Die Prognosesenkung des Münchner Autobauers kommt aus heiterem Himmel. Beide Gründe – eine gigantische Rückrufaktion wegen von Conti gelieferter Bremsen und die lahmende Nachfrage in China – bestehen nicht erst seit gestern. Wir legen unsere Kaufempfehlung auf Eis.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
heute um 12.50 Uhr mitten innerhalb des laufenden Börsenhandels liess der Münchner Autobauer BMW eine finanzielle Bombe platzen. Wegen Rückrufen und Auslieferungssperren bei 1,5 Mio. Fahrzeugen mit womöglich fehlerhaft funktionierenden Bremsen sowie einer weiter gedämpften Nachfrage in China kassierte BMW seine Jahresprognose. Die Mitteilung traf die Anleger aus völlig heiterem Himmel: Der Kurs der BMW-Aktie fiel bis zum Handelsschluss um 11% auf 68.98 €.
Noch Anfang August hatte sich BMW ziemlich breitbeinig als Ausnahmeerscheinung dargestellt, während die Branche (mit Europas Marktführer Volkswagen als grösstem Problemfall) immer tiefer in die Krise schlittert. «Die BMW Group bleibt auf Kurs und bestätigt ihre Ziele für 2024 trotz des volatilen Marktumfelds», erklärte Finanzchef Walter Mertl. Um jetzt, keine sechs Wochen später, eine drastische Korrektur zu präsentieren: Die Marge vor Zinsen und Steuern (Ebit-Marge) des Segments Automobile soll nur noch 6 bis 7% erreichen statt der Anfang August noch bestätigten 8 bis 10%.
Das heisst rechnerisch, dass BMW mehr als 1,5 Mrd. € Ebit fehlen. Ähnlich ist das Bild beim Free Cashflow: Der soll nun nur noch mehr als 4 Mrd. statt bisher mehr als 6 Mrd. € betragen. Die Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE ) wird nur noch auf 11 bis 13% statt bisher erwarteter 15 bis 20% taxiert.
Grund sind zum einen zusätzliche Gewährleistungskosten in hoher dreistelliger Millionenhöhe für den Rückruf von 1,2 Mio. Fahrzeugen, die zwischen Juni 2022 und Anfang August 2024 gebaut wurden, quer über die gesamte Modellpalette. Hinzu kommt, dass für 320’000 noch in Produktion befindliche Autos von den Behörden etwa in den USA Auslieferungssperren verhängt wurden; bei diesen müssen also die Bremsmodule erst getauscht werden, bevor sie an die Kunden gehen können. Ihre Auslieferung verzögert sich teilweise bis ins nächste Jahr, was den Lagerbestand erhöht.
Folgenschwere Fehleinschätzung zu China eingestanden
Darüber hinaus muss BMW für China seine Einschätzung einer «beginnenden Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation im dritten Quartal» zurücknehmen. Die Nachfrage bleibe trotz Stützungsmassnahmen gedämpft. Wenn man schon mal dabei ist, verpackte BMW auch noch eine Prognosesenkung für die Motorradsparte in der ad-hoc-Mitteilung. Die Folge: Das Ergebnis des gesamten BMW-Konzerns vor Steuern werde 2024 «deutlich» statt bisher «leicht» zurückgehen.
Alle anderen deutschen Premium- und Luxushersteller, Mercedes-Benz, Audi und Porsche, haben ihre Jahresprognosen schon vor der Sommerpause gekippt. Indem BMW erst jetzt nachzieht, lässt die Unternehmensführung ihre Aktionäre und uns, die wir BMW Anfang Juli empfohlen haben, im Regen stehen. Insbesondere die Kommunikation des Münchner Autobauers wirft Fragen auf: Von möglichen hohen Extra-Belastungen durch Rückrufe war bisher keine Rede.
Dabei ist schon seit Februar bekannt, dass die von Continental gelieferten elektrischen Bremssysteme MK C2 problematisch sind – und sich BMW darüber mit Conti auch kräftig zofft. Zunächst rief BMW knapp 80’000 Fahrzeuge in den USA zurück, wenig später 47’000 Autos in Deutschland. Noch im März ging man davon aus, dass weltweit rund 370’000 Autos betroffen sind. Durch eine mögliche Signalstörung bei einem elektronischen Bauteil funktionieren die Bremsen möglicherweise nicht wie gewohnt: Fahrer müssen dann kräftiger auf Bremspedal drücken, Antiblockiersystem und Stabilitätssystem können ausfallen. BMW und Conti betonen, dass jederzeit gebremst werden kann. Continental-Aktien verloren heute Nachmittag ebenfalls mehr als 10%.
Da auch ausserhalb des zunächst untersuchten Produktionszeitraums Kunden Fehler meldeten, wurde laut BMW die Untersuchung Anfang August mit einer neuen Diagnose-Software ausgeweitet. Dass dies letztlich zu 1,5 Mio. möglicherweise betroffenen Fahrzeugen führen könnte, sei Anfang August auch für BMW nicht absehbar gewesen, sagt ein BMW-Sprecher.
Was bedeutet dies nun für die Einschätzung der Aktie? Rückrufe können natürlich immer passieren. Der Fall führt allerdings vor Augen, dass die Komplexität der Fahrzeuge zunimmt – und damit tendenziell die Rückrufrisiken.
Für BMW ist der Vorgang ein besonderes Desaster: Der Münchner Autobauer gilt traditionell als besonders konservativ, darauf pocht auch die Großaktionärsfamilie Quandt/Klatten (48% der Anteile). Entsprechend hat auch BMW-Chef Oliver Zipse bisher stets Risikopuffer eingebaut, 2021 und 2023 konnte er die Prognose jeweils im Spätsommer leicht anheben. BMWs letzte Prognosesenkung geht bis aufs Jahr 2018 zurück, in der Folge waren die Tage des damals amtierenden CEO Harald Krüger gezählt.
An der Einschätzung, dass BMW langfristig unter Deutschlands Autobauern am besten aufgestellt ist, gibt es aus heutiger Sicht nichts zu rütteln. Anders als VW und Mercedes musste BMW nicht bei seinen überambitionierten Elektroplänen zurückrudern und braucht deshalb auch nicht bei Verbrennermodellen teuer nachzuinvestieren. Die Münchner haben seit jeher Technologieoffenheit proklamiert und sind trotzdem mit ihren Elektroautos schon jetzt erfolgreicher als die deutschen Premiumwettbewerber.
Im Juli setzte BMW in Europa erstmals mehr vollelektrische Fahrzeuge ab als US-Primus Tesla. Die Analysten von Bernstein Research lobten vor wenigen Tagen, BMW habe als einziger europäischer Hersteller in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres Marktanteile und Volumina auf dem US-Markt steigern können. Den nächsten Schub könnte die komplett neu entwickelten E-Autos der «Neuen Klasse» bringen, die ab Ende 2025 vom Band laufen.
Mutige könnten den Kurssturz deshalb nach dem Motto ‹Kaufen, wenn die Kanonen donnern› zum Einstieg nutzen. Allerdings hat der Vorstand mit seiner Schock-Ad-hoc an den Märkten viel Vertrauen verspielt. Das wieder aufzubauen, obendrein in dem aktuell volatilen und politisch aufgeladenen Umfeld, kann dauern. Kurzfristig dürften schlechte Nachrichten überwiegen. Meine Kaufempfehlung lege ich deshalb vorerst auf Eis.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Angela Maier