Bis 2030 will der Energieversorger 4 Mrd. Fr. investieren, vor allem in neue Produktionsanlagen. Weil dadurch das Handelsgeschäft wächst, soll das Liquiditätspolster dicker werden. Das Kerngeschäft Energie hat wieder Priorität.
Mit Suzanne Thoma als Konzernchefin hat das Berner Versorgungsunternehmen BKW eine äusserst erfolgreiche Zeit gehabt. Während ihrer fast zehnjährigen Amtszeit als CEO hat sich der Wert des Unternehmens verdreifacht und damit den Gesamtmarkt deutlich hinter sich gelassen. Weil während Thomas Amtszeit zu Beginn der 2010er-Jahre eine Phase extrem niedriger Strompreise herrschte, ist das Erreichte alles andere als selbstverständlich.
Seit gut zwei Jahren hat nun der ehemalige ABB-Schweiz-Chef Robert Itschner die Konzernleitung inne. Auch sein bisheriger Leistungsausweis – wenn man dazu die Kursentwicklung der BKW-Aktien nehmen will – kann sich sehen lassen. Auch in diesen gut zwei Jahren sind die Investoren mit BKW-Aktien überdurchschnittlich gut gefahren. Während der SPI ohne Dividende in diesem Zeitraum 10% zulegte, kamen die BKW-Aktionäre auf eine Performance von 22%. Das freut natürlich auch den Mehrheitsaktionär Kanton Bern, der das Unternehmen mit einer Beteiligung von 52,54% beherrscht.
Dienstleistungsgeschäft ist restrukturiert
Ermöglicht hat diese erfreuliche Entwicklung die weiterhin sehr gute finanzielle Verfassung des Konzerns, vor allem das starke operative Kerngeschäft mit der Produktion und dem Handel von Energie. Das übertüncht die Probleme im Unternehmensbereich Dienstleistungen (neu: Infrastructure & Buildings), das in den vergangenen Jahren akquisitorisch rasant ausgebaut worden ist. Die Absicht war, die Rentabilität der Gruppe nicht mehr nur vom Strompreisniveau abhängig zu machen. In der letzten Tiefpreisphase hat das prächtig funktioniert.
Beim forcierten Ausbau des dritten Beins für fast 2 Mrd. Fr. wurde indes die Integration der Neuerwerbungen vernachlässigt. Die Quittung bekam das erneuerte Managementteam zu spüren. 2023 resultierte ein Abschreiber von 90 Mio. Fr., der das Spartenergebnis in die roten Zahlen drückte.
Bis Ende Jahr sei die Bereinigung durch, hiess es am vergangenen Freitag, als nach drei Jahren wieder ein Kapitalmarkttag durchgeführt worden ist. Damit ist die Arbeit jedoch nicht getan: «Jedes Jahr werden wir unser Portfolio neu bewerten», sagt Konzernchef Robert Itschner im Gespräch mit The Market. Er ist weiterhin davon überzeugt, im Dienstleistungsbereich eine Ebit-Marge von 8% zu erzielen. Dieses Jahr läge ein Ebit von 50 Mio. Fr. drin. Bis 2030 wird ein Betriebsgewinn von 150 Mio. bis 250 Mio. Fr. angestrebt.
Das Kerngeschäft gewinnt wieder an Bedeutung
Am Kapitalmarkttag stellte das BKW-Management erstmals die Mittelfristziele für die Periode bis 2030 vor (vgl. Tabelle). An der bisherigen, auf drei Säulen stehenden Strategie wird sich nichts ändern. Hingegen werden die Gewichte etwas anders verteilt. Während zu Beginn der seit 2013 laufenden Strategie von drei gleichwertigen Säulen gesprochen wurde, die ungefähr einen gleich grossen Beitrag zum Betriebsergebnis (Ebit) hätten beitragen sollen, soll nun wieder das Kerngeschäft Energie (Energy Solutions) die tragende Säule des Versorgers sein.
