Anmerkungen zur SVP vor der Albisgütli-Tagung.
I. Ablösung im Albisgütli
Im vergangenen Januar besang sich Christoph Blocher im Albisgütli als schweizerischen Sonderfall. Er adaptierte das alte Volkslied vom Schacher Seppli: «I bi de Blocher Stöffeli, im ganze Land bekannt.» Neben ihm standen zwei Männer in Sennentrachten, die ihn musikalisch begleiteten. Jahrzehntelang benutzte er dieses Schützenhaus am Rand von Zürich als mentale Festungsanlage gegen die Welt da draussen, die er in dunklen Farben malte. Drinnen hingegen leuchteten der Gabentempel der Tombola mit Butterzöpfen und Biberfladen und die Gesichter im Publikum. «Die Welt spinnt», erklärte Blocher in seinen Reden, «wir halten dagegen!» Das ist seine ewige Formel.
Im Albisgütli schien der Geist von 1992 konserviert, von der SVP und der Schweiz als Sonderfall. «Me seit vo mir, i weiss es au», sang Blocher im Albisgütli, «i seg en Sonderfall.» Es war ein Schwanengesang, nach der sechsunddreissigsten Rede erklärte er, im Alter von 83 Jahren, seinen Abschied.
In diesem Jahr wird der «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel anstelle von Christoph Blocher im Albisgütli reden. Es sieht nach einer symbolhaften Ablösung aus: Köppel ist nicht ein alter Rechter wie Blocher, der mit seinem bäuerlichen Wankelgang durch das Land schreitet, sondern ein neuer Rechter, der wie eine Silvesterrakete um die Welt schiesst: Am einen Tag schmeichelt er an einem Kongress dem russischen Präsidenten Putin («Ich habe noch nie einen Leader Ihrer Statur gesehen, der so lange auf diesem Niveau kommuniziert»), am nächsten begleitet er den ungarischen Präsidenten Orban in dessen Militärflugzeug. In seiner täglichen Videoshow richtet er sich an die «Freunde» in Deutschland und Österreich, «auf allen Kontinenten».
In den vergangenen Jahren war es ihm ein grosses Anliegen, den Krieg von Putin in der Ukraine zu relativieren. «Grossmächte sind wie Raubtiere», sagte er, «die haben ihr Revier.» Amerika und das «Vordringen der Nato» hätten die Situation in der Ukraine halt vergiftet. Inzwischen ist er begeistert von dem «Freiheitsorkan», der dank Donald Trump und Elon Musk aus Amerika herüberwehe. «Es ist schon interessant, wie sich die Welt verändert, seit Donald Trump die US-Wahlen (. . .) gewonnen hat», schrieb er in der «Weltwoche» unter dem Titel «Zuversicht im neuen Jahr». Gut möglich, so Köppel, dass die Trump-Bewegung bald als «neue Mitte» gelte, so wie in der Schweiz die SVP, «eine Vorreiterin der internationalen Trends».
In der linken Schweiz sieht man Donald Trump längst angekommen. Der SP-Co-Präsident Cédric Wermuth etwa sagte im November in der SRF-«Arena», in der SVP bediene man sich schon seit einigen Jahren der «trumpschen Methode». Der Vorwurf, die SVP ähnle dem mächtigsten Populisten der Welt, ist weit verbreitet – in den nächsten Jahren wird er wieder oft zu hören sein.
Zumal Trump in der rechten Schweiz freudig erwartet wird. Der SVP-Bundesrat Albert Rösti sagte schon vor dessen Wahl: «Ich persönlich tendiere eher zu Trump.» Die SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher hat im «Tages-Anzeiger» erzählt, in der SVP sei man bereits daran, die alten Kontakte zu Trump wiederherzustellen. «Die Republikaner arbeiten in der Schweiz eigentlich nur mit der SVP zusammen.» Das Ziel sei ein Freihandelsabkommen. Schon in der ersten Amtszeit von Trump hätten ihr Vater und sie gemeinsam mit Roger Köppel den amerikanischen Botschafter besucht, um Verhandlungen vorzubereiten. Zwischenstaatliche Wirtschaftsbeziehungen als «family affair».
Roger Köppel hat während Trumps erster Amtszeit, im Jahr 2018, dessen ehemaligen Berater Steve Bannon nach Zürich geholt. Köppel sagte damals, in den Medien sei ihm Bannon als Teufel geschildert worden. Tatsächlich sei er aber «ein höchst interessanter Mensch». Bannon revanchierte sich beim «Weltwoche»-Publikum, indem er sagte: «Blocher war Trump vor Trump.»
