Performances, bei denen er den Hitlergruss zeigte, brachten ihn vor Gericht. Seither gilt Jonathan Meese als böser Bub der deutschen Kunstszene. «Ich will nichts Böses», sagt er: «Ich möchte, dass die negativen Energien wegkommen.» Gespräch mit einem Weltverbesserer.
Jonathan Meese gibt es nicht allein. Beim Gespräch in Zürich sind seine Mutter und seine Assistentin Jone dabei. Brigitte Meese ist 94 und begleitet ihren Sohn überallhin. Sie ist Muse, Betreuerin, Sparringpartnerin, manchmal auch Mitperformerin. Gleich nach der Begrüssung beginnt sie zu erklären, wie ihr Sohn zur Kunst gekommen sei. Sie sagt «wir»: «Wir sind da ja reingerutscht. Wir wussten ja gar nicht, was das ist, die Kunst.» Dann erzählt sie von früher. Von der Nazizeit. Von den Russen.
Meese hat in Zürich mehrere Kunstprojekte am Laufen. In der Wasserkirche baute er das Grabmal von Draculas Mutter: «Das ist natürlich eine Hommage an meine Mutter», sagt er: «Ausdruck meines Wunsches nach ihrer Unsterblichkeit.» In der Tichy Ocean Foundation ist das «Erzgrab vom ‹unbekannten Kunstsoldaten› Johnny» zu sehen: «ein ‹Schlafinkubator›, aus dem die ‹K.U.N.S.T.›, wie Dracula, erwacht». Die Schweiz sei gerade daran, ihn zu entdecken, sagt Meese. Er trägt eine schwarze Adidas-Trainerjacke. Der Zipper des Reissverschlusses ist abgebrochen, auf dem rechten Ärmel ist ein gelber Fleck. Vielleicht Farbe, vielleicht Eigelb. Das Gespräch ist lebhaft, herzlich. Manchmal redet sich Meese fast in Ekstase, hat Tränen in den Augen.
Herr Meese, Sie sind nach Zürich gekommen, um an einer Veranstaltung der Universität Zürich aufzutreten, die sich mit Cancel-Culture beschäftigt. Was interessiert Sie an dem Thema?
Ehrlich, ich verstehe das Wort gar nicht. Ich trete für die Freiheit der Kunst ein, und ich vermute, dass es bei Cancel-Culture darum geht. Zur Freiheit der Kunst kann ich ganz viel sagen.
In Deutschland werden immer wieder Auftritte von Künstlern und Schriftstellern abgesagt, weil sie Dinge sagen, die man nicht mehr sagen darf. Stört Sie das?
Ich habe das schon vor fünfzehn Jahren erlebt. Ach was, vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren. Heute wird das noch tausend Mal humorloser gehandhabt als damals, noch viel dogmatischer. Ich musste ja vor Gericht stehen, weil ich den Meese-Hitlergruss gemacht hatte und angezeigt wurde. In Kassel ist es dann zu einer Verhandlung gekommen.
Sie wurden ja auch in Bayreuth ausgeladen. Weshalb?
Sie haben gesagt, ich sei zu teuer. Stimmte alles gar nicht, das ist nachträglich auch rausgekommen. Es war eine Intrige. Sie hatten Angst vor mir, weil sie mich nicht kontrollieren konnten. Die Angst war völlig unbegründet! Vor Kunst braucht man keine Angst zu haben. Ich wollte die Grösse von Richard Wagner zeigen. Wagner ist der grösste Künstler überhaupt. Aber man hat versucht, mich auszubooten, mich fertigzumachen.
Angst vor Jonathan Meese also. Wer ist Jonathan Meese?
Es gibt zwei Aggregatszustände von Jonathan Meese. Ich bin «The Fool on the Hill», wie bei den Beatles, mit dem Kopf in den Wolken, und manchmal gehe ich in einer Verkleidung nach unten ins Dorf und guck mir das politische und religiöse Treiben an, und manchmal bin ich so stark, dass ich da sogar als Jonathan Meese hingehen kann. Dann bin ich wie Neo aus der Matrix. Dann kommen die ganzen ideologischen Kugeln, da muss ich ausweichen. Und wenn ich ganz stark bin, dann stehe ich so stramm für die Kunst, und dann kommen die Bullets, und ich kann die abprallen lassen.
