Viele Briten kaufen ihr Frühstück in der Bäckereikette Greggs, die auf der Insel inzwischen weit mehr Filialen zählt als McDonald’s. Was macht die Wurstrollen und Teigtaschen so erfolgreich?
Birmingham wird in Grossbritannien die «second city» genannt. Tatsächlich hat die Industriestadt in Mittelengland bis heute nie aus dem Schatten der Weltstadt London herausgefunden. Doch hat auch die zweitgrösste englische Stadt einige Superlative zu bieten: An der High Street steht eine gigantische Filiale des Modehauses Primark – mit einer Verkaufsfläche von knapp 15 000 Quadratmetern ist sie gemäss dem «Guinness-Buch der Rekorde» das grösste Kleiderwarenhaus der Welt.
Im zweiten Geschoss des gigantischen Shoppingcenters befindet sich die grösste Filiale einer weiteren britischen Institution: der nordenglischen Billigbäckereikette Greggs. An eine Bäckerei erinnert in dem Lokal freilich wenig. Die Filiale ist als neonfarbiges Café gestylt, die Tische und Bänke erinnern an übergrosse, farbige Donuts. In der sogenannten Instagram-Ecke laden eine fliegende Teigtasche und eine Donut-Schaukel die Kundschaft dazu ein, Fotos zu schiessen und über die sozialen Netzwerke zu teilen.
Innovation, Exzentrik und tiefe Preise
Das etwas skurril anmutende Café illustriert, warum Greggs in den letzten Jahren zu einer der erfolgreichsten Gastro-Marken im Vereinigten Königreich avanciert ist. Die Bereitschaft zur Innovation und der Mut zur Exzentrik verbinden sich mit einem Angebot von währschaften Backwaren zu unschlagbar günstigen Preisen. Die Sausage-Roll, das bekannteste Produkt im Sortiment, kostet 1 Pfund 25 (1 Franken 40). Der Breakfast-Deal mit Brötchen mit Wurst oder Speck, Omelette und einem Heissgetränk ist für 2 Pfund 85 zu haben.
Auch die 20-jährige Studentin Izzy nennt den Preis als Hauptgrund dafür, dass sie an diesem Vormittag mit zwei Freundinnen das Greggs-Café in Birmingham aufgesucht hat. «Greggs ist billig, schnell, und man erhält ein gutes Frühstück – überall sonst wird man abgezockt», sagt Izzy. Zudem habe Greggs zahlreiche Angebote für Vegetarier wie sie. «Ich bin ein riesiger Fan der veganen Wurstrolle.»
Mehr Filialen als McDonald’s
Grossbritannien litt in den letzten Jahren unter einer hartnäckigen Inflation, die zweistellige Werte erreichte. Die Preise in Supermärkten und Gastro-Betrieben schnellten in die Höhe. Immer mehr Britinnen und Briten litten unter den steigenden Lebenskosten. Auch vor diesem Hintergrund konnte die Bäckereikette Greggs, die ihre Preise anders als die Konkurrenz nur unmerklich erhöhte, ihren Marktanteil erhöhen. Der Wahlspruch «Cheap and tasty» entsprach nicht nur dem Zeitgeist, sondern war für Teile der Bevölkerung schlicht eine ökonomische Notwendigkeit.
Die Herstellung der beliebtesten Greggs-Produkte ist relativ billig, und dank den hohen Verkaufsmengen resultieren ansehnliche Profite. Im letzten Jahr konnte Greggs etliche Erfolge vermelden: Der Gewinn stieg im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent auf 168 Millionen Pfund (189 Millionen Franken). Zudem erreichte die Firma einen Anteil von 20 Prozent am gesamten britischen Take-away-Frühstücks-Markt. Mitte Jahr vermeldete die Bäckerei überdies die Eröffnung des 2500. Ladens im Vereinigten Königreich. Der amerikanische Konkurrent McDonald’s, der den britischen Frühstücksmarkt lange dominiert hatte, zählt in Grossbritannien bloss 1450 Filialen.
Greggs hat nicht nur die Gaumen, sondern auch die Herzen der Briten erobert. Die Wurstrollen sind zwar überraschend knusprig und würzig. Doch wer Feinschmeckerkost erwartet, wird enttäuscht. Zudem braucht man starke Zähne, um ein «Steak Bake» (in Teig gehülltes Rindssteak) zu zerkauen. Doch wer an der Qualität der Greggs-Produkte auch nur leise Zweifel äussert, muss in Grossbritannien mit pikierten Reaktionen rechnen – als hätte man es gewagt, die Berechtigung des staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) oder den Sinn der Monarchie zu hinterfragen.