Wenn Roger Köppel an diesem Freitag ins Albisgütli kommt – nur wenige Tage vor Trumps Inauguration –, fragt sich: Was verbindet die rechte Schweiz mit dem rechten Amerika? Und ist die SVP ein schweizerischer Sonderfall, oder gleicht sie sich der von Donald Trump geprägten populistischen Internationale an?
II. Nur das Wort – Blocher will nicht ins Hallenstadion
Die Tradition der Albisgütli-Tagung rief Christoph Blocher in den 1980er Jahren ins Leben, als die Armee und mit ihr das obligatorische Schiessen für Wehrmänner unter Druck geriet: «Ich sagte, wir müssen dagegenhalten, mit einer Tagung in einem Schützenhaus.» Der Ablauf hat sich nie gross verändert: Zuerst hält Blocher eine stündige Rede, «eine parteiische Rede, dass Gott erbarmt», wie er es formuliert, dann wird gemeinsam gegessen, ehe der Abend mit einer Gegenrede endet, der nicht widersprochen wird.
Man merkt der Tagung den Protestantismus an: Blocher entstammt einem reformierten Pfarrhaus, im Albisgütli zählt nur das Wort. Seine Reden waren jeweils Schwank und Polemik zugleich. Blocher raunte von «stillen Staatsstreichen» oder von der «EU-hörigen Classe politique». «Widerstand» ist der Refrain seiner Reden.
Eine grosse Show gab es im Albisgütli nie. Die Kavalleriemusik und die Tombola-Verlosung mussten reichen. Blocher sagt, er habe immer wieder dafür gekämpft, dass die Tagung ihre Einfachheit behalte. «Die einen wollten ins Hallenstadion, weil sie meinten, es könnten dann nicht nur tausend, sondern fünftausend Leute kommen. Andere wollten Tanzgruppen einladen.» Und so charakterisierte das Albisgütli die SVP blocherscher Prägung.
Bei Blocher – obwohl beruflich lange als Industrieller im Welthandel aktiv – galt politisch immer ein rigides Grenzregime, selbst, was potenzielle Verbündete anging. Als Franz-Josef Strauss noch lebte, der Parteichef der CSU in Bayern, traf er sich jeweils zweimal jährlich mit ihm (wenn Strauss das Kloster in Einsiedeln besuchte). Auch mit der CSU habe er sich aber nicht verbünden wollen. «Zu katholisch, zu katholisch», habe er Strauss jeweils angezündet. «Ich war immer dezidiert dagegen, dass wir mit ausländischen Parteien zusammenspannen», sagt er, «ich musste mehrfach bremsen.»
Über Trump variieren seine Aussagen. Einerseits kritisiert er ihn für wirtschaftspolitische Ideen wie Zölle, andererseits erkennt er sich in ihm wieder. Ob er selbst Trump vor Trump war? «Er hat auf Missstände hingewiesen, wie ich es auch gemacht habe. Insofern stimmt es. Ich habe mich aber nie mit Trump verglichen.»
Trump ist wie er selbst ein Systemsprenger, ein Kulturkämpfer, der Anführer einer rechten Bewegung. Aber die beiden Männer sind persönlich kaum miteinander vergleichbar: Trump ist ein erstinstanzlich verurteilter Straftäter, er hat seine verlorene Wahl gegen Biden nicht akzeptiert und den Sturm seiner Anhänger aufs Capitol toleriert. Von so etwas ist Blocher weit entfernt.
III. Trumps Amerika im Madison Square Garden
Was für die rechte Schweiz das Albisgütli ist – die grösste Veranstaltung des Jahres – war für das rechte Amerika von Trump das Wahlkampf-Rally im Oktober im Madison Square Garden in New York. Ein sechsstündiger Event, der zeigte, was die SVP- und die Maga-Bewegung («Make America Great Again») verbindet und was sie trennt.
Eingeleitet wurde das Rally mit einer Art Gebet – vorgetragen von einer sichtlich (von sich selbst) gerührten Frau, die Gott um eine «tief verwurzelte Liebe zu Amerika in unseren Herzen» bat. Und darum, dass er Trump mit Schutz und Stärke umgebe. «Amen.» Es ist eine Religiosität, wie sie Blocher im Politischen gemieden hat, obwohl er selbst überzeugter Protestant ist. Im Gegenteil war er es, der die religiösen Milieus in der Schweiz aufgebrochen hat. Erst der SVP gelang es, katholische und reformierte Konservative in der gleichen Partei zu vereinen.