Sie sind der Irre, der den Menschen die Wahrheit zeigt?
Die Kunst ist eine «Magical Mystery Tour» in die Zukunft. Die Kunst ist die totale Freiheit. Die Kunst bleibt, alles andere vergeht. Ich brauche in der Kunst keine politische Religion, keine religiöse Reling. Ich vertraue der Kunst totalst, das habe ich immer schon gemacht. Aber manchmal schiessen sie dir ins Herz. Und das fand ich so schlimm in Bayreuth. Ich habe das Herz aufgemacht. Ich habe eine Präsentation gemacht mit Liebe, und die haben mir mitten ins Herz geschossen: bumm, bumm, bumm!
War die Strafanzeige wegen des Hitlergrusses auch ein Schuss ins Herz?
Volle Kanne. Es war komplett ein Schuss ins Herz, und ich habe das überhaupt nicht erwartet.
Aber den Hitlergruss haben Sie ja gemacht, immer wieder.
Ja, und zwar weltweit. In Amerika, in Japan, in China. Nirgends gab es ein Problem, weil die Leute sofort gemerkt haben: Das ist Kunst, wenn der Typ das macht. Das ist kein Politiker. Ich bin kein Politiker, kein religiöser Führer, kein Guru. Ich bin Künstler. Ich versuche, Dinge zu entkontaminieren, etwas Neues zu schaffen. Ich will die Verbote aus der Welt kriegen. Mit Humor Sachen wieder zukunftsfähig machen. In Kassel hatte ich eine ganz junge Richterin vor mir, die sofort gesehen hat: Der Typ ist unschuldig. Am Ende des Tages wurde ich freigesprochen.
Der Straftatbestand heisst «Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen». Kürzlich wurde Björn Höcke angezeigt, weil er den Slogan «alles für Deutschland» zitiert hat. Er wurde verurteilt. Weil er nicht Künstler ist?
Ganz genau! Und Höcke ist ein Weichei. Er hätte sagen müssen: «Ja, ich wusste, dass das eine SA-Parole ist, und fertig.»
Glauben Sie, er hat das gewusst?
Natürlich. Und das ist für mich rückgratlos. Das wäre so gewesen, wie wenn ich gesagt hätte: «Oh, ich wusste ja gar nicht, was diese Geste ‹Meese-Hitlergruss› bedeutet.» Man muss zu dem stehen, was man tut. Schlau wäre gewesen, wenn Höcke gesagt hätte: «Ich habe es der Kunst wegen getan.» Aber der ist halt nicht schlau, und vor allem will er eine Klientel bedienen. Ich will keine Klientel bedienen. Ich will Kunst machen. Ich habe keine Klientel, von der ich Jubel erwarte.
Solange man Slogans wie «Arbeit macht frei», «jedem das Seine», «alles für Deutschland» unter Strafe stellt, sagt man doch: «Da schwingt etwas mit, was wir nicht vergessen dürfen.» Plädieren Sie dafür, das alles zu vergessen?
Nein, überhaupt nicht! Nur in der Kunst müssen wir es neu füllen, so lange, bis wir damit jonglieren können. In einer liebevollen, zukünftigen Form. Deutschland ist ein tolles Wort. Richard Wagner wollte ein Gesamtkunstwerk, ein Gesamtkunstwerk Deutschland, ein Gesamtkunstwerk Europa und ein Gesamtkunstwerk aller Welten. Ludwig II. von Bayern auch. Diese Leute sollte man ernst nehmen. Wenn man Deutschland aber mit politischem Quark füllt, dann spaltet man die Gesamtheit immer mehr, und das ist kleinkariert und zukunftslos. Natürlich darf es keine Bücher geben, die man verbietet. Es darf auch kein Wort geben, was man verbietet. Es darf auch keine Kostümierung geben, die man verbietet. Aber wir müssen in die Sachen hineingehen, in die Sachen reinkriechen, um sie neu auszubeulen, auszuloten. Gucken: Ist da noch Dreck drin? Müssen wir den rausholen?
Was ist Kunst?
