Die USA heben die Zölle vor allem für «grüne» Produkte aus China an. Wenn Peking ähnlich reagiert und auch die EU hineingezogen wird, sind alle die Verlierer. Das Hauptrisiko für die Weltwirtschaft liegt aber anderswo.
Darf es noch ein bisschen mehr sein? Washington erhöht die Zölle für den Import chinesischer Lithium-Ionen-Batterien von 7,5 auf 25 Prozent, die Zölle für Solarzellen und Halbleiter werden verdoppelt, diejenigen für Elektrofahrzeuge gar vervierfacht. Und auch die Einfuhr weiterer Güter wie Stahl, Aluminium, Batterie-Komponenten, bestimmte Rohstoffe und Schiffskräne aus China wird verteuert.
Bereits wird von einem neuen Handelskrieg unter dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden gesprochen – wie bereits im Jahr 2018, als der damalige Präsident Donald Trump seine handelspolitischen Massnahmen gegen China und anderen Staaten losgetreten hatte. Auch die EU untersucht, ob die Importe chinesischer Elektrofahrzeuge durch unfaire Subventionen Chinas zugelegt haben. In beiden Fällen droht Peking damit, ebenso die Zölle für amerikanische und EU-Güter zu erhöhen.
Jeder gegen jeden
Mehrere Studien zeigen, dass der vergangene Handelskrieg die amerikanische und die chinesische Wirtschaft geschädigt hat. Trump kritisierte aber Biden bereits, dass er zu wenig hart gegenüber Peking auftrete. Die Massnahmen des Demokraten betreffen tatsächlich nur ein geringes Handelsvolumen von 18 Milliarden Dollar. Die USA importieren so gut wie keine Elektrofahrzeuge aus China. Am meisten sind die Einfuhren von Batterien betroffen, was die Produktion für amerikanische Hersteller von Elektrofahrzeugen teurer machen wird. Die Konsumenten leiden ohnehin.
Trump war der Überzeugung, Handelskriege seien für die USA leicht zu gewinnen. Die Zölle unter Trump zielten auf Importe von 300 Milliarden Dollar aus China. Trump plant bereits für eine mögliche zweite Amtszeit, die Zölle für chinesische Elektrofahrzeuge, die in Mexiko montiert werden, auf 200 Prozent zu erhöhen. Alle Importe aus China sollen mit einem Strafzoll von 60 Prozent belegt werden. Das Ziel von Trump war es, das Defizit in der Aussenhandelsbilanz abzubauen. Ein Blick in die Zahlen zeigt, dass dies nicht gelungen ist.
In ökonomischen Modellen, die Handelskriege abbilden, ergeben sich unter bestimmten Annahmen zunächst Gewinne aus einseitig eingeführten Zöllen. Ein Land kann dadurch das sogenannte Tauschverhältnis verbessern: Ein Importzoll senkt im Normalfall die Nachfrage nach ausländischen Gütern, ausländische Produzenten müssen dann billiger anbieten. Dadurch verbessert sich die Position im Welthandel für das Land mit Zöllen.
Zudem können Gewinne zu inländischen Unternehmen verschoben und Firmen aus dem Ausland angezogen werden. Auch wenn langfristig ein einseitiges Vorgehen schädlich ist, weil die eigenen Konsumenten geschädigt werden, kann kurzfristig aus dem Protektionismus vor allem politischer Nutzen gezogen werden.
Das historische Beispiel sind die Vorgänge in den 1930er Jahren, als die Vereinigten Staaten mit dem Smoot-Hawley-Gesetz die Zölle für mehr als 900 Güter in die Höhe schraubten und damit einen Wettlauf des Protektionismus anstiessen. Die Zölle wurden um gut 45 Prozent erhöht, das Welthandelsvolumen ging um rund einen Viertel zurück. Aus dieser Erfahrung heraus entstand nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt), das später in die Welthandelsorganisation (WTO) überging.
