Reuters
Haben die amerikanischen Medien Präsident Bidens gesundheitlichen Zerfall unterschätzt oder gar bewusst verschleiert? Eine genaue Rekonstruktion bringt ein vielschichtiges Bild zutage – und kommt zu überraschenden Ergebnissen.
Die beiden Präsidentschaftskandidaten stehen in sicherem Abstand auf einer halbrunden Bühne. Der Raum ist dunkel, im Hintergrund hält ein Weisskopfseeadler das amerikanische Wappen in den Klauen – alles wie schon in zahllosen Fernsehdebatten gesehen. Die Protagonisten haben beide jahrelang im Weissen Haus regiert und sind entsprechend bekannt. Dennoch sehen sich an diesem Abend des 27. Juni über 50 Millionen Zuschauer die Sendung an. Sie wissen, dass es hier um viel geht, und wollen mit eigenen Augen verfolgen, wie sich Joe Biden und Donald Trump in diesem ersten Fernsehduell des Wahlkampfs schlagen.
Die Live-Sendung hat es in sich. Während Trump eher ungewöhnlich zurückhaltend seine bekannte Rolle spielt, grandiose Versprechungen und zahllose Falschbehauptungen verbreitet, schockiert Biden das Publikum mit einem schwachen Auftritt, der eher an den Bewohner eines Altersheims als des Weissen Hauses denken lässt. Nach diesem Abend ist nichts mehr wie zuvor in der amerikanischen Politik.
Es folgen drei Wochen des Abtauchens und Abstreitens, dann erklärt Biden am 21. Juli den Rückzug seiner Kandidatur. Das hat es so kurz vor der Wahl noch nie gegeben in einem Präsidentschaftswahlkampf.
Wie konnte es so weit kommen? Warum hat niemand früher eingegriffen und klargestellt, dass Biden nicht mehr die Kraft hat, um diesen Wahlkampf zu bestreiten? Dass er das Vertrauen der Wähler für eine weitere Amtszeit nicht hat? Über diese Fragen ist in den USA eine heftige Debatte ausgebrochen. Einzelne führende Medien beschuldigen die Konkurrenz des Versagens.
Wir haben den Weg des Präsidenten über die vergangenen eineinhalb Jahre bis zu diesem katastrophalen Abend rekonstruiert. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk dem Meinungsteil der drei führenden nationalen Qualitätszeitungen «Wall Street Journal», «New York Times» und «Washington Post». Diese drei Qualitätszeitungen werden in den politischen Führungszirkeln Washingtons besonders beachtet, ihre Kommentare haben Gewicht. Haben sie ihre Leser ausreichend vor Bidens nachlassenden Kräften gewarnt?
Wir haben alle relevanten Meinungsartikel der drei Zeitungen ab Anfang 2023 gezählt und in der untenstehenden Grafik nach Titel getrennt aufgeführt. Grüne Kreuze symbolisieren Artikel, die Bidens Alter als Problem thematisieren. Grüne Punkte zeigen Artikel an, die das Problem relativieren. Die Grafik stellt diese Beobachtungen in einen Zusammenhang mit den Umfragewerten für die beiden Kandidaten im gleichen Zeitraum.
Man kann drei Phasen erkennen, in denen sehr intensiv über Bidens Alter diskutiert wurde: Die erste liegt um die Bekanntgabe seiner Kandidatur am 25. April 2023 herum, die zweite folgte im Herbst, als die Umfragewerte für Trump in die Höhe zu schiessen begannen und Biden zurückfiel. Die dritte schliesslich wurde durch die Publikation eines Berichts des Sonderermittlers Hur am 8. Februar 2024 ausgelöst. Doch das Weisse Haus wies sämtliche Kritik und Forderungen vehement zurück, die Demokratische Partei wollte nichts von einem Kandidatenwechsel wissen, und so versandete die Kritik jeweils wieder – bis zum grossen Debatten-Schock Ende Juni.
Frühjahr 2023: Bidens verhängnisvolle Entscheidung
Eigentlich lagen die Vorwahlen noch fast ein Jahr entfernt, doch in den politischen Zirkeln Washingtons herrschte Anfang 2023 bereits grosse Nervosität. Sollten die Demokraten bei der nächsten Präsidentenwahl erneut mit Joe Biden antreten? Hatte dieser 2020 nicht in Aussicht gestellt, er werde bloss ein Übergangspräsident sein? Und war er nicht viel zu alt für eine zweite Amtszeit?