Kunst ist eine Herrschaftsform. Sie ist das, was uns geschaffen hat. Der Urknall ist ein künstlerischer Prozess. Der Urknall, die Planeten-Entstehung sind Kunst. Und unser Planet ist ein Planet, der sich uns offenbart hat als künstlerische Projektion, als künstlerisches Gebiet. Ich mache immer alles mit Lächeln. Meine Mutter ist fast 95, wir streiten total und versöhnen uns. In der Kunst geht das alles.
Worüber streiten Sie?
Jonathan Meese: Über die Frage, ob man ohne Ideologie leben kann. Ich sage: Ja. Meine Mutter sagt: Schwierig . . .
Brigitte Meese: Ich sage Nein. Und ich meine, da kommen wir auch nicht weiter. Wir haben verschiedene Ansichten.
Jonathan Meese: Wir werden heutzutage verhindert, behindert durch eine zu grosse Ideologisierung. Heutzutage soll alles ideologisiert werden: Essen, Sprache, Kino, was ich lesen darf, was nicht. Überall kommt eine Gruppe, die meint, irgendwas sei richtig oder falsch. Die sollen mal alle spazieren gehen, um den Kopf wieder klar zu machen.
Sie sind als Kind in den 1970er Jahren aus Japan nach Deutschland zurückgekommen. Haben Sie den Eindruck, dass diese Ideologisierung etwas Neues ist?
Ich persönlich habe kaum Ideologisierung erfahren. Ich bin in die Kunst hineingeschlittert, weil ich einen Ort der Freiheit gesucht habe. Ich bin sehr verblüfft, dass heute ganz viele Menschen gar keine Freiheit wollen. Ich kann nicht verstehen, wie man Kunst ohne totalsten Freiheitsdrang studieren kann. Ich verstehe überhaupt Menschen nicht, die an die Universität gehen, um Unfreiheit zu lernen, und sich darin auch noch suhlen und angeblich wohlfühlen. Und dann noch dieser Gruppenzwang und dieser Herdentrieb! Als ich an der Kunsthochschule war, ging es nur um Freiheit. Ich war nie konfrontiert von diesen Fragen, die es heute gibt, welche Hautfarbe jemand hat und so weiter.
Den Begriff «politische Kunst» verstehen Sie nicht?
Das gibt es überhaupt nicht. Es gibt Politik als Motiv in der Kunst. Ich kann eine politische Debatte malen, aber das Bild selber strahlt das nicht ab. Die Natur ist nicht politisch organisiert, sie bildet keine Parteien, genauso wie sie keine Tempel hat. Und das kann die Kunst auch nicht. Das ist nicht auf der Liste der Kunst. Also wenn ich politisch sein will, muss ich Politiker werden. Es ist sonst Etikettenschwindel.
Wie sind Sie Künstler geworden?
Ich bin da reingerutscht. Ich war sehr mit Träumen beschäftigt und mit Sehnsüchten. Und mit mir selber. Irgendwann hat sich die Kunst mir angeboten. Es war an meinem 22. Geburtstag. Ich ging mit meiner Mutter durch Hamburg, und sie fragte: «Was wünschst du dir zum Geburtstag?» Und ich sagte «Oh, Mami, weiss ich jetzt gar nicht. Schenk mir doch einen Block Papier mit ein paar Pastellkreiden und ein paar Bleistiften.» Sie sagte: «Okay, aber du hast doch noch nie so richtig gemalt oder gezeichnet.» So, und dann habe ich das bekommen. Und ab dem Tag war ich in meiner Welt.
Was haben Sie als Erstes gemalt?
Ich glaube, meinen Vater. Das war so fast so das erste oder zweite Bild. Ich habe Leute mit Sombrero gemalt, Mexikaner und meinen Vater. Und dann so Picasso-hafte Bilder. Ich habe damals aber auch nicht gewusst, was Kunst ist: Nicht malen, zeichnen, sondern es ist eine ideologielose Lebensweise. Ohne Ideologie zu leben, ist Kunst. Ich bin für den Keinparteienstaat. Wir haben den Mehrparteienstaat, wir hatten den Einparteienstaat. Alles gescheitert. Das bringt so viele Opfer, das produziert so viel Hass. Ich bin dafür, dass wir was Neues uns ausdenken. Ich glaube, wir transformieren uns gerade.
