Ameisen werden die Landwirtschaft verändern. Davon ist der dänische Ökologe Joachim Offenberg überzeugt. Sie fressen Schädlinge und schützen Bäume gegen Pilze.
Der Tribut ist zu hoch: Jährlich werden zwischen 20 und 40 Prozent der weltweiten Erntemenge durch Schädlinge und Krankheiten zerstört. Für die Sicherung der Welternährung spielt deshalb die wirksame Kontrolle von Schädlingen eine zentrale Rolle. Meist kommen dabei synthetische Pestizide zum Einsatz, doch viele von ihnen belasten die Gesundheit von Mensch und Tier, töten Nützlinge genauso wie Schädlinge, reduzieren die Artenvielfalt und sind oft nur eine begrenzte Zeit wirksam, weil Schädlinge Resistenzen entwickeln.
Kein Wunder, nimmt das Interesse an biologischen Alternativen zu, welche die Umwelt weniger gefährden. «Im Treibhaus ist die biologische Schädlingsbekämpfung schon heute oft günstiger und effektiver als der Einsatz von synthetischen Pestiziden», erklärt Joachim Offenberg, Ökologe und Senior Researcher an der Universität Aarhus in Dänemark. «Wir wollen die Erfolge im Treibhaus aufs Feld bringen – und setzen dabei auf Ameisen.»
Metastudie zeigt Wirksamkeit
Ameisen bilden Superorganismen und sind Meister der Kooperation. Sie nutzen chemische Botenstoffe, um schnell und klar miteinander zu kommunizieren. Das macht sie zu exzellenten Jägern. Im Kollektiv können Ameisen andere Insekten attackieren, die weit grösser sind als sie selbst, zum Beispiel Schmetterlingsraupen.
In China wurden bereits 400 n. Chr. Ameisen in der Landwirtschaft eingesetzt, und bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es dort Dörfer, in denen die Sechsbeiner kultiviert und an Orangenproduzenten verkauft wurden. Mit der grünen Revolution und der damit verbundenen Verfügbarkeit von relativ günstigen synthetischen Pestiziden ging das Interesse an den natürlichen Schädlingsbekämpfern verloren. Erst seit einigen Jahren wird der landwirtschaftliche Nutzen von Ameisen wiederentdeckt – und mit neuem Wissen erweitert.
In der weltweit grössten Übersichtsstudie, die 2022 im Fachjournal «Proceedings of the Royal Society B» erschienen ist, analysierten Forschende aus Brasilien und den USA 52 Studien mit 26 verschiedenen Ameisenarten in diversen Pflanzenkulturen, darunter Zitrusfrüchte, Mangos, Äpfel und Kakao. Ihr Fazit: Wenn Ameisen präsent waren, sank die Anzahl von Schädlingen in den Kulturen.
Weiter stellten sie fest: Wo es viele Ameisen gab, traten weniger Pflanzenschäden auf und fielen die Ernten höher aus. Diese Effekte waren besonders ausgeprägt in vielfältigen und beschatteten Pflanzungen, zum Beispiel bei Bananen in Kombination mit Kakao. In grossflächigen Monokulturen waren sie kleiner.
Problematische Symbiose
Allerdings hatte die Einführung von Ameisen in landwirtschaftliche Systeme manchmal auch negative Folgen. So nahm die Zahl der Schädlinge, die Honigtau produzieren, in den meisten analysierten Studien zu. Honigtau ist eine zuckerhaltige Ausscheidung verschiedener Lausarten und Zikaden. Ameisen leben mit Blattläusen in einer Trophobiose – einer besonderen Form der Symbiose, die auf dem Austausch von Nahrung beruht. Die Ameisen «melken» die Blattläuse und ernähren sich von deren Honigtau. Im Gegenzug fressen sie die natürlichen Feinde der Blattläuse – und begünstigen so deren Vermehrung.
Wenn man mit den Ameisen nicht gleichzeitig die schädlichen Blattläuse fördern will, muss die Trophobiose zwischen ihnen durchbrochen werden. Joachim Offenberg hat dazu einen einfachen Weg gefunden. In den vergangenen Jahren führte er mehrere Feldversuche mit heimischen Roten Waldameisen (Formica polyctena) in dänischen Apfelplantagen durch. Der Ökologe ging jeweils in den Wald, stach einen grossen Ameisenhaufen aus und teilte diesen in kleinere Haufen. Dabei stellte er sicher, dass in jedem eine Königin war. Denn diese ist für die Fortpflanzung der ganzen Kolonie verantwortlich.
Dann verteilte er die Haufen in der Plantage, versorgte die Tiere mit Baumnadeln für den Nestbau und brachte Zuckerspender an Bäumen an. «Wenn wir die Ameisen mit Zucker füttern, dann beginnen sie die Blattläuse zu fressen», erklärt der Ökologe. «Sie nutzen die Läuse nicht mehr als Zucker-, sondern als Proteinquelle.» In einem Versuchsfeld mit Apfelbäumen voller Blattläuse brachte sein Team Ameisenkolonien und Zuckerspender ein. Zwei Jahre danach fanden sie keine einzige Blattlaus mehr.