Er wisse, was er von Präsident Biden fordere, sei etwas ausserordentlich Schwieriges. Es sei kalt, ja richtig grausam. Aber er bleibe dabei: Biden müsse zugunsten eines jüngeren Kandidaten auf eine zweite Amtszeit verzichten. Das schrieb Frank Bruni am 9. Februar in der «New York Times» (NYT). Bruni anerkannte Bidens starken Auftritt an der Rede zur Lage der Nation wenige Tage davor und dessen grosse Lebensleistung. Doch das änderte nichts an der Feststellung: 80 Prozent der demokratischen Wählerbasis fänden laut Umfragen, Biden mache seine Aufgabe gut. Gleichzeitig wünschten sich 58 Prozent derselben Gruppe einen anderen Präsidentschaftskandidaten.
«Das geht nicht auf.»
Der Präsidentschaftswahlkampf sei eine physisch und psychisch fürchterlich anstrengende Reise für jedermann, aber ganz besonders für einen über 80-Jährigen. Jede kleinste Schwäche Bidens würde von den Republikanern ausgenützt. «Das ist eine grosse und legitime Sorge.»
Doch der Präsident ignorierte den Kommentar des demokratischen Leibblattes wie auch die Bedenken seiner Wähler. Am 25. April kündigte er seine Kandidatur an. Der «NYT»-Kolumnist Thomas Friedman schloss daraus am gleichen Tag sehr pragmatisch, die altersbedingte Schwäche Bidens verweise auf die Bedeutung seiner Vizepräsidentin Kamala Harris. Jetzt müssten beide deren Stärken den Wählern deutlicher machen.
Das den Republikanern nahestehende «Wall Street Journal» («WSJ») zeigte sich kritischer:
«Biden wirkt gebrechlich, er verdreht seine Sätze, verliert seinen Gedankenfluss.»
Hätte der Präsident Land und Partei vor seine persönlichen Ambitionen gestellt, hätte er seinen Verzicht bekanntgegeben und den Stab an einen Jüngeren weitergereicht, schrieb der Kommentator Jason Riley. Seine hellsichtigen Worte sollten im Sommer 2024 nachhallen, doch damals blieben sie ungehört.
Die folgenden Wochen blieben ruhig für Biden und seine engsten Berater – bis der Präsident am 1. Juni 2023 eine Abschlusszeremonie der US Air Force Academy in Colorado besuchte und auf der Rednerbühne über einen Sandsack stolperte. Die Bilder des Präsidenten, der bei helllichtem Tag flach auf der Bühne lag, gingen um die Welt.
Die Amerikaner könnten dankbar sein, dass dem Präsidenten bei seinem Sturz nichts Schlimmes zugestossen sei, stellte das «WSJ »am 2. Juni fest.
«Aber wäre er auch 2025 so schnell wieder aufgestanden?»
Die Meinungsredaktion erinnerte in ihrem Editorial daran, dass laut Umfragen über 60 Prozent der Wähler der Meinung seien, Bidens physische und mentale Form sei nicht ausreichend stark für das Amt. Die Demokraten seien überzeugt, sie hätten keine andere Wahl als Biden, doch sie gingen damit ein grosses Risiko ein. Die anderen beiden Zeitungen liessen den Vorfall unkommentiert.
Herbst 2023: Schlechte Umfragewerte lösen Panik aus
Nach dem glimpflich verlaufenen Sturz konnte Biden drei vergleichsweise ruhige Sommermonate geniessen; sein Altersproblem war aus den Kommentarspalten weitgehend verschwunden. Die Bedenken brachen dafür im Herbst umso vehementer wieder aus, als schlechte Umfragezahlen die Demokraten aufschreckten. 76 Prozent der Amerikaner waren laut einer Umfrage sehr besorgt, dass Bidens Alter ihn in einer effektiven zweiten Amtsführung behindern würde.
Am 9. September fragte der «NYT»-Kolumnist Ross Douthat:
«Warum ist Joe Biden so unpopulär?»
Der Grund sei nicht die Wirtschaft, die recht gut laufe. «Vielleicht ist das grosse Problem die köchelnde Besorgnis wegen Bidens Alter?» Douthat schloss daraus, dass ein anderer Kandidat bessere Umfragewerte erhielte. Da dies keine Option für die Demokraten sei, sollten sie wenigstens von Biden fordern, kraftvoller in der Öffentlichkeit aufzutreten – mit allen damit verbundenen Risiken.
Die «WSJ»-Kolumnistin Peggy Noonan zeigte sich am 14. September weniger fatalistisch: «Das Altersproblem wird nur schlimmer werden», stellte sie fest. Bidens erneute Kandidatur sei ein Fehler gewesen, er sollte sich zurückziehen. Bei den Demokraten würde dadurch kurzfristig Chaos ausbrechen, doch am Ende hätten sie vielleicht einen Kandidaten, der eine kraftvolle Kampagne stemmen könnte.