Inwiefern?
Weil es so schrecklich ist, denkt man, es kann nur bald so kippen, dass es wieder supertoll wird. Weil, wie soll es denn noch doofer werden? Es ist ja so doof geworden. Die Leute, die verschwimmen ja in ihrer Befindlichkeit und in ihrer Selbstgerechtigkeit und in ihrem Geschmäckle. Alle glauben, sich zu allem positionieren zu müssen. Trump ja oder nein, Ukraine, ja, nein, Waffenlieferung ja, nein, Maske ja, nein, Impfen ja, nein, AfD ja, nein. Das ist ein Trichter des Irrsinns. Wer sich in diesen Trichter begibt, der kommt unten als Wurst raus.
Im Augenblick wird überall an den Hochschulen demonstriert, ist das auch Kunst oder ein Aufbruch, eine Befreiung?
Nein, das ist Politik. Die suhlen sich in ihrer Unfreiheit, sind ideologisch Gefangene, gesichtslos. In Japan ist es das Schlimmste, das Gesicht zu verlieren. Das sehe ich genauso. Diese Leute haben kein Gesicht mehr. Das sind alles psychisch gestörte Leute. Das ist auch nicht schlimm. Aber die müssen sich Hilfe holen. Zwangskollektivierte Menschen sind immer unfrei und schwach.
Diese Palästina-Demonstranten sind ein Ausdruck von Zwangskollektivierung, einem politischen Wahn?
Das sind Nebenschauplätze. Das muss man mit sich selbst klären, nicht in der Masse. Muss ich meine Einzigartigkeit opfern, um irgendeinem kollektiven Irrsinn hinterherzulaufen? Wenn ich eine Gruppe sehe, wird mir schon übel. In der Kunst ist man immer auf verlorenem Posten. Man ist im Abseits. Das ist die Lieblingsposition von mir.
Man könnte es auch Feigheit nennen.
Völlig falsch! Bei Instagram hat neulich jemand geschrieben: «Jonathan, wenn du dich nicht positionierst, bist du ja feige.» Nein! Es ist genau das Gegenteil. Sich ideologisch zu positionieren, ist feige. Dann hast du zwar oft 50 Prozent gegen dich und 50 Prozent für dich. Wenn du im Abseits bist, hast du alle gegen dich. Aber das ist nicht schlimm. Die Schweiz geht da übrigens immer mit gutem Beispiel voran. Das Wort Neutralität ist super. Das ist nämlich nicht, dass ich keine Haltung habe. Ich habe ein Rückgrat, ich bin neutral. Ich habe privat eine totalste Haltung, aber war noch nie auf einer Demonstration. Ich werde mich niemals irgendeiner ideologischen Bewegung anschliessen. Ich werde immer einzigartig sein, zu Hause bei meiner Mutter. Deshalb bin ich so stark.
Für Ihre Kunstwerke werden Sie bezahlt. Sind Sie mit der Kunst reich geworden?
Ich habe genug. So wie ich jetzt lebe, kann ich das gut aufrechterhalten. Aber ich muss viel Geld verdienen. Ich könnte auch total zurückschrauben. Also, ich schlafe in einem ganz kleinen Raum. Also ich kann eigentlich selber in ganz kleinen Räumen leben. Ich liebe das sogar. Aber ich brauche sehr viele Räume, weil ich so viel sammle.
Was sammeln Sie?
Ich sammle Bücher. Ich habe ungefähr 60 000, 70 000 Bücher und kaufe jeden Tag 100. Das ist sehr schlimm für meine Mutter und Jone. Und weil die natürlich auch untergebracht werden müssen. Aber ich habe einen Buchfetisch, liebe Bücher über alles. Leider bin ich unordentlich, ich bekomme diese Sachen und stapele sie irgendwo. Ich weiss meistens, wo was ist, aber es ist ziemlich schlimm.
Sie nicken, Frau Meese. Ist es schlimm?
Brigitte Meese: Ja, schlimm! Aber ich meine, er hätte ja auch Lamborghinis sammeln können.
Der Nationalsozialismus ist ein Thema, das Sie sehr beschäftigt hat. Wie ist das gekommen?
Jonathan Meese: Durch meine Mutter.