Das Line-up im Madison Square Garden bestand aus einem Comedian, der sagte, es gebe im Ozean eine «Müllinsel»: «Ich glaube, sie heisst Puerto Rico.» Ein Geschäftsmann redete über Kamala Harris und «ihre Zuhälter». Und Robert F. Kennedy kritisierte die Demokraten von links: «Es ist die Partei der Wall Street.» Der TV-Moderator Tucker Carlson fasste es so zusammen: «Robert Kennedy junior zuhören an einem Trump-Rally im Madison Square Garden. I mean: whaaat!?» Dann lachte er sein entrücktes Lachen. Und da war Donald Trump noch gar nicht aufgetreten.
Es war eine vollkommen enthemmte Testosteron-Show, die Machtdemonstration einer Bewegung, die offenbar auch Rassismus und Sexismus zu dem zählt, was man dank Trump endlich wieder sagen könne.
Eine solche Veranstaltung gibt es bei der SVP nicht. Einerseits ist man stolz darauf, die Politik ernst zu nehmen. Eine Albisgütli-Tagung, an der auch noch der rechte Rocker Gölä oder der Comedian Marco Rima mit seinen Impftheorien auftreten: Auf diese Idee ist bisher niemand gekommen. Andererseits toleriert die SVP in ihren Reihen zwar grenzwertige Figuren wie den ewigen Provokateur Andreas Glarner, und unter dem neuen Präsidenten Marcel Dettling ist der Ton radikaler geworden, aber der Populismus hat Grenzen. Am wichtigsten dabei: Die Partei respektiert Wahlen, Abstimmungen, das schweizerische System der Machtteilung.
Die SVP hat trotz ihren inneren Widersprüchen seit Jahrzehnten das gleiche Grundprogramm, sie bezeichnet sich als wirtschaftsliberal-konservativ. Die Trump-Bewegung wirkt eklektischer und stärker ihrem Anführer Donald Trump ausgeliefert.
Claudia Franziska Brühwiler forscht an der Hochschule St. Gallen zu amerikanischer Politik und Kultur. Sie würde die Republikaner eher als Koalition denn als Partei im europäischen Sinn charakterisieren. «Die Heterogenität war schon immer gross», sagt sie, «die ideologische Kohärenz der vergangenen dreissig Jahre – wirtschaftspolitisch liberal, wertepolitisch konservativ – war eher eine Ausnahme.» Inzwischen werde Trumps republikanische Koalition sowohl von Libertären gewählt, die hofften, dass Trump seine verlautbarten Rezepte (wie etwa Zölle) nicht anwenden werde, als auch von Arbeitern, die gegen die Wall Street seien.
Wenn Brühwiler in Amerika unterwegs ist, stellt sie fest, dass die Republikaner einerseits mit Trumps martialischen Weltuntergangsclips für sich werben – und andererseits in einem Staat wie Wisconsin mit der ländlichen Idylle, mit «God and Country».
Es geht irgendwie aneinander vorbei, weil es eine Klammer gibt, «die bei allen Populisten gleich ist», wie Brühwiler sagt: «Globalisierungskritik, Migration, kulturelle Fragen.» Was die heterogene Koalition trotz allen Widersprüchen zusammenhält, ist zudem das Gefühl, verachtet zu werden von einem progressiv-urbanen Establishment: «Donald Trump wird deshalb auch von Leuten als Anwalt akzeptiert, die aus einfacheren Verhältnissen stammen als er selbst.»
Es ist eine Klammer, die auch die SVP zusammenhält.
IV. «Greller, übertriebener» – wo liegt die Zukunft?
Wie Trump, so betont auch Blocher regelmässig, wie das Establishment ihn verachtet habe (oder immer noch verachte). Darin erkennen sich viele ihrer Wählerinnen und Wähler wieder. Christoph Blocher kämpfte nie nur gegen Linke, sondern auch gegen die freisinnige Elite, und selbst gegen die Elite in der eigenen Partei, die aus Bernern bestand. Trump wiederum besiegte im Jahr 2016 nicht nur mit Hillary Clinton eine führende Figur der Demokraten, sondern in den Vorwahlen mit Jeb Bush auch eine führende Figur der Republikaner.
So hat es Peter Keller beobachtet, der stellvertretende Generalsekretär der SVP, früherer Redenschreiber von Christoph Blocher und ein faszinierter Beobachter der amerikanischen Politik. «Da kommt einer von ausserhalb, setzt sich durch und passt sich nicht an – das imponierte sowohl bei Blocher wie bei Trump vielen.»
Ob die SVP unter den rechten Parteien also kein Sonderfall ist, nie einer war?
Peter Keller sagt: «Die Trump-Bewegung ist greller, übertriebener, showmässiger, als wir es sind. Trump steht hin und lobt sich für die ‹best economy by far› – da denkt man bei uns: Was für ein Bluffer!»
