Der Winterthurer Stadtrat will mehr Grünraum. Eine Allianz aus Bürgerlichen und Grünen probt den Aufstand.
Normalerweise verstehen sich Gemeinderat und Stadtregierung gut in Winterthur. Doch nun sieht sich der Stadtrat mit einer gemeinsamen Fraktionserklärung konfrontiert, die eine Mehrheit im Parlament unterstützt: FDP, Mitte, EVP, GLP, Grüne und SVP fordern, dass der Stadtrat seinen Vorschlag für eine Teilrevision der Bau- und Zonenordnung (BZO) sofort zurückzieht.
Die in der Revision enthaltenen Mindestanteile für Grünflächen entsprächen nicht dem Auftrag des Parlaments und drohten die Siedlungsentwicklung gegen innen arg einzuschränken. Die Fraktionen berufen sich in ihrer Erklärung auf den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein.
Was ist geschehen?
Konkret dreht sich der Streit um die Grünflächenziffer, welche das Winterthurer Amt für Städtebau einführen will. Hintergrund der Anpassung ist die Harmonisierung der Baubegriffe. Das Baurecht bleibt wie bis anhin kantonal geregelt, im Gegensatz zu heute werden schweizweit die gleichen Begriffe verwendet.
Die Grünflächenziffer ersetzt die bisherige Freiflächenziffer und bestimmt den Anteil an Grünfläche, die auf einem Grundstück mindestens erhalten bleiben muss. Während die Freiflächenziffer auch Wege oder Spielplätze umfasste, ist die Grünflächenziffer enger definiert und umfasst nur gänzlich unversiegelte Böden.
Den Gemeinden steht es frei, ob sie eine Grünflächenziffer einführen wollen. 48 Kommunen im Kanton Zürich haben die Harmonisierung bereits umgesetzt. 27 von ihnen haben eine Grünflächenziffer verfügt. In Winterthur geht der Wunsch nach einem Mindestanteil an Grünfläche auf eine Motion im Stadtparlament zurück.
In der Stadt Winterthur galt bis anhin eine Freiflächenziffer von 20 Prozent. Doch der nun vom Stadtrat in die Vernehmlassung gegebene Vorschlag geht vielen Politikerinnen und Politikern zu weit: In Wohnzonen soll der Grünflächenanteil neu zwischen 55 und 65 Prozent liegen, in Zentrums- und Arbeitsplatzzonen zwischen 30 und 40 Prozent.
Für die unterzeichnenden Parteien ist klar, derart hohe Grünflächenziffern stellten «eine massive Änderung der BZO dar». So steht es in der gemeinsamen Erklärung. Ein Einbezug der zuständigen Parlamentskommission wäre nach Ansicht der Fraktionen zwingend gewesen.
Ein «realitätsfremder» Vorschlag
Denn Auswirkungen haben die neuen Regeln bereits heute, obwohl die BZO-Revision noch nicht abgeschlossen ist. Man spricht in diesem Fall von einer negativen Vorwirkung. Diese soll verhindern, dass just vor einer Neuregelung Bauten erstellt werden, die dieser widersprechen.
Folglich können sämtliche Baugesuche von der Änderung betroffen sein. Entsprechend gross ist die Nervosität bei Winterthurer Bauherrschaften und Architekturbüros. Die Befürchtung: Zahlreiche Projekte drohen auf Feld 1 zurückgeworfen oder ganz verhindert zu werden. In der Branche hofft man auf ein Einlenken.
Peter Sturzenegger ist Inhaber eines Architekturbüros in Winterthur, Vorstandsmitglied des KMU-Verbands und der Vereinigung der freischaffenden Architekten Winterthur. In diesen Funktionen hat er zwei Einwendungen gegen die geplante Teilrevision angeregt. «Der Vorschlag des Stadtrats ist derart realitätsfern, dass er für sämtliche Bauprojekte in Winterthur einen Schuss vor den Bug darstellt.»
Sein Büro habe fünf bereits ausgeführte Projekte geprüft, um zu sehen, ob sie den Anforderungen gerecht würden, sagt Sturzenegger. Fazit: Kein einziges erfüllt die Grünflächenziffern, die dem Stadtrat vorschweben. Bei einem Projekt handle es sich um ein Einfamilienhaus auf einem knapp 500 Quadratmeter grossen Grundstück in der zweigeschossigen Wohnzone. «Gemäss der heutigen BZO hat es auf der Parzelle noch etwa 20 Prozent Baumassen-Reserven. Wendet man die neuen Regeln an, fehlen auf der nicht vollständig ausgenützten Parzelle bereits 80 Quadratmeter Grünfläche.»
Der Hauseigentümerverband spricht sich derweil für einen gänzlichen Verzicht auf die Grünflächenziffer aus. Der Umgang mit Grünflächen sei im kantonalen Planungs- und Baugesetz bereits hinlänglich geregelt.
Stadtrat hält sich bedeckt
Ob der Winterthurer Stadtrat sich der Forderung der Bürgerlichen und der Grünen beugt, ist noch nicht entschieden. In einer Medienmitteilung lässt er verlauten, er nehme das Anliegen der breiten Allianz im Stadtparlament zur Kenntnis und habe sich dazu beraten. Weitere Fragen dazu werden nicht beantwortet.
Ein Blick auf die Grünflächenziffern in anderen Gemeinden zeigt: Winterthur hätte je nach Zone den höchsten Wert. Dicht darauf folgt Andelfingen, wo in den Wohnzonen 1 und 2 Grünflächenanteile von 50 beziehungsweise 60 Prozent gelten. Bei den meisten anderen Gemeinden liegen die Grünflächenziffern unter 40 Prozent.
Nicht alle Winterthurer Parteien haben sich der Fraktionserklärung angeschlossen. Das ist allerdings nicht zwingend als Zustimmung zum Vorschlag des Stadtrats zu werten. Beatrice Helbling-Wehrli, Co-Fraktionspräsidentin der SP, sagt auf Anfrage, ihre Partei habe zu spät von der geplanten Erklärung erfahren. Eine fundierte Abklärung sei nicht möglich gewesen. Zudem wolle die SP der Kommissionsberatung nicht vorgreifen. Dort könnten Vor- und Nachteile der geplanten Teilrevision vertieft diskutiert werden.
Bis die Vorlage im Parlament traktandiert wird, dauert es noch. Hält der Stadtrat an seinem bisherigen Kurs fest, befasst sich das Stadtparlament voraussichtlich Ende August mit dem Geschäft. Allfällige Anpassungen muss die Baudirektion gutheissen.