Mit 40 Millionen aus seinem Einnahmenüberschuss finanziert Zug ein Forschungsinstitut mit neun Professuren. Das langfristige Risiko tragen aber auch andere Steuerzahler.
Der Höhepunkt der Blockchain ist dreieinhalb Jahre her: Im Frühjahr 2021 hatte der Preis der Kryptowährung Bitcoin mehrere Monate steilen Aufstiegs hinter sich. Wer mitreden und die Zukunft nicht verpassen wollte, kaufte sich damals Bitcoin, Polkadot oder digitale Besitzzertifikate für Kunst namens NFT. Dann kam der grosse Absturz.
Der Bitcoin-Preis hat sich seitdem wieder erholt. Das allgemeine Interesse an der Blockchain nicht. Blockchain wurde als Schlagwort abgelöst vom Metaversum, seit zwei Jahren dreht sich sowieso alles um künstliche Intelligenz (KI).
Deshalb wirken die jüngsten Stellenanzeigen der Universität Luzern ziemlich aus der Zeit gefallen. Professur für Philosophie und Blockchain, Professur für Politikwissenschaft und Blockchain; Soziologie, Energierecht, Öffentliches Recht, Privatrecht, Makroökonomie, jeweils «und Blockchain»: Diese sieben neuen Professuren sind bereits ausgeschrieben, zwei weitere, Gesundheit und Blockchain und Psychologie und Blockchain, sollen noch folgen.
Woher kommt die Entscheidung, diese Stellen zu schaffen? Wurden im Krypto-Hype Prozesse in Gang gebracht, die nicht mehr zu stoppen waren? Oder glaubt man in Luzern und Zug weiterhin, dass die Blockchain unser Leben verändern wird?
Zug finanziert den Anfang, dann müssen andere zahlen
Am schnellsten beantwortet ist die Frage, woher das Geld kommt. Der Kanton Zug nimmt mehr Geld ein, als er auf die Schnelle sinnvoll auszugeben vermag, wie der Finanzdirektor des Kantons Heinz Tännler im April in der NZZ beklagte.
Durch die OECD-Mindeststeuer kommen weitere 200 Millionen im Jahr dazu. Dadurch werden unter anderem Steuersenkungen und Kinderbetreuung finanziert. Und 40 Millionen davon steckt Zug in die Gründung des Zuger Instituts für Blockchainforschung – mit Sitz in Zug, aber inhaltlich unter dem Dach der Universität Luzern und der Hochschule Luzern.
Allerdings ist das eine einmalige Startfinanzierung, die nur fünf Jahre abdeckt. Zugleich hat, wer jetzt an die Universität Luzern als ordentlicher Professor berufen wird, ein Anrecht auf die Stelle bis zur Pensionierung. Das Risiko trägt die Universität Luzern. Man rechnet mit einer möglichen Unterstützung von Zug über die ersten Jahre hinaus, heisst es von der Universität. Der Rest der Forschung soll aus Drittmitteln finanziert werden. Das heisst, aus privaten Förderungen oder allgemeinen Forschungstöpfen.
Blockchain ist mehr als nur Bitcoin
Aber was hat es nun mit dieser Technologie auf sich, die für manche revolutionär, für andere ein leerer Hype ist? Ist es sinnvoll, Forscher für Jahrzehnte damit zu beschäftigen?
Klar ist, Blockchain ist mehr als Bitcoin. Bitcoin heisst die erfolgreichste Kryptowährung, Blockchain ist die Technologie dahinter.
Eigentlich ist Blockchain keine komplizierte Sache
Man kann sie sich die Blockchain wie ein Kontobuch vorstellen, von dem viele verschiedene Computer eine Kopie haben. Darin kann man zum Beispiel Transaktionen oder Verträge eintragen. Das Besondere: Es ist fälschungssicher. Denn um vergangene Einträge zu ändern, müsste man nicht nur eine, sondern alle Kopien des Kontobuchs ändern – und die liegen auf ganz verschiedenen Computern rund um die Welt verteilt und keine zentrale Macht hat Zugriff auf sie alle.
Kryptografische Technologie und eine Art Pfandsystem verhindern, dass eine einzelne Person eine Mehrheit der Tabellen unter ihre Kontrolle bringen und so die Einträge fälschen kann. Dieses System ist auch der Grund für den hohen Energieverbrauch der meisten Blockchains.
Viele Blockchain-Projekte waren Rohrkrepierer
Als die Bitcoin-Preise hoch flogen, sprudelte es nur so vor Ideen, was man mit der Blockchain-Technologie alles anstellen könnte: Etwa die Herkunft von Produkten transparent machen, Kunst finanzieren oder Gesundheitsdaten speichern. Im Jahr 2021 begann man auch in Zug, sich Gedanken über ein Institut zur Blockchainforschung zu machen.
Mit der Zeit zeigten sich aber auch Nachteile vieler Ideen. So ist es eine Herausforderung, die Transparenz einer Blockchain mit dem Datenschutz zu kombinieren, der für Gesundheitsdaten und digitale Wahlen nötig ist. Und während die Blockchain nachvollziehbar macht, wer etwa einen Fisch verarbeitet hat, ist gerade das erste Glied in der Lieferkette, die Frage, ob ein Fisch im Schutzgebiet gefischt wurde oder nicht, nicht so einfach durch Technologie zu beweisen.