Anfang November sollte es noch schlimmer kommen. Eine neue Umfrage von «New York Times»/Siena schockierte die Demokraten mit dem Ergebnis, dass Trump in fünf von sechs Swing States in Führung liegt. Die Medien erkannten einen Hauptschuldigen dafür: Joe Biden. Der konservative «Washington Post»-Kommentator George Will schrieb am 8. November:
«Es ist kaum zu glauben, dass Bidens Partei mit ihm zwölf Monate lang bis zur Niederlage schlafwandeln wird»
Die Meinungsredaktion des «WSJ» sah es ähnlich. Biden habe Mühe mit Live-Auftritten, sein Wahlkampfteam fürchte sich ständig vor dem nächsten Stolpern und raune hinter vorgehaltener Hand den Medien zu, sie trauten ihm den Wahlkampf nicht recht zu. «Warum hat er dann für eine zweite Amtszeit kandidiert, die er mit 86 Jahren beenden würde», fragte das Blatt am 17. November. Wenn er zu schwach für den Wahlkampf sei, warum sollten ihm die Wähler eine zweite Präsidentschaft anvertrauen?
Anfang 2024: «Ein älterer Herr mit schlechtem Gedächtnis»
Um den Jahreswechsel verstummten die kritischen Kommentare über Bidens Gesundheitszustand zunächst für eine Weile. Auf demokratischer Seite setzte Fatalismus über die Situation ein: Für einen personellen Wechsel schien es schlicht zu spät. Am 23. Januar begannen die Primärwahlen der Partei, in denen Biden mangels Konkurrenz einem überwältigenden innerparteilichen Sieg entgegensegeln konnte.
Ein linker Kolumnist der «Washington Post» schob die Altersfrage am 28. Januar mit folgender These beiseite:
«Es ist an der Zeit, dass sich alle, und speziell die Medien, damit abfinden, worin die eigentliche Wahl besteht: in der Entscheidung zwischen konstitutioneller Demokratie und Autoritarismus.»
Ausser Biden und Trump gab es in dieser Perspektive nichts.
Ein wichtiges Ereignis störte allerdings die Ruhe und sorgte für neue Schlagzeilen in den nationalen Medien. Der am 8. Februar veröffentlichte Bericht des Sonderermittlers Robert Hur zu Bidens Umgang mit vertraulichen Dokumenten enthielt überraschenden politischen Sprengstoff.
Wie erwartet verzichtete Hur auf eine Anklage gegen den Präsidenten, aber peinlich für diesen war eine der Begründungen dafür: Biden erscheine als «wohlmeinender älterer Herr mit schlechtem Gedächtnis», und in dieser Ausgangslage werde man kein Geschworenengericht von seiner Schuld überzeugen können.
Plötzlich gab es so etwas wie eine amtliche Bestätigung dafür, dass Bidens kognitive Beeinträchtigung nicht als blosse Unterstellung des Trump-Lagers abgetan werden konnte.
Der Präsident machte die Situation gleichentags noch schlimmer mit einer Pressekonferenz, in der er sich als die bestqualifizierte Person für das Präsidentenamt bezeichnete und sein Gedächtnis lobte. Zugleich verwechselte er die Präsidenten Mexikos und Ägyptens – und dies, nachdem er in den Tagen zuvor schon seine Regierungskollegen in Berlin und Paris mit den längst verstorbenen Staatsführern Helmut Kohl und François Mitterrand durcheinander gebracht hatte.
«Ich denke, dass – wie Sie wissen, wollte der mexikanische Präsident Sisi das Tor zunächst nicht öffnen, um humanitäre Güter hereinzulassen.»
Die Reaktionen in den Kommentarspalten waren geteilt. Die «Washington Post» schaltete sofort auf Verteidigung und meinte am 9. Februar in einer Kolumne, dass Hurs Darstellung eines Tattergreises unfair sei und «nicht mit dem übereinstimmt, was von Leuten mit häufigem Umgang mit ihm» zu hören sei.
Die «New York Times» machte es sich weniger einfach. Sie hielt den Finger gleich in fünf Kommentaren auf den wunden Punkt. Die Meinungsredaktion schrieb in ihrem Editorial von bröckelndem öffentlichem Vertrauen und einem dunklen Moment, da es den Anschein mache, Biden verstecke sich – oder noch schlimmer: Er werde versteckt. Er müsse mehr tun, um zu beweisen, dass er sein Amt bis zum Alter von 86 Jahren ausüben könne.