Bis 2030 peilt das BKW-Management einen Betriebsgewinn von rund 1 Mrd. Fr. an. Verglichen mit dem Ergebnis von 2023 oder der für das laufende Jahr vom Unternehmen vorausgesagten und am Freitag bestätigten Prognose von 700 Mio. bis 800 Mio. Fr. ist das kein gewaltiger Sprung. Zudem hat das Unternehmen 2022 schon einmal 1 Mrd. Fr. Betriebsgewinn erwirtschaftet.
Doch der Vergleich hinkt, denn die vergangenen Jahren waren alles andere als ein Gradmesser dafür, wie hoch das inhärente Gewinnpotenzial des Versorgers ist. Der durchschnittliche Ebit-Beitrag vor der Pandemie lag bei jährlich rund 400 Mio. Fr.
Der unterschiedliche Gewinnbeitrag, der von den drei Sparten erwartet wird, zeigt die strategische Rückbesinnung aufs Stammgeschäft. Verwaltungsratspräsident Roger Boillod sprach von einem «wieder verstärkten Fokus auf den Wachstumsmarkt Energie».
Im Gespräch mit The Market unterstreicht Konzernchef Itschner dieses Anliegen: «In unserem Kern sind und bleiben wir ein Energieunternehmen. Wir haben es aber neu bewertet und wollen es ausbauen. Diese Einsicht hatten wir vor zehn Jahren noch nicht.»
«Macherin der Energiewende»
Das Unternehmen will aber mehr als nur ein simpler Produzent und Verkäufer von Energie sein, sondern «Macherin der Energiewende». In der neuen Energiewelt will sie vor allem die Produktionskapazitäten mit erneuerbaren Energien ausbauen und für die Kunden massgeschneiderte Energielösungen anbieten. Im Budgetzeitraum bis 2030 sei Kernkraft keine Option, ergänzte Itschner.
Weil mit mehr Erneuerbaren nicht nur die Volatilität in der Erzeugung, sondern auch die Preisschwankungen zunehmen, wünschen sich Grossabnehmer im In- und Ausland langfristige Vereinbarungen. «Die Industrie verlangt grüne, aber planbare Energielieferungen», sagte Stefan Sewchow, der Leiter des Bereichs Energy Markets.
Solche Power Purchase Agreements (PPA) erfordern beim Anbieter viel Fachwissen, Handelsgeschick und Risikobereitschaft. Eine stattliche Eigenproduktion ist da von Vorteil. Der Kraftwerkspark von BKW umfasst Anlagen mit einer Leistung von 3,4 GW. Die Hälfte davon ist Wasserkraft. Bis 2030 sollen es 4,7 GW sein, wofür rund 2,5 Mrd. Fr. investiert werden soll. Der Kauf bzw. die Beteiligung an Photovoltaikanlagen, Windkraftwerken, Wasserkraftwerke und Batterienlösungen stehen dabei im Vordergrund.
Bis 2030 will BKW ihr Portfolio mit eigenen Anlagen um 600 MW Leistung sowie um weitere 700 MW von anderen Besitzern vergrössern. Dabei werden auch Ko-Investments mit Finanzinvestoren (z. B. Pensionskassen) angestrebt, die sich bis zu 49% an solchen Projekten beteiligen können. Dadurch wird der riesige Kapitalbedarf reduziert, was der Kapitalrendite von BKW zugutekommt.
Je mehr erneuerbar erzeugte Energiequellen in ein Energiesystem fliessen, desto instabiler wird es. Deshalb braucht es vermehrt flexibel einsetzbare Energie, welche die unplanbaren Schwankungen ausgleichen. Doch verschwinden bald auch noch Kohle und in einem späteren Zeitpunkt Erdgas aus dem europäischen Energiemix, fehlt es erst recht an Flexibilität im Energiesystem.
Sicherheitspolster wird dicker
Die Konzentration aufs Energiegeschäft erfordert von BKW aber nicht nur viel Kapital für Investitionen, sondern auch Sicherheiten im Handelsgeschäft. Wie gross die Nachschusspflichten im Energiehandel sein können, haben die Versorger während der europäischen Energiekrise zum Teil schmerzlich erfahren müssen, als die Preise durch die Decke gingen. In der Schweiz musste die Eidgenossenschaft wegen Axpo sogar einen milliardenschweren Rettungsschirm aufspannen, damit die im europäischen Stromhandel tätigen Schweizer Unternehmen normal operieren konnten.