Im Inhaltlichen sieht er aber Verbindungen, die Kritik an der «grenzenlosen Globalisierung», «am Nationalstaat, der durch internationale Einrichtungen und Abkommen übersteuert wird», und eine sich deshalb ausbreitende, «unterschiedlich empfundene Ohnmacht». Auch «gewisse isolationistische Tendenzen» sieht er in beiden Bewegungen.
Kommt hinzu, dass sich die SVP auch in ihrem Stil der internationalen Rechten angepasst hat. Die Schützenhaus-Ästhetik des Albisgütli bildet schon lange nicht mehr die ganze Lebenswelt der Partei ab. Man produziert jetzt auch postmoderne Filmchen («Welcome to SVP») oder fährt auf einem Heuwagen in die Swiss-Life-Arena ein. Zudem wird am Verstärker gedreht: In den Corona-Jahren setzten gewisse SVPler, auch Blocher, die Schweiz mit einer «Diktatur» gleich. Jüngst forderte die Partei den Rücktritt von Bundesrätin Amherd. Und am gleichen Wochenende erklärte alt Bundesrat Ueli Maurer, in Deutschland sei eine «Stasi 2.0» zu beobachten (als gäbe es wie in der DDR einen Repressionsapparat) – um den Spruch dann noch einzuschweizern: «Wehret den Anfängen.»
Man ist plötzlich auch gerne international unterwegs. Wenn Roger Köppel den ungarischen Präsidenten Orban oder den serbischen Präsidenten Vucic nach Zürich einlädt, sitzen SVPler auf den besten Plätzen. Die AfD-Chefin Alice Weidel ist in der Partei offenbar so beliebt, dass sie berichten kann: «Ich habe einen regen Austausch mit verschiedenen SVP-Politikern.» In der Jungen SVP gibt es Führungsfiguren, die vorgeben, es gehe ihnen um die Unabhängigkeit der Schweiz, um sich dann mit internationalen Rechtsextremen zu vernetzen. Nils Fiechter, ihr Präsident, lebt die Internationalisierung auch physisch vor. An einer Wahlkampfshow im Jahr 2023 gab er den Trump-Imitator: mit überlanger Krawatte und offensichtlich nachempfundener Gestik.
Bisher konnte Christoph Blocher mit seinem Unabhängigkeitskampf die Widersprüche innerhalb der Partei in sich auflösen. Aber was ist die SVP ohne ihn?
Die Symbolfigur der neuen Zeit ist Roger Köppel, der frühere SVP-Nationalrat. Er muss gemerkt haben, dass er, wie auch andere Podcast-Hosts, «auf allen Kontinenten» als Publizist die grössere politische Wirkung denn als Politiker entfalten kann. Mit ihm zieht im Albisgütli eine Figur ein, wie es sie in der Schweiz bisher nicht gab. Fragt sich, ob Köppel die SVP repräsentiert oder mehr sich selbst. Seine rhetorischen Fähigkeiten werden in der Partei jedenfalls geschätzt. Auch wenn es mehrere einflussreiche Leute gibt, die froh sind, dass der Bundesrat gerade das Verhandlungsergebnis mit der EU präsentiert hat, und Köppel über die Unabhängigkeit der Schweiz reden dürfte – sicherer Boden für die SVP –, und nicht über seine weltpolitischen Ansichten.
Auch an der nächsten SVP-Delegiertenversammlung ist Köppel als Redner vorgesehen, sein Rücktritt aus dem Parlament war offenbar nicht das Ende seiner politischen Arbeit. In der Partei weckt er gleichermassen Begeisterung und Misstrauen: Es gibt viele, die ein Sonderfall unter den rechten Parteien bleiben wollen, wirtschaftsliberal, ohne grosse internationale Vernetzung. Ob die SVP künftig eine Puurezmorge-Rechtspartei sein wird oder ob sie sich einer weltweiten Allianz von Rechtspopulisten annähert, hängt auch davon ab, wie einflussreich Figuren wie Köppel sind. Lange war klar, wer die SVP führt. Inzwischen reissen und zerren intern diverse Kräfte an ihr. Die Partei werde sich «ganz sicher nicht» verändern, sagt Peter Keller.
Christoph Blocher wird auch in diesem Jahr ins Albisgütli kommen. Als Zuschauer. Seinen Nachfolger hat nicht er bestimmt, sondern die Zürcher Kantonalpartei. Ob Köppel für eine neue SVP steht, die sich in ein internationales Netz von rechten Parteien einfügt?
«Roger Köppel ist beliebt in unserer Partei, weil er zur Unabhängigkeit der Schweiz steht», sagt Blocher, «auch wenn er in der ganzen Welt unterwegs ist, mit Orban redet, mit Vucic, mit Putin.» Inwiefern diese Einflüsse die SVP verändern, wird er im Albisgütli sehen.