Clark Kent kämpft an den entscheidenden Fronten: zu Hause gegen Big Tech, auf internationaler Ebene gegen einen Schurkenstaat, der das Nachbarland überfällt. Der neue Film ist eine krachende Mischung aus Humor, Schauwerten und Gesinnungsarbeit.
Superman ist der stärkste Held von allen, und gerade deshalb fand man ihn immer auch ein bisschen schwach. Zu viel Patriotismus, zu viel Optimismus, zu viel Selbstgerechtigkeit. DC Comics hatte ihn 1938 kreiert, als Mischung aus Weltpolizist und National-Security-Direktor, und auch wenn er ein Alien war, geboren auf dem Planeten Krypton, war sein Wertesystem astrein amerikanisch. Mehr Ehrgefühl geht nicht. Mehr Demokratiebewusstsein auch nicht.
Die Superhelden und Superheldinnen von Marvel hingegen, also etwa Spiderman, Iron Man, Captain Marvel und Hulk, wurden von Zweifeln, Krisen und Charaktermängeln gebeutelt. Sie wechselten auch einmal auf die falsche Seite, um dann geläutert zurückzukehren. Fürs Kino gaben sie deshalb mehr her, erzählerisch gesehen. Und auch die Zuschaueridentifikation fiel leichter. Man fühlt sich schnell als Spinne im Netz der eigenen Probleme. Wie eine Rakete fühlt man sich nie.
Entsprechend wurde der Mann aus Stahl modernisiert. Das heisst, man machte ihn zur krisenhaften Verkörperung jener amerikanischen Werte, an die spätestens seit Vietnam, Watergate und den Golfkriegen niemand mehr so recht glauben wollte.
Zum Staatsfeind gemacht
DC Comics wandelte Supermans offiziellen Slogan «Truth, justice and the American way» in «Truth, justice and a better tomorrow» um, und die DC Studios taten alles, um die blau-rote Wuchtbrumme ideologisch salonfähig zu machen. Wie Batman wurde er zum Staatsfeind umgedeutet, der sich per Heldentaten zu rehabilitieren hatte, getrieben von der Angst, überflüssig zu sein.
In «Superman Returns» (2006) gewann die Journalistin Lois Lane, Supermans Geliebte, den Pulitzer-Preis mit einem Essay zum Thema, warum die Welt Superman nicht brauche. Im selben Film fragt der Chefredaktor des «Daily Planet», der Zeitung, für die Lane und Clark Kent, die Zivilvariante Supermans, arbeiten, ob Superman an «Wahrheit, Gerechtigkeit und den ganzen Kram» überhaupt noch glaube. Und in «Man of Steel» (2013) erklärt derselbe Chefredaktor seiner Reporterin, dass die Leute einen Superman niemals akzeptieren und schon gar nicht mit ihm zusammenleben würden.
Supermans Problem, sehr mächtig, sehr patriotisch und sehr gutgläubig zu sein, war schon im ersten Superman-Film von 1978 angelegt. Da sagt Lois Lane, wenn Superman wirklich an Wahrheit, Gerechtigkeit und den «American way» glaube, müsste er am Ende jeden Regierungsbeamten des Landes bekämpfen. Und mit Blick auf die Weltlage war die Sache nicht leichter: Superman ist supermächtig? Warum befriedet er dann nicht eine Krisenregion wie den Sudan? In der Serie «Superman & Lois» (2024) kam diese Frage auf, und man dachte: Tja, warum eigentlich nicht?
Ein Super-Struppi
James Gunn, der Regisseur der smarten, zwischen Comedy und Tragödie schillernden Superheldensaga «Guardians of the Galaxy», löst das Problem jetzt mit einer krachenden Mischung aus Humor, Schauwerten und Gesinnungsarbeit. Dieser Superman kämpft mithilfe seines Superhundes Krypto (Struppi auf Amphetamin) an den zwei entscheidenden Fronten: zu Hause gegen Big Tech und deren Hang zum Machtmissbrauch, auf internationaler Ebene gegen einen Schurkenstaat, der das Nachbarland überfällt und es sich aus scheinheiligen Gründen einverleiben will. Wer jetzt Russland und Amazon/Meta/Apple sagt, liegt richtig.
Superman löst die zwei brisantesten Konflikte der Gegenwart – abzüglich des Nahostkonflikts. Der hat wohl nicht mehr ins Drehbuch gepasst, und das Ganze wäre bei den vielen Ortswechseln noch verwirrender geworden. Dass Lex Luthor (Nicholas Hoult), der Hightech-Multimilliardär und Superman-Hasser, dank Glatze und Botoxglätte nun aussieht wie Jeff Bezos, ist ein hübscher Effekt der Überschneidung zwischen Wirklichkeit und Kinofiktion. Er wird Amazon nicht daran hindern, den Film demnächst für 20 Franken zu verkaufen.
Woke im Wortsinn
Dass der Film schlicht «Superman» heisst, ergibt Sinn. Gunn kehrt zur Quelle des Mythos zurück, dorthin, wo die Kernfrage des Superman-Problems glüht wie giftiges Kryptonit. Wenn ich ein supermächtiges Alien bin, warum leuchte ich dieser bescheuerten, sich in Seuchen und Kriegen selbst zerstörenden Menschheit nicht einfach heim? Ist das vielleicht mein historischer Auftrag: ein apokalyptischer Erlöser zu sein? In dieser Frage ist eine zweite enthalten: Wie ist es um mein Moralsystem bestellt, wenn ich sonst unbegrenzte Möglichkeiten habe?
Der junge Spiderman bekam schon früh zu hören, dass grosse Macht grosse Verantwortung bedeute. Superman hat’s schwerer: Zu klären ist, wie diese Verantwortung überhaupt aussehen und wahrgenommen werden muss. Und ob der Mensch verantwortungsethisch betrachtet nicht eigentlich die Sollbruchstelle ist.
David Corenswet spielt Superman als Gutmenschen, dem das Gutsein erst zur Last, dann zur Herausforderung, schliesslich zum utopischen Auftrag wird. Er ist woke im Wortsinn: wachsam für die Konflikte, die sich aus den politischen Krisen für den Einzelnen ergeben. Und weil zum wahren Wachsein nicht nur das Bedenken, die Kritik, die Opposition gehören, sondern auch das Handeln, fliegt er los. Ganze ohne Emissionen. Da kann man nicht meckern.
Im Kino.