1997 gewann Borussia Dortmund gegen Juventus Turin die Champions League. Zum grössten Triumph der Klubgeschichte gibt es vor dem Final am Samstag gegen Real Madrid einige Parallelen.
Damals, vor elf Jahren, trug der ehemalige Dortmunder Profi Lars Ricken eine Rüstung, als er auf dem Rasen des Londoner Wembley-Stadions stand. Der Mann ihm gegenüber ebenfalls. Es war Paul Breitner, legendärer Profi des FC Bayern, der Ricken eine Herausforderung überreichte.
Das eigentümliche Aufeinandertreffen der Klublegenden war Teil einer Inszenierung, um das Publikum einzustimmen auf den bisher einzigen rein deutschen Final in der Champions League. Allenthalben wird in diesen Tagen, in denen die Borussia dem Final entgegenfiebert, der 1:2-Niederlage von 2013 gedacht. Zwei Veteranen von damals sind heute noch dabei: der Angreifer Marco Reus in seinem womöglich letzten Spiel für Dortmund und der Innenverteidiger Mats Hummels.
Die Dortmunder stehen am Samstag ab 21 Uhr, erneut in Wembley, Real Madrid gegenüber, dem Seriensieger und Favoriten, diesem Team mit der unerschütterlichen Gewissheit, jedes Spiel in aussichtsloser Situation drehen zu können. Nicht bloss deshalb sind sich die Dortmunder ihrer Rolle als Aussenseiter bewusst, auch das luxuriös besetzte Kader der Madrilenen unterstreicht die Position des Favoriten. Allerdings wusste die Borussia immer wieder zu überraschen, erst recht in der Rolle des Underdogs.
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— Borussia Dortmund (@BVB) May 30, 2024
Dortmund und Real verbinden keinerlei Erfahrungen
Wenn Edin Terzic, der Trainer, die einmalige Chance beschwört, die sich in solch einem Spiel bietet, dann klingt er keineswegs anders als Dortmunds damaliger Trainer Jürgen Klopp 2013 vor dem Duell gegen die Bayern. Und doch stehen die Dinge anders. Damals dominierten die Bayern die Bundesliga in einer rekordhaften Saison, der BVB war als Titelverteidiger regelrecht deklassiert worden. Heute hingegen treffen die Dortmunder auf einen spanischen Champion, mit dem sie keinerlei Erfahrungen verbinden.
Steht nun also das grösste Spiel der Vereinsgeschichte an, wie allenthalben behauptet wird? Das Potenzial hat diese Begegnung, mit einem Erfolg könnten die Dortmunder ihren Anspruch unterstreichen, ein Spitzenklub zu sein. Erst recht in einer Zeit, in der die Borussia im Umbau steckt: Der Klubchef Hans-Joachim Watzke wird sich demnächst zurückziehen, der BVB wird sich neu ordnen. Doch solange der Final nicht gewonnen ist, bleibt der bisher einzige Dortmunder Champions-League-Sieg von 1997 die einsame Referenz. Der Titel von damals hat das Selbstverständnis des BVB geprägt – als einer der grossen europäischen Klubs.
Damals trafen die Dortmunder im Final von München auf Juventus Turin. Trainiert wurde das Team von Ottmar Hitzfeld, es hatte in den beiden Saisons zuvor die Meisterschaft gewonnen. 1997 indes haperte es, die Dortmunder waren in der Bundesliga abgeschlagen, die Champions League war ihre grosse Chance – das ist auch dieses Jahr so.
Es gibt sie, die Parallelen zu 1997
«Wer Parallelen zur Gegenwart entdecken will, der findet sie», sagt Andreas Möller, der 1997 das Offensivspiel des BVB lenkte. Ein genialer Spielgestalter, von Experten hoch geschätzt, bei Fans ausserhalb Dortmunds nicht unbedingt beliebt. «Warum Deutschlands Fussballseele Andreas Möller zu hassen pflegt», notierte einst ein Chronist über den Filigrantechniker, dessen mitunter larmoyanter Gesichtsausdruck manche Fussballfreunde zu der irrigen Annahme verleitete, ihm fehle die Wettkampfhärte.
Die Erinnerungen des Spielmachers an den Abend von München sind detailliert: «Wir gingen damals als Aussenseiter in das Spiel, genauso wie der BVB heute. Und uns war damals auch bewusst: Das ist eine einmalige Chance.» Der Status des Underdogs ist indes nicht die einzige Parallele zur Gegenwart.
Auch damals wurde über die Zukunft des Trainers diskutiert, jedoch auf einem anderen Niveau. Ottmar Hitzfeld hatte den BVB erst zu einem grossen Team gemacht, seine Verdienste waren unbestritten. Das unterscheidet ihn vom gegenwärtigen Coach Terzic, dessen Erfolg in der Champions League die miserable Leistung in der Meisterschaft übertüncht.