Hohe Kosten für die Weltwirtschaft
Der Handelsökonom Ralph Ossa rechnete vor einiger Zeit die Kosten eines Handelskriegs, bei dem alle Länder ihre Grenzen schliessen, folgendermassen aus: Ein Viertel des Wohlstands über alle Länder hinweg besteht aus Handelsgewinnen. Durch einen Handelskrieg ist davon ein Viertel bedroht. Dies ergibt in einer Überschlagsrechnung einen Rückschlag für die weltweite Wirtschaftsleistung von 6,25 Prozent. Dies wäre ein extremer Fall, der Welthandel würde komplett zusammenbrechen.
In einem solchen Fall würde das Schweizer Realeinkommen gemäss den Berechnungen um 14 Prozent zurückgehen, das der grossen Wirtschaftsblöcke EU, China und USA aber nur um rund 2 Prozent. Kleinere Länder sind tendenziell stärker vom Aussenhandel abhängig.
Gleichzeitig ist es aber auch unwahrscheinlich, dass die Schweiz Strafzölle einführen würde. Bern hat vielmehr für Industriegüter die Einfuhrabgaben auf null gesetzt. Aber auch wenn ein Land wie die Schweiz in einer Zeit der Handelskriege profitieren könnte, weil es die Grenzen offen liesse, würde es dennoch die weltweite wirtschaftliche Schwäche spüren.
Die Biden-Regierung reklamiert für sich, dass ihr Vorgehen gezielt und strategisch sei. So werden die Zölle vor allem auf «grüne» Produkte wie Elektrofahrzeuge und Solarzellen aufgeschlagen, bei denen die USA China unfaire Handelspraktiken vorwerfen. Auch dieses Vorgehen hat einen Vorläufer. Selbst ein Zoll von 100 Prozent ist nicht neu. In den 1980er Jahren führte der damalige republikanische Präsident Ronald Reagan einen Handelskrieg gegen Japan.
Auch Reagan hatte seinen Handelskonflikt
Reagan führte mehrere Massnahmen ein, unter anderem eine Importabgabe von eben 100 Prozent für japanische Computer, Fernseher und elektrische Werkzeuge im Wert von 300 Millionen Dollar. Die amerikanischen Produzenten profitierten aber wenig, und der Preis der Speicherchips erhöhte sich für US-Computerbauer. Teile der Halbleiterproduktion gingen von Japan nach Südkorea oder Taiwan. Die Zölle und Quoten halfen den Amerikanern nicht, das Handelsbilanzdefizit dauerhaft abzubauen.
Für mehr amerikanische Exporte nach Japan sorgte weniger die Handelspolitik, sondern vielmehr die makroökonomische Entwicklung: Der stärker werdende Yen liess die Japaner mehr ausländische Waren kaufen – mit dem Nebeneffekt, dass die Protektionisten im US-Kongress etwas ruhiger gestellt wurden. China lässt sich aber wohl nicht wie Japan darauf ein, den Leitzins zu senken, um die Nachfrage im Inland zu erhöhen. Trump hatte vielmehr mit Peking vermehrte Importe von amerikanischem Soja und Erdgas ausgehandelt, um das US-Defizit zu senken.
Fragmentierung als Hauptrisiko
Die Neuauflage der Zollerhöhungen unter Biden zeigt noch etwas anderes auf: Washington schert sich derzeit wenig um ein regelgebundenes Welthandelssystem, das von der WTO verkörpert wird. Vielmehr vertrauen die USA auf die Macht des Stärkeren – was auch zu einer Spirale der Zollerhöhungen führen kann.
Für den Handelsexperten Ossa, der seit 2023 Chefökonom der WTO ist, besteht derzeit das Hauptrisiko in einer Fragmentierung der Weltwirtschaft. Wenn die Welt wegen der Geopolitik in zwei Handelsblöcke zerfällt, könnten laut einer Studie der WTO die Kosten der Zersplitterung gut 5 Prozent des weltweiten Realeinkommens betragen. Der Internationale Währungsfonds kommt zu ähnlich hohen Kosten in einer Studie. Damit liegen die Wohlstandseinbussen ähnlich hoch wie bei einem ausgewachsenen Handelskrieg, bei dem jeder gegen jeden kämpft.