Auch über den Nutzen von Kryptowährungen kann man sich streiten. Zum Teil wird sie als krisensicheres Anlagegut dargestellt. Doch der Bitcoin-Preis ist volatil und bewegt sich, anders als Gold, eher synchron mit den Aktienkursen von Tech-Firmen. Als Zahlungsmittel sind Kryptowährungen immer dann nützlich, wenn es keine günstigen und vertrauenswürdigen Banken oder Zwischenhändler gibt, an die man einen Handel auslagern kann: In Ländern mit galoppierender Inflation oder für Erpressung und Drogenhandel im Internet werden sie schon heute genutzt.
Wie viele Blockchain-Anwendungen wirklich für den legalen Alltagsgebrauch sinnvoll sind, darüber gibt es geteilte Meinungen. Einige gross angekündigte Projekte haben sich als Rohrkrepierer herausgestellt.
Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler wehrt sich gegen die Sicht, dass Blockchain ein kurzlebiger Hype war. Im Zuger Startup-Cluster «Crypto Valley» arbeiteten 6000 Leute in mehr als 1000 Firmen an Krypto-Anwendungen. Im Bereich der Finanzdienstleistungen sei die Blockchain «völlig etabliert». Es gingen nicht mehr Startups zugrunde als in anderen Bereichen.
Humanwissenschaftliche Forschung zu Blockchain ist rar
Alexander Trechsel, Prorektor Forschung und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern, sagt, gefragt nach Beispielen nützlicher Blockchain-Anwendungen: «Ich bin Sozialwissenschafter und empfehle keine Blockchain-Anwendungen. Aber ich interessiere mich für deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.»
Er verweist auf einen Kantonsratsbeschluss vom Juni 2023, der unter anderem aufzählt, welche Art von Fragen die Blockchain-Professuren erforschen könnten. Die Liste ist lang und vielfältig: Es geht um die Philosophie des «vertrauenslosen Vertrauens», das Blockchain verspricht, darum, wie Krypto-Währungen vererbt werden können, um Datenschutz bei Blockchain-Anwendungen. Es sind durchaus interessante und wenig erforschte Fragen dabei.
Die Hoffnung des Zuger Kantonsrats ist, mit Fokus auf humanwissenschaftliche Fragen rund um die Blockchain weltweit herausragen zu können. Denn anderswo wird die Blockchain fast nur von Wirtschaftswissenschaftern oder Informatikern erforscht.
Der Regierungsrat Tännler sagt: «Für uns war es wichtig, dass das Institut alle gesellschaftsrelevanten Fragen rund um das Thema Blockchain untersucht – dazu zählt Ethik, aber zum Beispiel auch Gesundheit und Makroökonomie.»
Tatsächlich gibt es für Fragen rund um die Blockchain nicht viele unabhängige Experten. Die meisten, die sich gut auskennen, profitieren auf die eine oder andere Art wirtschaftlich vom Hype. Die Kritiker befassen sich hingegen oft nur nebensächlich mit der Technologie, weil sie sie für überflüssig halten. Der Politologe Trechsel sagt: «Es braucht gerade auch einen kritischen Blick auf die Technologieentwicklung. Bei Blockchain gibt es da eine Lücke. Mit der geplanten humanwissenschaftlichen Forschung füllen wir diese.»
Der Kanton Zug hat sich starken Einfluss eingeräumt
Wenn man den Kantonsratsbeschluss liest, drängt sich allerdings die Frage auf, wie kritisch die Forschung am neuen Institut sein wird. Dort steht explizit, dass der Kanton Zug «weitgehende Einflussnahme auf die Ausrichtung und Entwicklung des Instituts» haben soll. Die Forschung soll «passgenau» auf die Bedürfnisse der lokalen Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet sein und das Crypto Valley rund um Zug stärken.
Aber was, wenn die Forschungsergebnisse dem Ruf der Blockchain und damit den Blockchain-Startups eher schaden als nutzen würden?
Trechsel ist überzeugt, dass das Institut frei forschen wird, das garantiere die Ansiedelung an der Universität Luzern. Er habe keine Einmischung in die Forschungspläne durch die Politik erlebt. Der Vorteil für den Standort ergebe sich eher indirekt: «Unser Auftrag ist nicht Standortförderung. Aber es leuchtet ja ein, dass ein Standort von so einem Institut und den Leuten, die es anzieht, profitiert.»
Und was, wenn der Blockchain-Hype verpufft und die Universität Luzern dann mit Professoren ohne Thema dasteht? Trechsel sagt: «Es gibt Risiken, aber die Vorteile überwiegen klar.» Und vergleicht die Situation mit der frühen Internetzeit: 1998 wurde in Harvard ein Forschungsinstitut zum Thema Internet und Gesellschaft gegründet. Da habe man auch noch nicht gewusst, ob sich die Technologie durchsetzen würde.
Ob das ein passender Vergleich ist und die Blockchain nützlicher als ihr Ruf, wird sich vielleicht auch dank der neuen Forscher bald herausstellen.