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Wegen der langen Verfahrensdauer hat das Obergericht die Strafe der Vorinstanz aber um einen Drittel gekürzt.
Es ist mittlerweile fast sieben Jahre her: Über das Pfingstwochenende im Jahr 2017 wollten britische Autofans mit Sportwagen durch halb Europa fahren. Die Veranstaltung nannte sich «Cannonrun 3000». Von den 40 Teilnehmern, die in Grossbritannien gestartet waren, kamen aber drei Lenker von Sportcoupés des Typs Nissan GT-R nie am Ziel in Monaco an.
Sie wurden von der Kantonspolizei Zürich auf der A 4 aus dem Verkehr gezogen, nachdem sie bei «hochriskanten» Fahrmanövern mit mindestens 180 km/h erwischt worden waren. Die Nissan-Fahrer waren zuvor rund eine halbe Stunde lang von der Polizei zivil verfolgt worden, bevor sie gestoppt wurden. Videoaufnahmen dienten als Beweismittel.
Die Untersuchungsbehörden behielten die drei Briten rund drei Monate lang in Untersuchungshaft. Erst 89 Tage später wurden sie entlassen und durften ausreisen, nachdem sie Geständnisse abgelegt und mit dem Staatsanwalt einen Deal für abgekürzte Verfahren mit bedingten Freiheitsstrafen von 13 und 14 Monaten eingegangen waren. Zwei der drei Männer widerriefen allerdings ihre Geständnisse, kaum waren sie wieder in Grossbritannien.
Die lange Dauer der Untersuchungshaft sorgte damals in britischen Medien für Aufsehen. Es wurde spekuliert, dass als Warnung für andere ausländische Automobilisten ein Exempel statuiert worden sei. Der damalige «Cannonrun»-CEO, der die Rallys als Luxusautoreisen («Luxury driving holidays») mit «Schwerpunkt auf sicheres Fahren» durch Europa organisierte, kritisierte in der «Nottingham Post» das Vorgehen der Schweizer Behörden: «Die Männer sind nur noch ein Schatten ihrer selbst», wurde er zitiert.
Besonders bitter sei gewesen, dass einer der drei Verhafteten nicht nur seinen Geburtstag, sondern auch seinen Hochzeitstag im Gefängnis habe feiern müssen. Laut anderen britischen Medien musste einer der Betroffenen die Hochzeit seiner Tochter verschieben, da er sonst nicht anwesend gewesen wäre, um sie zum Traualtar zu führen.
Die Strafverfahren gegen die beiden Briten, die beide Firmen leiten, zog sich über Jahre hin. Erst im September 2020 erhob Staatsanwalt Jürg Boll Anklage. Er verlangte wegen qualifizierter grober Verletzung von Verkehrsregeln je eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten.
Tränen vor der Vorinstanz
Der erstinstanzliche Prozess vor dem Bezirksgericht Affoltern fand im Frühjahr 2022 statt. Beide Beschuldigten, die heute 55 und 51 Jahre alt sind, reisten extra aus Grossbritannien an. Wie einem Gerichtsbericht von CH Media zu entnehmen ist, brach der eine Beschuldigte im Gerichtssaal in Tränen aus und sagte, sein Leben sei ruiniert. Er habe nie verstanden, weshalb er so lange im Gefängnis gesessen habe.
Sein Kollege klagte über verlorene Geschäftsaufträge, psychische Probleme und Schlafstörungen. Einer der Beschuldigten machte zudem einen Schaden von 11 000 Pfund geltend, der angeblich durch Überbelastung des Nissan bei einem Test der Behörden entstanden sei. Die Briten relativierten, das Verkehrsaufkommen sei nicht gross gewesen und man habe niemanden in Gefahr gebracht.
Die erstinstanzlichen Urteile datieren vom 12. Mai 2022. Beide Männer wurden zu bedingten Freiheitsstrafen von je 12 Monaten verurteilt. Dagegen gingen sie in Berufung. Am zweitinstanzlichen Prozess vor Obergericht sind sie aber nicht mehr anwesend. Aufgrund der aufwendigen Anreise wurden sie dispensiert.