Tatsächlich ist Greggs eine nationale Institution. Gegründet wurde das Unternehmen von John Gregg vor über achtzig Jahren in Newcastle. Nachdem er zunächst die ganze Stadt mit dem Fahrrad mit Eiern und Hefe beliefert hatte, eröffnete Gregg 1951 seine erste Bäckerei an der Gosforth High Street in Newcastle. Von dort aus wuchs das Geschäft zum Imperium heran. Dennoch beruft sich die Firma bis heute auf ihre bescheidenen Anfänge und gibt sich betont unprätentiös und volksnah. Manche Nordengländer verspüren auch einen regionalen Stolz darauf, dass man den kultivierten und reichen Südengländern zumindest bei der Produktion von Backwaren den Meister gezeigt hat.
Tiefstpreise im Outlet
In Grossbritannien gibt es kaum einen Bahnhof oder eine Autobahnraststätte ohne Greggs. Die höchste Dichte an Greggs-Fililalen findet sich aber in Glasgow, weshalb die Boulevardzeitung «The Mirror» die schottische Industriemetropole zur britischen «Wurstrollen-Hauptstadt» gekürt hat. Glasgow beheimatet 54 Greggs-Läden. An zweiter und dritter Stelle folgen Birmingham mit 49 und Leeds mit 43 Filialen.
In den Aussenquartieren Glasgows konzentrieren sich soziale Probleme wie Alkoholismus, Drogensucht und Armut – laut der Regionalregierung liegen vier der fünf am stärksten benachteiligten Gebiete Schottlands in Glasgow. Dazu gehört auch das Viertel Nitshill im Südwesten der Stadt. Das Quartier war einst eine Siedlung für die Arbeiter einer Kohlemine, heute dominieren graue Sozialwohnungen.
An einer Strassenkreuzung steht ein sogenanntes Greggs-Outlet. Hier werden leicht beschädigte oder am Vortag hergestellte Backwaren zu vergünstigten Preisen verkauft. Eine Familienpackung mit zwölf Donuts koste hier bloss 3 Pfund, erklärt der Verkäufer hinter der Theke. Er empfehle auch die Käse-Zwiebel- oder die neuen, leicht scharfen Gemüse-Krapfen, bei denen man für jedes gekaufte Produkt ein zweites gratis dazu erhalte.
Der Outlet-Shop ist bei Anwohnern aus den Sozialsiedlungen beliebt. Am Abend decken sich im Laden jeweils auch Vertreter von wohltätigen Organisationen ein, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen. «Seit die Lebenskosten so stark angestiegen sind, rennt man uns hier die Bude ein», sagt der Verkäufer.
Hergestellt werden die Backwaren in kleinen Produktionsstätten, die im ganzen Land verteilt sind. Von dort aus transportiert sie Greggs mit eigenen Lastwagen in die Läden, wo sie für einige Minuten aufgebacken werden und daher frisch anmuten. Was nach Ladenschluss übrig bleibt, landet in den Outlet-Shops. Dass der ganze Prozess von der Herstellung über den Transport bis zur Zweitverwendung aus einer Hand erfolge, erlaube Greggs, die Kosten tief zu halten, schreibt die Firma auf ihrer Website.
Humoristische PR-Strategie
Zum Erfolg des Unternehmens, dessen Aktienwert in den letzten fünf Jahren um fast 60 Prozent gestiegen ist, trägt laut Experten auch die PR-Strategie mit humoristisch britischem Unterton bei. Als Greggs vor einigen Jahren vegane «Wurstrollen» ins Sortiment aufnahm, hagelte es Kritik. Der TV-Moderator Piers Morgan betitelte die Greggs-Manager als «von der politischen Korrektheit verwüstete Clowns». Die PR-Verantwortlichen reagierten mit Selbstironie – und nutzten den Online-Schlagabtausch, um die neuen Produkte noch bekannter zu machen.
Bereits vor zehn Jahren münzte Greggs einen PR-Gau in einen Erfolg um. Wer damals auf Google nach der Firma suchte, stiess auf ein Parodie-Logo mit der Aussage, Greggs versorge den sozialen Abschaum des Landes mit «Scheissfrass». Greggs nahm es mit Humor. In den sozialen Netzwerken veröffentlichte die Firma ein Bild mit einem Blech frisch gebackener Donuts und dem Kommentar: «Hallo Google, die gehören alle dir, wenn du das schnell wieder in Ordnung bringst!!!»