den Beifahrersitz ihres Autos und sprechen ihr menschliche Eigenschaften zu. Gerade jene gaben an, sie fühlten sich nun von der Bewertung von Frauen unabhängiger und interessierten sich weniger für eine echte Partnerschaft.
Puppenvermenschlicher sind frauenfeindlicher
«Insgesamt zeigten die Ergebnisse der Studie, dass die Zuschreibung typisch menschlicher Gefühle wie Liebe, Eifersucht und sexueller Erregung auf die Puppe mit einer frauenfeindlicheren Einstellung einhergeht. Dieses Phänomen tritt vor allem bei jenen auf, die mit ihrer Puppe eine partnerschaftliche Beziehung führen», sagt Fuss.
Es gibt also tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Feindseligkeit gegenüber Frauen und der Vermenschlichung einer Puppe. «Aber es kann gut sein, dass Männer, die grundsätzlich ein feindlicheres Frauenbild haben, sich eher eine solche Puppe oder einen solchen Roboter kaufen.»
«Ich bin immer für dich da, und ich habe immer ein Lächeln für dich. (. . .) Mit mir ist es immer friedlich, wir müssen niemals streiten. Bei mir findest du zur Ruhe und deinen Ausgleich.» So lässt ein Nutzer Sexpuppe Jessy auf seiner Website sprechen.
Hier stellt sich den Forschern das gleiche Problem wie bei der Erforschung des Einflusses von Ego-Shooter-Computerspielen wie «Counter Strike» auf die Gewaltneigung einer Person: Führt das Spielen ursächlich zu mehr Gewalt oder Amokdelikten – oder spielen Menschen, die ohnehin eine höhere Aggressionsneigung und weniger Empathie zeigen, eher solche Spiele? Die Studienlage zu diesem Thema ist uneindeutig, Experten sehen die Aussagekraft vieler wissenschaftlicher Ergebnisse dazu heute sehr kritisch.
Fuss will die Frage für die Sexpuppen mit einer geplanten Folgestudie beantworten: «Wir wollen Menschen beobachten, die noch keinen Sexroboter besitzen und sich erst dann einen kaufen. Im Zeitverlauf werden wir die Entwicklung ihres Frauenbilds dokumentieren.»
Zukunft: Sexuelle Vereinsamung?
Angesichts der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung ist es extrem sinnvoll, eine wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der Situation zu schaffen. Branchenexperten erwarten weiterhin ein stabiles Wachstum des Sexroboter- und Puppensegments. Mittlerweile gibt es Geräte, die sich mit Pornografie-Inhalten synchronisieren, so dass sie die Bewegungen ausführen, die dort zu sehen sind.
«Seit Jahren beobachten wir, dass die partnerschaftliche Sexualität abnimmt, es scheint eine Verschiebung hin zu Masturbation mit Pornografie stattzufinden», sagt Fuss. Er wolle das nicht bewerten, doch wenn man so wolle, seien das durchaus Schritte, die eine sexuelle Vereinsamung der Menschen zeigten. «Sexualität ist ja auch ein Austarieren zwischen den Grenzen und Wünschen zweier Menschen. Dieses soziale und emotionale Wechselspiel fehlt.»
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