Laut Anklage missachteten die drei Briten die zulässigen Geschwindigkeiten, Abstandsvorschriften und weitere Verkehrsregeln «wissentlich in äusserst gravierender Weise». Sie hätten um jeden Preis zusammenbleiben wollen, und jeder habe gewusst, dass die Kollegen noch riskanter hätten fahren müssen, um den Sichtkontakt untereinander nicht zu verlieren.
Sie überfuhren Sperrflächen, und bei Fahrstreifenwechseln zwängten sie sich zwischen anderen Autos hindurch. Die Abstände sollen beim Hintereinanderfahren zum Teil nur noch 0,58 Sekunden und beim Spurwechsel 0,31 Sekunden betragen haben. Nach dem Islisbergtunnel beschleunigte einer der Automobilisten den Nissan bis auf mindestens 188 km/h. Der Tacho soll sogar 199 km/h angezeigt haben.
Laut Anklage «gesellte sich» im Islisbergtunnel auch noch ein schwarzer BMW M6 mit Zürcher Kontrollschildern zu den drei Nissans, der ebenfalls auf mindestens 175 km/h beschleunigte.
Verteidiger kritisieren angebliche «Beugehaft»
Die Verteidiger fordern vor Obergericht Freisprüche vom Vorwurf der qualifizierten groben Verkehrsregelverletzung. Im Übrigen sei das Verfahren vollumfänglich einzustellen, da es sich nur um einfache Verkehrsregelverletzungen handle, die bereits verjährt seien. Den Beschuldigten seien Entschädigungen und Genugtuungen für die zu Unrecht erlittene Untersuchungshaft auszurichten.
Es bestehe der Verdacht, dass die ursprünglichen Geständnisse mit psychischem Druck unzulässig erpresst worden seien, kritisieren die Anwälte. Es habe sich um eine eigentliche Beugehaft gehandelt: Geständnisse gegen Haftentlassung. Das Vorgehen des Staatsanwalts sei «völlig überrissen und unverhältnismässig» gewesen.
Ein illegales Rennen habe nicht stattgefunden. Es habe sich um mehrere einzelne leichtere Verkehrsdelikte «ohne Handlungseinheit» gehandelt. Durch deren Kumulierung lasse sich keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben mit möglicher Todesfolge ableiten.
Das Gutachten des Forensischen Instituts Zürich (FOR), aus dem die angeblich gefahrene Geschwindigkeit hervorgehe, sei nicht verwertbar, weil die Untersuchungen von einem namentlich nicht genannten Nissan-Techniker und nicht vom Sachverständigen selber durchgeführt worden seien. Zudem rügen die Verteidiger die lange Verfahrensdauer. Das Beschleunigungsgebot sei mehrfach verletzt worden.
Das Obergericht kommt im Prinzip auf dieselbe Strafe wie die Vorinstanz. Die Richter geben den beiden Beschuldigten aber aufgrund der langen Verfahrensdauer einen Rabatt von einem Drittel und senken ihre bedingten Freiheitsstrafen von je 12 auf 8 Monate. Ein Teil der leichteren Delikte ist bereits verjährt. Entschädigungen gibt es nicht.
Alle Videoaufnahmen und Gutachten seien verwertbar, hält der Gerichtsvorsitzende fest. Dass ein Techniker die Daten auslese, sei in Strafverfahren «Standard Procedure» und eine völlig simple Angelegenheit. Die lange Untersuchungshaft habe beim Gericht zwar auch «Bedenken erweckt». Aufgrund der Protokolle sei aber nicht ersichtlich, dass ein besonderer Druck auf die Beschuldigten ausgeübt worden sei.
Urteil SB220646 und SB220647 vom 5. 2. 2024, noch nicht rechtskräftig.