Vor knapp vier Jahren setzte Joe Biden auf Intel, damit die USA bei Computerchips unabhängiger werden. Doch nach dem Abgang des CEO drohen die USA zum grossen Verlierer zu werden. Eine Rekonstruktion.
Im Februar 2021 übernahm Pat Gelsinger den CEO-Posten bei Intel, um das Unternehmen zu retten. Der Verwaltungsrat und die Aktionäre hofften, Gelsinger würde Intel wieder zum Erfolg führen. Und US-Präsident Joe Biden hoffte mit ihnen.
Intel, der Technologie-Pionier von einst, befand sich Anfang 2021 in der Krise. Mehrere Konkurrenten hatten Intel in den Jahren zuvor erst eingeholt und später überholt. Als Chipdesigner hatte Intel zunächst die Smartphone-Revolution verpasst und agierte dann im Bereich der künstlichen Intelligenz zu zögerlich. Und als Chipproduzent war Intel vom Vorreiter zum Nachzügler geworden.
Gelsinger plante Intels Zukunft in der Produktion modernster Computerchips. Diese Chips sind essenziell für Technologien wie 5G oder künstliche Intelligenz, sie stecken in Handys, Autos, Datenzentren und Präzisionswaffen. Und sie stehen im Zentrum eines immer vehementer ausgetragenen Wettstreits um technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China. Intel sollte den USA einen wichtigen Sieg im Chip-Konflikt einbringen.
Heute, knapp vier Jahre später, ist Gelsinger nicht mehr der Intel-CEO. Die Mitglieder des Verwaltungsrats drängten ihn zum Rücktritt. Intels Produktion steht vor dem Aus, und die USA stehen im Chip-Konflikt mit China vor einer Schmach. Wie konnte es so weit kommen? Und welche Optionen hat nun Bidens Nachfolger Donald Trump?
Biden tritt das Präsidentenamt Anfang 2021 praktisch gleichzeitig an wie Gelsinger den CEO-Posten bei Intel. Kaum im Amt, lanciert Biden den Chips Act, ein riesiges Programm zur Subventionierung von Chipfabriken in den USA. Wenig später stellen Experten des US-Handelsministeriums Berechnungen an, die der Biden-Regierung die Bedeutung Intels für die USA unmissverständlich deutlich machen.
Intel ist eines von weltweit nur drei Unternehmen, das modernste Computerchips herstellen kann. Es bietet den USA die Chance, von Taiwan unabhängig zu werden. Das ist auch deshalb wichtig, weil Amerikas grösster Rivale, China, das bisherige Herkunftsland der wichtigen Chips für sich beansprucht. China behält sich vor, Taiwan dereinst gewaltsam zu annektieren. Die USA könnten also irgendwann von taiwanischen Chips abgeschnitten sein.
Käme es zu einem Lieferunterbruch von Computerchips aus Taiwan, so das Resultat der Berechnungen, wären die Folgen für die US-Wirtschaft vergleichbar gravierend wie bei der Grossen Depression in den 1930er Jahren. Für amerikanische Firmen wie Apple, Nvidia oder Microsoft ist der taiwanische Chiphersteller TSMC heute so wichtig, dass amerikanische Experten schreiben: «TSMC ist eigentlich ‹Amerikas Chipfabrik›.»
Um diesem Szenario vorzubeugen, suchten Biden und seine Handelsministerin Gina Raimondo nach amerikanischen Chipproduzenten. Und wurden fündig bei Intel.
Noch 2014 war Intel seinen Konkurrenten TSMC und Samsung technologisch weit voraus. Als Gelsinger sein Amt als CEO antritt, will er diese Machtverhältnisse wiederherstellen und ist bereit, über 100 Milliarden Dollar zu investieren, um Konkurrenten in der Chipproduktion nicht nur einzuholen, sondern um sie zu überholen.
Intel soll dereinst für Unternehmen, die Chips designen, als Auftragsfertiger fungieren. Das Projekt ist gemäss Experten von Beginn an extrem riskant. Der technologische Entwicklungssprung sowie der Kapazitätsausbau sind enorm kapitalintensiv, die Finanzen dazu von Anfang an äusserst knapp bemessen. Damit Gelsingers Plan aufgeht, muss Intel qualitativ zum Chiphersteller TSMC aufschliessen, Produktionskapazitäten schaffen und genügend Kunden gewinnen, um seine Fabriken auszulasten. Gelsingers Vorhaben ist mehr Wette als Plan.
Für Biden ist Gelsingers Idee dennoch ein Glücksfall. Schliesslich ist das, was Gelsinger anstrebt, genau das, was Biden will: ein amerikanischer Chiphersteller, der für amerikanische Firmen Chips produziert.
Gelsinger seinerseits wird rasch zu einem der grössten Fürsprecher von Bidens Chips Act. Schliesslich würden staatliche Subventionen helfen, seinen Plan zu finanzieren. Am 1. März 2022 sitzt Gelsinger als Gast in der Galerie, als Biden in seiner Rede zur Lage der Nation im US-Kongress explizit die Chippläne von Intel erwähnt.
