Frauen gelten gemeinhin als empathischer. Wenn sie allerdings eine Chefposition innehaben, wird dies von den Mitarbeiterinnen oft anders wahrgenommen.
Wie ist es, eine Frau als Chefin zu haben? Die Frage gibt regelmässig Anlass zu emotionalen Debatten, wie ein Blick in die Internetforen zeigt. «Nie wieder werde ich unter einer Frau arbeiten. Ich hatte vier Jahre lang zwei Chefinnen: Diese waren stutenbissig und hinderlich», heisst es da zum Beispiel. Oder umgekehrt: «Diese Stutenbissigkeit, die so gerne zitiert wird, gilt bei den Männern meistens als Führungsstärke. Es ist nicht leicht, Everybody’s Darling und gleichzeitig Chefin zu sein.»
Das Thema interessiert aber nicht nur beim Smalltalk in der Kaffeepause, sondern ist ebenso für die Wissenschaft von Relevanz. So hat das renommierte «Human Resource Management Journal» kürzlich eine länderübergreifende Studie dazu publiziert. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Frauen sind im Allgemeinen weniger zufrieden mit ihrer Karriere, wenn sie eine Frau als Vorgesetzte haben, als wenn der Chef männlich ist.
«Das Verblüffende an diesem Resultat ist, dass wir die geringere Zufriedenheit mit einer Frau als Chefin in allen von uns untersuchten Ländern feststellen konnten», sagt der Freiburger Professor Olivier Furrer, der zu den Co-Autoren der Studie gehört. «Die kulturellen Unterschiede hatten somit nur einen geringen Einfluss auf die Einschätzung der weiblichen Angestellten.» Für die Analyse wurden 2300 Frauen aus 34 Ländern und fünf Kontinenten befragt, darunter waren die Schweiz und Deutschland.
Die Analogie zur Bienenkönigin
Laut Furrer stützt das Ergebnis eine Theorie, die schon länger existiert, welche empirisch aber wenig untersucht wurde. Die Rede ist vom sogenannten Queen-Bee-Syndrom (auf Deutsch Bienenkönigin-Syndrom). Dieses beschreibt ein Verhalten, wonach Frauen in Führungspositionen andere Frauen eher zurückdrängen, statt sie zu unterstützen.
Wie lässt sich ein solches Muster erklären? Die emeritierte Professorin Margit Osterloh von der Universität Zürich hat sich auf Organisationstheorien sowie auf Gender Economics spezialisiert. Sie sagt: «Das Phänomen lässt sich nicht nur bei Frauen, sondern generell bei Minderheiten beobachten, die um ihre Machtposition sowie ihren Status kämpfen müssen.» Diese tendierten aufgrund des niedrigeren Status dazu, sich von ihresgleichen abzugrenzen: «Sie demonstrieren damit, dass sie anders – und vor allem besser – sind als die Minderheit, der sie angehören.»
Gerade in einer männlich geprägten Führungskultur könnten Frauen unter dem Druck stehen, ihre Durchsetzungskraft stärker zu betonen und spezifisch weibliche Eigenschaften zu verstecken, so Osterloh. Auf diese Weise könnten auch Frauenquoten, obwohl diese gut gemeint sind, einen kontraproduktiven Effekt auslösen: «Eine Chefin kann sich gezwungen sehen, dem Vorurteil, sie habe diese Position nur dank der Quote erhalten, entgegenzutreten und deshalb besonders hart aufzutreten.»
Konkurrenz innerhalb der Geschlechter ist stärker
Furrer weist auf eine weitere Erklärung hin: Üblicherweise vergleiche man sich stärker mit Menschen, die einem ähnlich seien. Daher sei die Konkurrenz mit einer vorgesetzten Person intensiver, wenn beide das gleiche Geschlecht hätten. «Eine Rolle spielt zudem die unterschiedliche Sozialisation: Von Frauen wird eher erwartet, dass sie warmherzig und unterstützend sind, während der Wettstreit unter Männern gesellschaftlich akzeptierter ist.» Aus diesem Grund reagierten weibliche Angestellte womöglich negativer auf die Konkurrenz zu einer Chefin.
Eine Forschungsarbeit der Harvard-Professorin Joyce Benenson aus dem Jahr 2017 stützt diese These. In verhaltenspsychologischen Experimenten stellte sie fest, dass männliche Chefs durchweg eher bereit waren, Untergebene des gleichen Geschlechts zu unterstützen, als dies bei Frauen der Fall war. «Männer mit hohem Status bewerten das Teilen von Belohnungen mit gleichgeschlechtlichen Teammitgliedern intuitiv als vorteilhafter», schreibt die Psychologin in ihrer Studie.
Benenson führt diesen Effekt unter anderem auf die menschliche Evolutionsgeschichte zurück. Demnach hätten Frauen in der Frühzeit um Partner und Ressourcen für ihre Kinder konkurrieren müssen. Die Professorin räumt indes ein, dass diese These durchaus umstritten ist.
Interessant ist nun allerdings, dass die Unzufriedenheit der weiblichen Angestellten mit ihren Chefinnen kleiner wird, sobald der Frauenanteil auf der oberen Hierarchiestufe zunimmt. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie von Olivier Furrer. «In einer solchen Situation ist die Zusammenarbeit weniger konkurrenzorientiert. Die Vorgesetzte kann leichter eine schützende Rolle einnehmen und als Mentorin auftreten.» Von den Untergebenen würden die Chefinnen entsprechend stärker als Vorbild und Inspirationsquelle wahrgenommen.
«Von Frauen wird erwartet, dass sie netter sind»
Besonders in Unternehmen mit einem tiefen Frauenanteil an der Spitze brauchten weibliche Vorgesetzte daher gezielte Unterstützung, sagt Furrer: «Hilfreich wäre es namentlich, wenn in der Firma verschiedene Führungsstile gefördert würden, so dass eine Chefin nicht gezwungen wäre, männliche Rollenmuster zu übernehmen.»
Nach Einschätzung von Margit Osterloh findet in vielen Unternehmen ein Umdenken statt. «Ich beobachte vermehrt, dass Frauen nicht wegen ihres Geschlechts in Führungspositionen geholt werden, sondern aufgrund ihrer Andersartigkeit. Sie sollen neue Prinzipien oder Arbeitsweisen einbringen und dadurch für eine Bereicherung sorgen.»
Ein Zeichen für diesen Wandel könnte auch der geänderte Dresscode bei vielen Managerinnen darstellen. Früher trugen sie auffallend häufig marineblaue Anzüge mit weisser Bluse. Heute dagegen setzen sie mit bunten Farben stärker auf modische Akzente, die sie von ihren männlichen Kollegen unterscheiden.
Streit und unterschiedliche Meinungen gehören zum Arbeitsalltag. Finden diese zwischen Frauen statt, so werde daraus rasch ein Drama stilisiert, derweil es bei den Männern als gesunde Debatte gelte. Das schreibt Sheryl Sandberg, die frühere Co-Geschäftsleiterin von Facebook, die ihre Erfahrungen zu einem Bestseller verarbeitet hat. «Frauen sind nicht gemeiner zu Frauen als Männer zueinander», so Sandberg. «Von Frauen wird nur erwartet, dass sie netter sind.» Das Klischee, wonach das weibliche Geschlecht empathischer sei, klingt zwar gut. Doch für eine Frau, die sich in einer Führungsposition durchsetzen muss, ist das Stereotyp primär eine Bürde.
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