Der schwierigste Entscheid in Hitzfelds Karriere
Hitzfeld verfügte über die Autorität, die Mannschaft für diesen Match zu präparieren. Er griff zu unpopulären Massnahmen. Matthias Sammer, der Stratege der Dortmunder, war über weite Teile der Saison verletzt ausgefallen. Hitzfeld riskierte es, ihn aufzustellen – und setzte dafür den Österreicher Wolfgang Feiersinger, der Sammer glänzend vertreten hatte, auf die Tribüne. Es sei, sagt Hitzfeld, «die schwierigste Entscheidung meiner Trainerkarriere» gewesen.
Die Qualität des Gegners indes bot keinen Raum für irgendwelche Kompromisse: Juventus Turin setzte damals die Massstäbe – so wie heute Real Madrid. Die Lässigkeit, mit der die Italiener den Wettbewerb beherrschten, frappierte. Kein Konkurrent war besser besetzt: Didier Deschamps, Zinédine Zidane, Alessandro Del Piero und Christian Vieri – das waren nur die grössten Namen. Auch der Serbe Vladimir Jugovic, auf dessen diskrete Dienste viele europäische Spitzenteams vertrauten, und der Kroate Alen Boksic standen auf dem Feld. Es war keine gewöhnliche Mannschaft, sondern eher ein Ensemble, dirigiert von Marcello Lippi. Ganz gleich, wer gegen sie antrat, er war eines nicht: der Favorit.
Nur täuschte die Ausnahmestellung des italienischen Rekordchampions ein wenig über die Formstärke der Dortmunder hinweg. Sie hatten im Halbfinal nicht nur den englischen Champion Manchester United ausgeschaltet. Auch die Ereignisse im Ruhrgebiet verliehen ihnen Auftrieb: Eine Woche zuvor hatte Schalke 04 sich im Final des Uefa-Cups gegen Inter Mailand durchgesetzt. Europas Fussball stand zumindest schon in Teilen im Zeichen des Kohlenpotts.
Zudem war die Klasse der Dortmunder beachtlich. Nicht bloss als Kollektiv, zu dem auch der unermüdliche Stéphane Chapuisat gehörte, sondern auch individuell: mit dem Innenverteidiger Jürgen Kohler, dem Portugiesen Paulo Sousa, dem Stürmer Karl-Heinz Riedle und dem Torhüter Stefan Klos. Dazu der auf wundersame Weise genesene Sammer, im Jahr zuvor Europas «Fussballer des Jahres». Und eben der genialische Möller, der zwei Jahre zuvor noch für Juventus gespielt hatte.
Aussenseiter waren sie sicher, aber auf höchstmöglichem Niveau. Und tatsächlich begann das Spiel blendend für den BVB. Karl-Heinz Riedle erzielte das 1:0 und das 2:0, indem er eine scharfe Hereingabe von Andreas Möller nach einem Corner verwertete. Die Italiener waren perplex, doch immer noch gefährlich genug, um dem Spiel eine Wende zu geben.
Als der eingewechselte Alessandro Del Piero das 1:2 erzielte, wackelten die Dortmunder. Andreas Möller erinnert sich: «Sie waren am Drücker nach dem Anschlusstor, und wenn sie den Ausgleich gemacht hätten, würde ich nicht darauf setzen, dass wir das Spiel gewonnen hätten.»
Es war Hitzfelds letztes Spiel als Dortmunder Trainer
Dann aber wechselte Ottmar Hitzfeld den jungen Lars Ricken ein, und der war gerade im Spiel, da schickte ihn Andreas Möller mit einem zentimetergenauen Pass Richtung gegnerisches Tor. «Ich hatte vielleicht sogar die Augen geschlossen, ich weiss es nicht mehr, aber wir waren derart gut eingespielt, Lars und ich, dass ich ihn einfach auf die Reise geschickt habe.»
Ricken sah, dass der Juventus-Torhüter Angelo Peruzzi weit vor seinem Tor stand. Und er lupfte den Ball aus 25 Metern Distanz über ihn hinweg ins Netz. Es war die Entscheidung – und zweifellos das berühmteste und wichtigste Tor des BVB im bedeutendsten Spiel der Vereinsgeschichte.
«Es war ein Traum, mit Borussia Dortmund die Champions League zu gewinnen. Es war eine Sensation», sagt Ottmar Hitzfeld mit der Distanz eines Vierteljahrhunderts. Für ihn war es das letzte Spiel als BVB-Trainer. Für ein Jahr wurde er Sportdirektor, wechselte dann zum Konkurrenten, Bayern München.
Damals stand das Team im Zenit. Es ist bis heute die grösste Mannschaft des BVB geblieben, ungeachtet der spektakulären Jahre unter Klopp, als sie zweimal in Folge die Meisterschaft gewannen und den Bayern vor elf Jahren in Wembley gegenüberstanden.
Der Verteidiger Hummels, der die Niederlage von 2013 als die schmerzlichste seiner Karriere begreift, ist sich der Rolle des BVB bewusst. Und dennoch müsse sich der BVB «nicht kleiner machen, als man ist». Für ihn und seine Kollegen sind das gar keine schlechten Voraussetzungen, um in Wembley zu reüssieren. Als Underdog hat sich der BVB stets prächtig verkauft.