2021 stellte Offenbergs Team im Feldversuch einen weiteren Effekt fest: Die von Ameisen besiedelten Bäume waren weniger von Pilzkrankheiten befallen. Labortests ergaben, dass die Oberfläche der Ameisen mit Bakterien besiedelt war, die antibiotische Stoffe produzieren. «Ameisen leben sehr eng zusammen. Deshalb müssen sie sich gut gegen Infektionskrankheiten schützen», erklärt Offenberg.
Die Bakterien produzieren eine Art Breitbandantibiotikum, das nicht nur gegen Ameisenkrankheiten wirkt, sondern auch gegen Pilzkrankheiten an Obstbäumen. Zum Beispiel gegen den Apfelschorf, der durch einen Schlauchpilz verursacht wird und dunkle Flecken auf den Äpfeln verursacht. Waren Ameisen anwesend, verdoppelte sich in einem Feldversuch die Anzahl der Äpfel ohne Schorfbefall. Zudem wiesen befallene Früchte je nach Apfelsorte zwischen 53 und 81 Prozent weniger Flecken auf.
«Ameisen sind ein wenig wie ein Schweizer Sackmesser», sagt Offenberg. «Sie bieten Lösungen für mehrere Probleme gleichzeitig.» Seine ehemalige Doktorandin Ida Cecilie Jensen hat im Labor fünfzehn verschiedene Mikroorganismen von der Oberfläche Roter Waldameisen isoliert, deren Stoffwechselprodukte gegen mindestens eine Pflanzenkrankheit wirksam sind, darunter Pilze und Bakterien.
Chance für biologischen Anbau
«Für die biologische Landwirtschaft könnten Ameisen ein Game-Changer sein», sagt Offenberg. «Da hier keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden dürfen, brauchen die Bauern Alternativen.» Ameisen könnten die schwankenden Ernteerträge in der biologischen Landwirtschaft teilweise ausgleichen und diese profitabler machen.
Seine ehemalige Doktorandin Ida Cecilie Jensen versucht, das System zu kommerzialisieren. Sie hat das Startup Agro Ant gegründet und sucht derzeit ein Waldstück, um sich dauerhaften Zugang zu Ameisenkolonien zu sichern. Erste dänische Apfel- und Weinproduzenten konnte sie bereits als Kunden gewinnen. Jensens Service: Sie bringt die Ameisenstöcke ins Feld, installiert die Zuckerspender und kontrolliert die Gesundheit der Kolonien sowie ihre Wirksamkeit gegen Schädlinge und Krankheiten im Feld.
Jensen und Offenberg sehen im grossflächigen Ausbringen von Ameisen auf europäischen Feldern viel Potenzial – und wenig Risiken. «Vorausgesetzt, wir verwenden einheimische Ameisenarten und stellen sicher, dass wir keine invasiven Arten einführen», sagt Offenberg. «Ameisen haben sich in der Evolution erfolgreich durchgesetzt, sie sind deshalb weit verbreitet, angepasst und sehr widerstandsfähig gegenüber Temperatur- und Wetterschwankungen.» An möglichen Helfern mangelt es nicht: Rund 16 000 Arten und Unterarten von Ameisen sind heute bekannt. Sie machen ein Drittel aller Insekten aus, und ihre Biomasse entspricht rund 20 Prozent der Biomasse der gesamten Menschheit.
Der Schweizer Evolutionsbiologe Laurent Keller, der über dreissig Jahre zu Ameisen geforscht hat, stimmt der Einschätzung Offenbergs grundsätzlich zu und verweist auf die vielfältigen Symbiosen zwischen Pflanzen und Ameisen. «Manche Pflanzen ziehen Ameisen durch Nektar oder gute Nestmöglichkeiten an.» Keller sieht bei der bewussten Nutzung in der Landwirtschaft keine Umweltrisiken – vorausgesetzt, dass die Trophobiose mit honigtauproduzierenden Insekten kontrolliert wird.
Limiten sieht er eher in der Praxis: «Es ist nicht einfach, Ameisen aus Wäldern in Felder zu transplantieren und neue Kolonien aufzubauen. Damit dies grossflächig gelänge, müssten die Leute erst darin geschult werden.» So gelte es zum Beispiel diejenigen Populationen zu finden, in welchen mehrere Königinnen lebten, denn nur solche liessen sich trennen und anderswo neu ansiedeln. Hinzu kommt: Anders als in Dänemark sind Rote Waldameisen in manchen Staaten geschützt, so auch in der Schweiz. Die Tiere dürfen nicht einfach vom Wald ins Feld versetzt werden.
Es gebe wenig, mit dem Ameisen nicht zurande kämen, so Offenberg. Das grösste Problem für sie ist, wenn sie kein Material mehr finden, um Nester zu bauen. Wollten die ersten Kunden des Startups Agro Ant die biologische Schädlingsbekämpfung irgendwann wieder einstellen, müssten sie nichts weiter tun, als keine Baumnadeln mehr aus dem Wald aufs Feld zu bringen, sagt Offenberg: «Dann sterben die Ameisen schnell aus.» Und dies ohne bleibende Schäden für Boden, Gesundheit und Artenvielfalt.
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