China steckt in einer hartnäckigen Konjunkturflaute, die weite Teile der Wirtschaft erfasst hat. Im Zentrum der Probleme steht der Immobiliensektor, der traditionell ein wichtiger Motor für das chinesische Wachstum ist: Bis zu 20% trug er in den vergangenen Jahrzehnten zur Wirtschaftsleistung der heute zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt bei, schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Förderung des Sektors war lange ein Pfeiler der Wachstumsstrategie der Regierung um Staats- und Parteichef Xi Jinping, doch als sich die Überhitzungstendenzen verschärften, ging Peking 2020 gegen die hoch verschuldeten Immobilienentwickler vor.
Die Immobilienpreise sind daraufhin ins Rutschen geraten und die Bautätigkeit ist eingebrochen – die seither schwelende Immobilienkrise hält China bis heute in Atem und belastet wegen ihrer engen Verflechtung mit zahlreichen Wirtschaftszweigen die Konjunkturentwicklung. Der Ausbruch der Coronapandemie versetzte der chinesischen Volkswirtschaft einen weiteren Schlag, wobei die Situation durch die strikte Null-Covid-Strategie der Regierung verschärft wurde. Wer nach dem Ende der Pandemie auf einen Aufschwung gehofft hatte, wurde enttäuscht – stattdessen sind die Abkühlungstendenzen heute an breiter Front spürbar.
Verunsicherte Konsumenten
Wie erschüttert das Vertrauen der Chinesinnen und Chinesen in die Wirtschaft ist, spiegelt sich in der Konsumentenstimmung. Sie ist derzeit fast so schlecht wie im November 2022, als sie einen historischen Tiefpunkt erreicht hatte. Die Verunsicherung ist gross, nachdem die jahrelange Immobilienkrise das Vermögen der Privathaushalte gemäss Bloomberg um rund USD 18 Billionen reduziert hat. Die Menschen legen sich daher lieber ein finanzielles Sicherheitspolster an als ihr Geld auszugeben. Der resultierende Abwärtsdruck auf das Preiswachstum hat inzwischen die längste Deflationsphase seit 1999 ausgelöst. Ein trübes Bild zeigt sich auch in der Industrie. So notierte der Einkaufsmanagerindex (Purchasing Manager Index, PMI) für das verarbeitende Gewerbe in den vergangenen zwölf Monaten mit Ausnahme von zwei Lesungen unter der Marke von 50, was einen Rückgang der Industrieaktivität signalisiert.
Einer der wenigen Lichtblicke war bislang der Exportsektor, wobei die Warenausfuhren jüngst den höchsten Stand seit fast zwei Jahren erreicht haben. Doch auch in diesem Segment droht Gegenwind. Insbesondere die Vereinigten Staaten werfen Peking unfaire Wettbewerbspraktiken und Preisdumping vor, was die US-Regierung bereits in der Vergangenheit veranlasst hat, Import- und Strafzölle auf chinesische Waren zu erheben.
Aktienrally nach Massnahmenpaket
Die chinesische Regierung ist angesichts der Konjunkturmisere nicht untätig geblieben. In den vergangenen Jahren hat sie wiederholt versucht, den Häusermarkt zu stabilisieren und über diesen Kanal die Gesamtwirtschaft anzukurbeln. Doch der Funke zündete nicht. Nachdem die Wachstumszahlen für das zweite Quartal unerwartet schwach ausfielen, zweifelten immer mehr Ökonomen daran, dass Peking das für 2024 gesteckte Wachstumsziel von 5% erreichen kann, wie eine Bloomberg-Umfrage zeigt.
Ende September ging die chinesische Regierung schliesslich in die Offensive und hat eine Reihe von geldpolitischen Massnahmen beschlossen, die endlich die erhoffte Konjunkturwende bringen sollen. So hat die People’s Bank of China die Leitzinsen gesenkt und die Geldpolitik so stark gelockert wie zuletzt während der Coronakrise. Zudem wurden die Zinsen auf bestehende Hypothekarkredite gesenkt und Massnahmen ergriffen, um die Kreditvergabe der Banken zu fördern.
Die Finanzmärkte reagierten mit einem Kursfeuerwerk auf die Ankündigung: Der MSCI China Index legte innerhalb weniger Tage mehr als 30% zu. Auch die Aktien von Luxusgüterunternehmen, die einen bedeutenden Anteil ihrer Verkäufe in China erzielen, verspürten Aufwind und gewannen gemessen am Stoxx Europe Luxury 10 knapp 13%. Der Aktienrally ging allerdings schnell die Luft aus.
Vage Angaben zu Fiskalpaket
Die erste Begeisterung über das Massnahmenpaket ist inzwischen verpufft und die chinesischen Börsen haben ihre jüngsten Kursgewinne teilweise wieder abgegeben. Für Enttäuschung an den Finanzmärkten sorgen insbesondere fehlende Informationen zu einem möglichen Fiskalpaket. Gemäss Reuters spekulierten Marktanalysten bis vor kurzem auf fiskalpolitische Stützungsmassnahmen im Umfang von bis zu CNY 10 Billionen (USD 1.4 Billionen), darunter Subventionen, Konsumgutscheine und finanzielle Unterstützung für Familien mit Kindern.
Doch Peking bleibt vorerst vage. An einer Pressekonferenz Mitte Oktober untermauerte der chinesische Finanzminister Lan Fo´an zwar das Bestreben, die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen, konkrete Zahlen zu einem möglichen Rettungspaket nannte er jedoch nicht. Die Angaben zu einem allfälligen Fiskalpaket seien voller guter Absichten gewesen, urteilte Reuters, aber arm an messbaren Details.
Die Zurückhaltung bedeutet freilich nicht, dass die chinesische Regierung ihren Spielraum bereits ausgeschöpft hat. Die Aufmerksamkeit der Finanzmärkte richtet sich nun auf das nächste Treffen des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Diesen Rahmen nutzte die chinesische Regierung bereits vor einem Jahr, um eine Haushaltsrevision anzukündigen.
Noch überwiegt an den Finanzmärkten die Skepsis, dass die chinesische Regierung mit der nötigen Entschlossenheit gegen die Wirtschaftsflaute vorgehen wird – diese Ausgangslage kann jedoch Anlagechancen eröffnen.
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