Die BKW brauchte das nicht (Itschner: «Ein Sündenfall und sehr schlecht für die Branche»). Damit das auch in Zukunft der Fall sein wird, baut das Unternehmen in den kommenden Jahren seine Liquidität aus. Für 2030 sollen es 2,2 Mrd. Fr. sein (Ende 2023: 927 Mio. Fr.). Dadurch werden die Finanzschulden von 1,9 Mrd. auf 3 Mrd. Fr. steigen, obwohl bis 2030 ein operativer Cashflow von kumuliert 5 Mrd. Fr. erwirtschaftet werden soll.
Die selbsterarbeiteten Mittel dienen indes zur Finanzierung der Investitionen und der Dividende. Den Aktionären sollen weiterhin 35 bis 50% des Reingewinns ausgeschüttet werden. Aktienrückkäufe wird es bei BKW nicht geben. «Wir haben Ideen, was wir mit dem Geld machen», sagt Itschner. Angesichts des beschränkten Free Float der BKW-Aktien ist das zu befürworten.
Das dickere Sicherheitspolster wird mit Fremdkapital, in erster Linie Obligationen, alimentiert. Die Bilanz bleibt trotzdem sehr solide. Die Nettoschulden werden tendenziell sogar eher abnehmen (2030: 800 Mio. Fr.; Ende 2023: 952 Mio. Fr.). Der gute Mittelzufluss stellt sicher, dass die Verschuldungsquote (Nettoschulden im Verhältnis zum Ebitda) bei rund 1 verharrt und das Kreditrating bei «A» bleibt.
Bescheidene Renditeziele
Die Refinanzierung der budgetierten 4 Mrd. Fr. Investitionen sollte BKW also leichtfallen. Ob sie jedoch auch für den Aktionär eine entsprechend attraktive Rendite abwerfen, steht auf einem anderen Blatt. «Wir werden Wachstum nur auf profitabler Basis machen», versuchte der BKW-Konzernchef die Bedenken der Analysten zu zerstreuen. In die mittelfristigen Renditezielen dürfte das Management eine Sicherheitsmarge eingebaut haben, um künftig nur angenehm zu überraschen. Schon die letzten Mittelfristziele (2021 bis 2026) waren zwei Jahre früher als budgetiert erreicht.
Eher zurückhaltend sind die prognostizierten Betriebsgewinnmargen der Analysten. Ab 2027 schenken die ab dann zu geringeren Konditionen abgesicherten Stromlieferungen ein. Versorger verkaufen ihre Eigenproduktion zwei bis drei Jahre im Voraus zu fixen Preisen.
Das gleiche gilt für die Kapitalrenditen. Auf Stufe ROCE (Return on Capital Employed) will sich BKW auf 8% verbessern. Das Geschäft mit dem Stromnetz (Grid) wird wegen des hohen Kapitaleinsatzes und dem kostspieligen Unterhalt (die jährlichen Investitionen dürften von 130 Mio. auf 200 Mio. Fr. steigen) bestenfalls bei 5% liegen.
Investoren, die sich BKW-Aktien ins Depot legen, werden sich indes weniger an der fehlenden Gewinnfantasie stossen. Die Valoren werden primär wegen des stabilen Geschäftsmodells und der steigenden Dividendenausschüttung gekauft. Das höhere Risiko, das mit dem Ausbau des Energieportfolios verbunden ist, wird mit einem entsprechend dickeren Sicherheitspolster kompensiert. «In Sachen Risikoappetit bleiben wir konservativ», verspricht der BKW-Chef.
Die eher verhaltene Kursentwicklung der BKW-Aktien in den vergangenen Monaten dürfte für langfristige Engagement kein schlechter Einstiegszeitpunkt sein. Gemessen an der historischen Bewertung verkehren sie derzeit sogar am unteren Ende der Skala.
Im Vergleich mit anderen europäischen Versorgern sind die BKW-Aktien nach wie vor nicht günstig. Das waren sie in den vergangenen Jahren aber auch nie.