Die hohe Bewertung und die ungünstige Markttechnik erinnern an die Situation Ende 2021, auf die eine Baisse folgte. Die US-Zollpolitik kann nach oben oder unten durchschlagen.
Europas Börsen haben sich 2025 besser entwickelt als die Pendants in den USA. Der MSCI Europe stieg in Dollar gerechnet um gut 7%, während der MSCI USA gut 2% zulegte. Auch seit der Trump-Wahl im November 2024 avancierte der Europaindex stärker als der S&P 500.
Das relativ schwächere Abschneiden der US-Aktien folgt einer Phase der extremen Zuflüsse in den US-Aktienmarkt. Die historischen Rekordzuflüsse überbieten den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2021. Das ist ein Warnsignal: 2022 folgte damals ein Baissejahr.
Ausser dem zurückliegenden rekordhohen Zufluss in den Aktienmarkt gibt es auch zahlreiche weitere, markttechnische Parallelen zwischen 2021 und 2024.
- Die Anleger sind inzwischen in Aktien überinvestiert.
- Stimmungsindikatoren zeigen einen extremen Aktienoptimismus, so wie auch Ende 2021.
- Die Anzahl der Terminkontrakte, mit denen Investoren auf fallende Kurse spekulieren, ist auf ein Rekordtief gesunken. Und die sogenannte Put-Call-Ratio liegt besonders in ihrer 25-Tage-Glättung auf niedrigerem Niveau als zum Beginn des Baisse-Jahres 2022 und ist weit entfernt von Kaufsignalen. Die Put-Call-Ratio ist in der Regel ein guter Timing-Indikator.
- Zur Vorsicht mahnen auch die Geschäfte der gewöhnlich gut informierten Führungskräfte mit Aktien der eigenen Unternehmen: Die Insiderverkäufe lagen im Januar auf Rekordniveau.
Wenn Vorsicht in Form von Baisse-Engagements fehlt und der Optimismus sowie die Anlegerpositionierung extrem gross sind, ergibt sich im Allgemeinen für die Börse ein sehr schlechtes Chance-Risiko-Verhältnis.
Bei der Frage der US-Importzölle irritiert die US-Börsen das ständige Hin und Her zwischen angekündigter Zollerhebung und Streichung solcher Massnahmen. Zuletzt kündigte Trump an, dass er genauso viele Zölle erheben werde, wie das Ausland an Importzöllen auf US-Waren erhebt. Danach dürfte es unwahrscheinlich sein, dass die zunächst angekündigten und dann um einen Monat verschobenen 25%-Zölle gegenüber Mexiko und Kanada (die Hauptimportländer der USA) überhaupt erhoben werden.
Am ehesten sind kommende grössere Zollerhebungen gegenüber Europa realistisch, da Europa selbst deutliche Importzölle verlangt, zum Beispiel 10% bei Autos. Die drohenden US-Zölle gegen Europa sind ein Faktor, der die zuletzt relativ gute Entwicklung der europäischen Börsen bremsen könnte. Trotzdem ist es realistisch, dass im weiteren Jahresverlauf Europa besser abschneidet als Wallstreet.
Generell gab es zwar noch nie eine längerfristige Abkopplung der europäischen Börsen vom US-Trend. Aber genauso wie es seit der Finanzkrise eine extreme Outperformance der US-Aktien gegenüber europäischen Titeln gab, ist es denkbar, dass zumindest kurz- bis mittelfristig europäische Aktien besser abschneiden, beziehungsweise einen Teil ihrer Abschläge wieder aufholen. Bezogen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis sind europäische Aktien durchschnittlich rund 40% niedriger bewertet.
Beim Kurs-Buchwert-Verhältnis, also der wichtigsten Substanzkennzahl, sind europäische Aktien sogar nur ein Drittel so teuer wie US-Aktien. Eine Bewertungsprämie ist bei Technologie-Aktien sicherlich gerechtfertigt im Hinblick auf die bessere Gewinnentwicklung. Aber auch wenn man die Substanzbewertung der US-Aktien nicht gegenüber Europa, sondern im historischen Vergleich misst, so zeigt sich eine selten in dieser Ausprägung beobachtete Überbewertung der US-Aktien (bezogen auf den Wiederbeschaffungswert der Anlagen, gemessen auch an weiteren Substanzkennzahlen wie zum Beispiel dem Tobin‘s Q).
Klassische Faktoren wie eine bevorstehende Bremspolitik der Notenbank liegen allerdings weder in den USA noch in Europa vor, so dass eine allgemeine Aktienbaisse voraussichtlich trotz der Zollfrage und anderer politischer Unwägbarkeiten kaum in Sicht ist.