Brigitte Meese: Ich komme aus einer Familie mit einer humanistischen und freiheitlichen Haltung. Meine Eltern gehörten zu dem, was man früher Bildungsbürgertum nannte. Ich bin das jüngste Kind von fünfen. Das Bildungsbürgertum hat die Gefahr von Hitler oft zu spät erkannt, unter anderem auch, weil damals der Kommunismus die grössere Gefahr schien. Viele glaubten, der kleine braune Mann würde mit dem Kommunismus fertigwerden und dass man den schon wieder wegkriegen werde. Als sie merkten, dass das nicht geht, da war es schon zu spät.
Jonathan Meese: Meine Mutter war für mich immer das Mass aller Dinge. Ich finde das faszinierend, was sie erlebt hat. Mich interessiert diese Zeit brennend. Ich kaufe alle Bücher über diese Zeit. Ich will versuchen zu verstehen, wie das funktioniert hat: Wie konnte ein einzelner Mensch so viele Menschen auf seine Linie bringen?
Brigitte Meese: Das war schon erstaunlich. Gut, die Zeiten waren damals schwierig, aber trotzdem, es ist ihm gelungen. Jonathan spricht sehr viel über Ideologie. Er glaubt, man kann eine Menschheit schaffen, die nicht ideologisch ist. Tut mir leid, ich glaube das nicht. Da haben wir viele Streitigkeiten gehabt. Philosophen sehen meiner Meinung nach den Menschen nicht, wie er ist, sondern wie sie denken, dass er sein sollte, und darauf bilden sie auch ihre Systeme, ihren Glauben. Das macht Jonathan natürlich auch. Aber in dem, was er sagt, ist viel Wahres. Seit ich mir dessen bewusst geworden bin, kann ich auch mit seinen sehr visionären Ideen besser umgehen.
Das klingt jetzt sehr nüchtern.
Jonathan Meese: Meine Mutter ist ultra Pragmatikerin, völlig sachlich, immer gewesen. Aber das ist ja gar nicht so Spinnerei, was ich sage. Ich will nichts Böses, ich möchte, dass die negativen Energien wegkommen. Die Kunst kann dazu führen, dass wir eine ganz tolle Realität haben. Sie ersetzt die negativen Aspekte. Hitler zum Beispiel ist wichtig für mich, weil für mich ist Hitler der grösste Ideologe aller Zeiten. Einen Schritt weiter fängt die Uhr wieder neu an. Das hätte man 1945 klären können. Man hätte sagen können: «Wahnsinn, der grösste Ideologe ist weg. Jetzt Neustart.» Aber man hat es nicht gemacht. Man tappt immer wieder in die gleichen Fallen.
Was ist Ihre Vision?
Ich bin davon überzeugt, dass die Diktatur der Kunst uns alle erfassen wird. In zehn bis zwanzig Jahren werden wir darüber sprechen, dass die ersten Impulse gesetzt wurden. Ich glaube, das wird von Deutschland ausgehen.
Weshalb ausgerechnet von Deutschland?
Ich denke, dass wir die Ersten sein werden, die keine politischen Parteien mehr haben. Wir werden ein Experiment wagen, und das wird von einer entsprechenden Verfassung flankiert und auch ausgerufen. Ich bin ein grosser Anhänger der deutschen Verfassung. Wenn die deutsche Verfassung sagt, die Würde der Kunst sei unantastbar, dann ist alles geritzt, dann ist alles andere auch klar. Wir brauchen halt eine Verfassung der Kunst. Der grösste Feind sind wir selbst. Wenn wir den identifiziert haben, können wir uns von der Kunst heilen lassen. Die Kunst ist oft die einzige Kraft, die uns eine Identifikation gibt. In der Kunst kann ich jede Identität annehmen. Ich kann heute Pippi Langstrumpf sein, morgen rechtsradikal, übermorgen Katholik, dann Muslim und ein Glas Wasser. Ich kann in der Kunst alles sein, Frau, Mann, jede Hautfarbe annehmen, jedes Geschlecht, jedes Alter. Das kann und darf in keiner Form eingeschränkt werden, diese Freiheit ist für die Kunst elementar. Alle Macht der Kunst, Kunst an die Macht!