Die höher als erwartet ausgefallene Inflation in den USA versetzt amerikanischen Aktien und dem Bitcoin nach dem jüngsten Rally einen Dämpfer. Schlägt nun die Stunde für Schweizer Aktien?
Nach dem jüngsten Rekord-Rally haben die Anleger am Aktienmarkt und bei den Kryptowährungen am Dienstag einen Rückschlag erlitten. Dafür sorgte die amerikanische Inflation. Diese schwächte sich im Januar zwar auf 3,1 Prozent ab, Ökonomen hatten aber mit einem Wert von 2,9 Prozent gerechnet. Die höher als erwartete Inflation dämpfte die Hoffnungen von Börsianern auf baldige und starke Zinssenkungen der US-Notenbank Federal Reserve.
Beobachter gehen dennoch davon aus, dass das Rally bei Aktien und dem Bitcoin weitergehen könnte. Nach dem starken letzten Jahr haben US-Aktien auch einen sehr guten Start in das Jahr 2024 hingelegt. Das amerikanische Börsen-Leitbarometer S&P 500 war Ende vergangene Woche zum ersten Mal über 5000 Punkte gestiegen. Auch der deutsche DAX hat einen Rekordstand erreicht, und der japanische Aktienindex Nikkei 225 hat in diesem Jahr um rund 14 Prozent zugelegt.
Auch beim Bitcoin spekulieren die Anleger auf weitere Gewinne: Die Kryptowährung hat seit ihrem Tief im Januar bei rund 39 000 Dollar massiv zugelegt und ist vorübergehend über die Marke von 50 000 Dollar geklettert – um am Dienstag etwas nachzugeben. Was sind die Gründe für das jüngste Rally? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten:
1. Warum sind Risikoanlagen auch in diesem Jahr bisher so gut gelaufen?
Laut Gero Jung, Chefökonom bei der Bank Mirabaud, hatten risikobehaftete Anlagen jüngst vor allem aus zwei Gründen starken Rückenwind. Erstens sei die US-Wirtschaft in guter Verfassung, «und zwar viel besser als noch vor ein paar Wochen gedacht». Die starken Arbeitsmarktzahlen unterstützten die Kaufkraft der amerikanischen Haushalte. Dies sorge dafür, dass die Ängste vor einer Rezession in den Hintergrund geraten. Zweitens werde immer klarer, dass die US-Zentralbank dieses Jahr die Zinsen senken dürfte.
Auch Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank (SGKB), sieht gute Rahmenbedingungen für Risikoanlagen. Viele Anleger seien in diesem Jahr der alten Börsenregel «The trend is your friend» gefolgt und hätten von den steigenden Kursen profitieren wollen. Dies gelte vor allem auch für Vermögensverwalter und Fondsmanager, die im vergangenen Jahr beim Rally der amerikanischen Technologieaktien aussen vor gewesen seien. «Ein zweites Jahr wollen sie ihren Kunden nicht erklären müssen, weshalb sie diese Titel nicht im Depot hatten.»
2. Wie lange kann das Rally noch weitergehen?
Der SGKB-Anlagechef geht davon aus, dass das Rally noch weitergehen könnte, wenn die Rahmenbedingungen gut bleiben. Dafür müssten in den USA und in Europa aber die Zinsen sinken. Ein heikler Zeitpunkt für die Aktienmärkte könnte erreicht sein, wenn das Federal Reserve Board zum ersten Mal die Leitzinsen senkt. Ab dann würden sich die Anleger daran gewöhnen und etwaige Zinssenkungen kritisch hinterfragen. Von daher sei zu wünschen, dass die US-Notenbank den ersten Zinsschritt noch nicht so schnell mache.
Auch Jung erwartet, dass das derzeitige Rally weitergehen könnte. Dafür dürfe aber das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft nicht ins Stocken kommen, und das Umfeld müsse weiterhin auf Zinssenkungen der US-Zentralbank hindeuten. Aus Sicht von Jung könnten auch Aktien aus anderen Branchen als dem Technologiesektor einen Schub bekommen.
3. Warum haben die Krise bei US-Gewerbeimmobilien und die geopolitische Lage nicht stärkere Auswirkungen?
Bei der Krise am Markt der US-Gewerbeimmobilien hoffen derzeit viele Marktteilnehmer ebenfalls auf Zinssenkungen. Stucki beunruhigt die Krise weniger. Er geht davon aus, dass die Federal Reserve rasch reagieren würden, wenn sie sich zuspitzen würde. Bei der Krise der amerikanischen Regionalbanken habe man im vergangenen Jahr gesehen, dass die US-Notenbank in solchen Fällen rasch einschreite. «Die Erfahrungen aus der Finanzkrise wirken hier noch nach», sagt er.
Auch Jung hält bei den US-Gewerbeimmobilien ein systematisches Risiko wie eine Wiederholung der Finanzkrise von 2009 für sehr unwahrscheinlich. Der Einfluss der geopolitischen Risiken auf die Wirtschaft beziehungsweise auf die Inflation scheine aus aktueller Sicht beschränkt zu sein, sagt er. So stünden die Auswirkungen auf die globalen Lieferketten in keinem Verhältnis zur Corona-Krise, und somit sei kein deutlicher Inflationsdruck zu erwarten.
4. Schweizer Aktien haben bisher nicht von dem Rally profitiert – wieso?
Schweizer Aktien haben von dem Rally an den Börsen bisher wenig profitiert. Der Swiss-Market-Index (SMI) der Schweizer Standardwerte war am Dienstag gegenüber dem Jahresstart fast unverändert. Bereits im letzten Jahr waren Schweizer Aktien Titeln aus den USA und europäischen Ländern hinterhergehinkt.
Als Hauptgrund hierfür gilt der defensive Charakter des Schweizer Aktienmarkts. Gerade Pharma- und Nahrungsmittelunternehmen hätten nicht von dem Rally profitiert, sagt Jung. Er geht aber davon aus, dass die Kurse von Schweizer Aktien Luft nach oben haben. Die Bewertungen vieler hiesiger Unternehmen seien attraktiv, und im internationalen Vergleich gebe es Aufholpotenzial. Zudem sei die Schweizer Wirtschaft deutlich resilienter als die der europäischen Nachbarstaaten.