Allerdings haben sich zuletzt auch die wichtigen Liquiditätsindikatoren verschlechtert. Die Hauptliquiditätsquelle für den US-Aktienmarkt war in den letzten zwei Jahren das Herunterfahren spezieller Geschäfte der Banken mit der Notenbank, die sogenannten Reverse Repos. Diese Liquiditätsreserve von zeitweise mehr als 2000 Mrd. $ ist auf 85 Mrd. $ geschrumpft. Auch die liquiditätserhöhenden Transaktionen des US-Schatzamtes sind nicht mehr gegeben.
Die Prognose für die Anzahl der US-Zinssenkungen ist zudem weiter zurückgegangen. Zunächst hatte man im letzten Jahr sechs Zinssenkungen, dann drei und zuletzt nur noch eine Zinssenkung um 25 Bp erwartet. Hintergrund sind die anhaltend guten US-Konjunkturzahlen, vor allem vom Arbeitsmarkt, aber zuletzt auch höhere Inflationsraten.
Am Terminmarkt wird jetzt die höchste Wahrscheinlichkeit für die nächste Zinssenkung erst im September eingepreist. Die ursprünglich von der Börse erwartete Zinssenkung am 19. März ist unrealistisch. Die US-Börse muss also zunächst mit fehlendem monetären Rückenwind und schlechter Markttechnik auskommen.
Die Notenbank hält sich auch deshalb zurück, weil die Höhe kommender US-Zölle auf Einfuhren weiter ungewiss ist. Zölle würden die Inflationsrate nach oben drücken und die Zentralbank in ihrer vorsichtigen Haltung bei Zinssenkungen und Liquiditätserleichterungen bestärken.
Die USA werden im Hinblick auf ihre aussergewöhnliche Konjunktur regelmässig gepriesen. Derartiger amerikanischer «Exceptionalism» ist aber kein besonderes Verdienst, wenn man bedenkt, dass bei mehr als 6% Neuverschuldung vom Bruttoinlandsprodukt das Konjunkturwachstum Ende letzten Jahres gerade einmal bei 2,5% lag. Man kann sich vorstellen, wo die amerikanische Konjunktur wäre, wenn nicht die historisch höchste Neuverschuldung in den USA stattfinden würde.
Es ist nicht ganz einfach, den fiskalpolitischen Faktor als wichtigsten Einflussbereich der US-Konjunktur in diesem Jahr vorauszusagen. Sollte diese Neuverschuldung nur etwas zurückgefahren werden, wären die Konjunkturfolgen sicherlich erheblich. Bei einer Trump-Regierung hielt man dies bis vor kurzem für völlig ausgeschlossen. Aber nachdem Präsidentenberater Elon Musk tatsächlich beginnt, für die Entlassung Zehntausender Staatsangestellter zu sorgen, ist es durchaus denkbar, dass der US-Konsum unter Druck kommt. Das US-Konsumentenvertrauen beginnt bereits zu enttäuschen.
Einerseits werden die Steuern gesenkt und auch Entlassungen bei Unternehmen dürften über weniger Einkommenssteuern das Fiskaldefizit vergrössern. Den schrumpfenden Einnahmen stehen höhere Ausgaben durch staatliche Investitionszuschüsse gegenüber. Bekanntlich versucht Amerika im grossen Stil ausländische Produktionen anzulocken unter Zuhilfenahme staatlicher Subventionen. Andererseits werden schon zugesagte Staatsunterstützungen für grüne Investitionen gestrichen.
Die Investitionen der US-Privatwirtschaft dürften allerdings weltweit weiterhin am höchsten sein. Die USA werden Billionen von Dollar im Bereich künstliche Intelligenz investieren, was den Wohlstand des Landes erheblich erhöhen dürfte.
Auch das Wirtschaftswachstum in den USA dürfte längerfristig grösser bleiben als im Rest der Welt. Das gilt besonders für die Magnificent 7, also die sieben grössten Wachstumsunternehmen. Skeptiker hatten zunächst angenommen, dass das Auftauchen chinesischer alternativer KI (DeepSeek) zum Zusammenstreichen von Investitionen bei den sogenannten Hyperscalern wie Google, Meta und Amazon führen würde. Tatsächlich aber rückten diese von Planungen eines Investitionsanstiegs um rund 40% nicht ab. Solche Ausgaben wirken steigernd auf die US-Konjunktur. Ob sie aber langfristig für die investierenden Unternehmen den erwünschten Erfolg, also die Monetarisierung in Form von höheren Gewinnen, tatsächlich auch einbringen werden, ist nicht sicher.
Grosse Tech-Unternehmen investieren fast ihren gesamten freien Cashflow. Normalerweise steigen Aktien jedoch dann am stärksten, wenn der freie Cashflow stark zunimmt. Nachdem auch die Gewinnsteigerungen bei den Magnificent 7 von durchschnittlich über 30% in den vergangenen beiden Jahren künftig auf gut die Hälfte schrumpfen sollte, ist es denkbar, dass die zuletzt begonnenen Kurskorrekturen bei den grossen US-Wachstumswerten weitergehen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.
Jens Ehrhardt
Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.