Die Zeitung kritisierte auch, dass der Präsident von der Öffentlichkeit abgeschirmt werde und viel weniger den Fragen der Medien stellte als sein Vorgänger.
Für konservative Kommentatoren, ob in der «New York Times» oder im «Wall Street Journal», gab es jedoch nichts mehr zu beweisen: Biden sollte nicht erneut kandidieren, das sei offensichtlich, schrieb beispielsweise der Kolumnist Ross Douthat in der «New York Times».
Eine andere konservative Stimme argumentierte, Biden sei nur im Rennen, weil die Demokraten noch viel grössere Vorbehalte gegenüber Kamala Harris als Ersatzkandidatin hätten.
Frühjahr 2024: Biden spielt bis zur TV-Debatte auf Zeit
Biden konnte die Krise zunächst aber aussitzen. Sein Amtsarzt bescheinigte der Nation am 28. Februar, dass Biden ein gesunder, robuster 81-Jähriger sei – und «weiterhin fit für die erfolgreiche Ausübung des Präsidentenamtes». In seiner Rede zur Lage der Nation am 7. März wirkte Biden kämpferisch und energisch.
Am 12. März erreichte der Demokrat in den Vorwahlen das Ziel; er hatte nun die nötige Anzahl von Delegiertenstimmen für die Nomination zum Präsidentschaftskandidaten auf sicher. Für Alternativkandidaten schien der Zug längst abgefahren.
Die Debatte über Bidens kognitiven Abbau erhielt trotzdem immer neue Nahrung: Am 24. April las er schleppend eine Rede vom Teleprompter ab, sagte den Kampfruf «Vier weitere Jahre!» und danach das Wort «Pause». Letzteres war offensichtlich nur eine Regieanweisung an ihn gewesen. Die starre Miene des Präsidenten machte seine Verwirrtheit erst recht deutlich.
«Leute, stellt euch vor, was wir als Nächstes tun können. Vier – weitere Jahre. Pause.»
In den Medien herrschte Zurückhaltung, die immergleiche Frage von neuem aufzukochen. In Meinungsartikeln während des Frühlings dominierten Beschönigungen und Resignation. Bemerkenswert war beispielsweise eine «Washington Post»-Kolumne vom 13. April, in der Bidens stets unterschätzte «Superpower» beschworen wurde. Die altgediente «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd erteilte Biden unter dem Titel «Nimm’s ruhig, Joe» einen Rat: Er solle es mit seinen Aktivitäten nicht übertreiben; das habe sich schon bei Ronald Reagan bewährt.
Eine bemerkenswerte Ausnahme war der «Times»-Kolumnist Ezra Klein: Nüchtern legte er am 19. Mai dar, dass das Problem von Bidens Alter nicht einfach verschwinden werde und es noch immer Alternativen gebe. Er sagt zu seinem Alter:
Die pessimistische Sicht ist, dass viele Wähler zum Schluss gekommen sind, dass Biden der Aufgabe nicht gewachsen ist. Die Demokraten behaupten, dass sich die Wähler irren, aber den Wählern zu sagen, dass sie sich irren, ist ein guter Weg, eine Wahl zu verlieren.
Hellsichtig erklärte Klein die auf Ende Juni angesetzte Fernsehdebatte zwischen Biden und Trump zum entscheidenden Moment. Falls Biden dort strauchle, müssten die Demokraten entscheiden, ob sie an ihrem Parteikonvent nicht jemand anders nominieren wollten.
Tatsächlich sollte diese Debatte fünf Wochen später zu einem ungeahnten Wendepunkt werden. Doch bereits im Vorfeld nahmen die Hinweise auf eine verschlechterte Form des Präsidenten zu: Am G-7-Gipfel in Italien am 13. Juni wirkte er steif und gebrechlich, ebenso bei einer Benefizveranstaltung in Los Angeles zwei Tage später, als ihn sein Vor-Vorgänger Obama von der Bühne geleitete.
Mehrere der dortigen Teilnehmer, unter ihnen der Hollywoodstar George Clooney, äusserten sich später schockiert über das konfuse Verhalten des Präsidenten. Bei einem Anlass zur Einwanderungspolitik konnte sich Biden am 18. Juni nur nach langem Stottern des Namens seines zuständigen Ministers erinnern.
«Dank an alle Mitglieder des Kongresses und an den Minister für Innere Sicherheit – ich (unverständlich) – ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie umfassend vorstellen werde – (Gelächter) – aber Spass beiseite, Minister Mayorkas, (. . .)»