Von 2021 bis Juli 2022, als der Kongress über die Chips Act abstimmt, spricht Gelsinger mit über 100 Kongressabgeordneten, um sie vom Programm zu überzeugen. Würde die Chips Act abgelehnt, so Gelsinger, hätte dies negative Folgen für den heimischen Arbeitsmarkt, für die Attraktivität Amerikas innerhalb der globalen Chip-Industrie und für Amerikas nationale Sicherheit.
Schliesslich stimmt eine überparteiliche Mehrheit für die Chips Act. Ein wichtiger Etappensieg für Biden. Und Gelsingers Intel.
Für seine Chipfabriken erhält Intel nun Subventionen in der Höhe von 7,9 Milliarden Dollar. Die Biden-Regierung stellt zudem Kredite von bis zu 11 Milliarden und Steuergutschriften von bis zu 25 Milliarden Dollar in Aussicht.
Gelsinger unterzeichnet Anfang September ausserdem einen Vertrag über 3 Milliarden Dollar mit dem Verteidigungsministerium, Intel soll exklusiv Chips für das amerikanische Militär herstellen. Staatliche Behörden und Intel arbeiten immer enger zusammen. Immer mehr wird Gelsingers Wette auch zu Bidens Wette.
Zahlreiche Beobachter wie etwa Dan Hutcheson von der Analyseplattform Techinsights oder die Experten der Analyseplattform Semianalysis sind der Ansicht, dass Intel die technologische Aufholjagd gelungen ist. Mitte nächstes Jahr will Intel mit der serienmässigen Produktion von Chips beginnen, die jenen von TSMC ebenbürtig sind.
Doch so gross die Unterstützung für Intel auch ist, die Herausforderungen für das Unternehmen sind noch viel grösser. Gelsinger droht das Geld auszugehen, das Vertrauen der Aktionäre beginnt zu versiegen. Gelsinger muss sparen. Mitte September pausiert er deshalb mehrere Fabrik-Projekte und kündigt an, 15 000 Stellen zu streichen.
Hutcheson sagt, Gelsinger sei mit seinen Einschätzungen zu optimistisch gewesen, habe zu viele Fabriken geplant. Und er habe das Grundproblem seines Plans nicht lösen können: Intel hat viel zu wenig Kunden, um seine Fabriken auszulasten. Amazon Web Services ist bis anhin der einzige Grosskunde, der sich auf Intels Wette eingelassen hat.
Selbst als die Biden-Regierung höchstselbst versucht, amerikanische Kunden für Intels Fabriken zu gewinnen, bleibt der Erfolg aus. Gemäss der «New York Times» sprach die Handelsministerin Raimondo dazu im vergangenen Jahr zum Beispiel mit Führungskräften von Apple, Nvidia und AMD. Die meisten Unternehmen hätten abgelehnt.
Am 1. Dezember hat der Verwaltungsrat von Intel schliesslich genug. Seine Mitglieder drängen Gelsinger zum Rücktritt. Nun stehe der gesamte Plan der Chipproduktion, stehe die Zukunft des Unternehmens generell infrage, so Hutcheson. Tatsächlich sprachen sich etwa Analysten der Bank Citi Group kurz nach Gelsingers Abgang für ein Ende der Chipproduktion aus. Für die Aktionäre von Intel sei es das Beste, das Unternehmen würde sich aus dem Bereich zurückziehen.
Dabei wären modernste Chips, made in USA, eigentlich ganz nah, in einem halben Jahr wäre es so weit. Doch weil es Intel nicht gelingt, amerikanische Chipdesigner davon zu überzeugen, droht Bidens Strategie zusammenzufallen.
Gelsinger ist weg. Bald auch Biden. Der Umstand, dass die USA bei Chips zu wenig unabhängig sind, bleibt bestehen. Das weiss auch Bidens Nachfolger Donald Trump. Er hatte das Problem schon in seiner ersten Amtszeit erkannt und mit einem anderen Unternehmen neue Investitionen in den USA ausgehandelt – ausgerechnet mit dem Chiphersteller aus Taiwan, TSMC.
Trump könnte versuchen, TSMC zu einem noch stärkeren Engagement in den USA zu bewegen. Doch das würde auch für seine Präsidentschaft bedeuten, dass im Falle eines Konflikts um Taiwan auch die TSMC-Fabriken in den USA nur bedingt überlebensfähig wären.
Das Center for Strategic and International Studies bezeichnet Intel deshalb als «too good to lose». Die Experten von Semianalysis schreiben: «Staatliche Unterstützung ist aus Gründen der nationalen Sicherheit notwendig.» Intels Chipproduktion sei die beste Absicherung, welche die USA gegen eine chinesische Invasion Taiwans hätten.
Allein schon wegen der Bedeutung Intels für das amerikanische Militär scheint es unmöglich, dass die Trump-Regierung das Unternehmen fallen lässt. Auch wenn es ihm noch so sehr missfallen mag, den kriselnden Plan eines Vorgängers weiterzuverfolgen, dessen mentale Fitness er vor wenigen Monaten noch bezweifelt hat: Auch Trump dürfte die staatliche Unterstützung für Intels Chipproduktion weiter ausbauen.
Bidens Wette wird nun zu Trumps Wette.