Bidens desaströser Auftritt an der Fernsehdebatte vom 27. Juni konnte deshalb für genaue Beobachter keine wirkliche Überraschung darstellen. Ihre Tragweite bestand jedoch darin, dass der gesundheitliche Zerfall Bidens erstmals auf umfassende Weise und für ein Publikum von mehr als 50 Millionen Menschen sichtbar wurde. Nach diesem Moment liess sich nicht mehr überzeugend behaupten, dass Biden seinem Amt für weitere viereinhalb Jahre gewachsen sei. Praktisch unisono forderten die Medien einen Rückzug Bidens aus dem Präsidentschaftsrennen.
«(. . .) sicherzustellen, dass wir in der Lage sind, jede einzelne Person für das zu qualifizieren, was ich tun konnte mit dem Covid – entschuldigt, mit allem, womit wir zu tun haben.»
«Schaut, wenn – wir haben Medicare endlich besiegt.»
Bidens Sturheit, die Komplizenschaft seiner Umgebung und die Grenzen der Medienmacht
Hätten die Medien dies nicht viel früher tun müssen? Haben sie den Verantwortlichen im Weissen Haus gar geholfen, den Zustand des demokratischen Kandidaten zu verschleiern? Die obige Analyse zeigt, dass es unzählige Warnsignale gab und die drei untersuchten Leitmedien durchaus darüber berichteten. Mit unterschiedlicher Intensität forderten sie wiederholt in Kommentaren, dass die Demokraten eine neue Kandidatur aufstellen sollten.
Insgesamt geschah dies jedoch kaum mit dem nötigen Nachdruck. Auf Zeiten des journalistischen Engagements folgten Phasen des Abwartens, des Ignorierens oder sogar der Resignation. Mit Blick auf die Medienmechanismen erstaunt das wenig: Eine Redaktion muss sich gut überlegen, ob sie ihren Lesern gebetsmühlenhaft wiederholte Forderungen zumuten will, die an den politischen Realitäten abprallen.
Halbherzig wirkt aber besonders das Verhalten der «Washington Post». Die betrachtete Bidens Sesselkleberei zwar mit Skepsis und erkannte im präzedenzlos hohen Alter des Präsidenten ein Risiko. Sie forderte ihn schon 2023 zu mehr Pressekonferenzen auf, um seine mentale Stärke zu beweisen. Als Biden jedoch das Gegenteil tat und immer seltener auftrat, nahm die «Post» dies einfach hin. Derweil warnten manche ihrer Kolumnisten vor einer Obsession mit dem Alter der beiden Kandidaten oder versteiften sich darauf, dass Biden immer noch meilenweit die bessere Wahl als Trump sei.
Manche Autoren der «New York Times» und des «Wall Street Journal» liessen nicht locker und prangerten Bidens Kandidatur wiederholt als unnötiges Wagnis für das Land an. Aber es blieben Einzelstimmen. Weder das Weisse Haus noch die Demokratische Partei insgesamt gerieten dadurch unter Druck. Aus dem Umkreis des Präsidenten kam als Echo stets die Propaganda-Botschaft zurück, dass alles in Ordnung sei.
Dies zeigt, dass den Medien Grenzen gesetzt sind, wollen sie nicht kampagnenartig stets in dieselbe Kerbe hauen. Die Verantwortung, keine mangelhaften Kandidaten ins Rennen zu schicken, liegt zuallererst bei den Parteien. Bidens Demokraten müssen sich dabei ein schweres Versagen vorwerfen lassen. Hätten sie nach dem Debakel der Fernsehdebatte nicht eine schwere Wahlniederlage heraufziehen sehen, würden sie den Zustand Bidens wohl bis heute schönreden.
Skandalös wirkt aber auch das Verhalten von Funktionären des Weissen Hauses, die den Präsidenten von der Öffentlichkeit abschirmten und seine kognitive Beeinträchtigung auf diese Weise zu vertuschen suchten.
Auch dies muss allerdings relativiert werden: Das Publikum liess sich letztlich nicht in die Irre führen. Seit 2023 ergaben mehrere Umfragen, dass 70 bis 80 Prozent der Amerikaner der Auffassung waren, Biden sei zu alt für eine weitere Amtszeit. Was diese Bürgerinnen und Bürger am Fernsehen oder über soziale Netzwerke sahen, liess sie offensichtlich früh zu einem klaren Urteil kommen.
Es war das politische Personal – Biden, seine Berater, die demokratischen Kongresspolitiker, führende Parteifunktionäre –, das so tat, als könnte es diese Meinung einfach übergehen. Es brauchte eine verheerende Fernsehdebatte, um diese Strategie zu entlarven und ihr endgültig den Boden zu entziehen.
Illustration Teaser: Simon Tanner
Weitere Mitarbeit: Kaspar Manz, Pascal Burkhard







