Warum der Food-Experte Richard Kägi nichts vom Brunchen hält. Und wie man ihn trotzdem an ein Frühstücksbuffet locken kann.
Ich werde öfter über meine Meinung zu diesem und jenem gefragt. Einmal ging es darum, welches Brunch-Gericht denn verboten gehöre. Ich weiss noch genau, was ich entgegnete: «Nicht Brunch-Gerichte gehören verboten, sondern der Brunch an sich. Ich hasse Brunch, er ist der Totschläger des guten Geschmacks und des aufmerksamen Service. Menschenmassen zusehen, die gierig (all you can eat!), laut und drängelig in Schüsseln und Platten stochern, sich eingetrocknetes Rührei und fettig-glänzenden Lachs vom Discounter auf die Teller pappen, auf steinharte 3-Minuten Eier einschlagen (die seit dem frühen Morgen trostlos unter einer Wärmelampe liegen, als müssten sie noch ausgebrütet werden), und sich prollig mit billigstem Prosecco die Kanne geben, würde mir auf der Stelle den Appetit verderben. Wenn ich denn morgens einen hätte. Ich esse abends. Oft sehr spät. Und nicht von einem Buffet. Wer mich als Freund oder Geliebten verlieren will, lädt mich zum Brunch ein.»
Warm halten? Bitte nicht!
Aber: Das gilt es etwas zu relativieren. Gerade erlebte ich auf einer längeren Asienreise einmal mehr Gastfreundschaft und eine Service-Kultur, die ihresgleichen sucht. Wenn ich mich da im Four Seasons, im Mandarin Oriental oder im Siam Hotel (alle in Bangkok) zum Frühstück niedersetze, muss ich auch dort irgendwann den Weg zum Buffet antreten, möchte ich von all den köstlichen Früchten und dem Obst, den frischen Backwaren und von verschiedensten ofenwarmen Broten kosten. Ein Heer von dienstbaren Geistern kümmert sich aber dermassen sorgfältig um die präsentierten Leckereien, dass es in jedem Augenblick, in der Regel bis 11 Uhr, aussieht, als wäre das Buffet erst gerade aufgebaut worden.
Der wichtigste Unterschied jedoch: Praktisch alles, was warm auf den Tisch kommen soll, wird aus einer grosszügig ausgestalteten Menukarte bestellt. Und eben nicht in diesen schrecklichen Warmhalte-Metallkisten auf Gasflammen an einem über die Stunden immer kümmerlicher werdenden Leben erhalten. Und das Bestellte wird auch an den Platz serviert. Auch bei uns erlebte ich schon ähnliches. Der Brunch im Dolder Grand gehört sicher zu den besseren. Oder – gerade kürzlich ausprobiert – das Cervo in Zermatt. Diese Namen verpflichten. Aber auch an diesen Orten steht das Buffet im Mittelpunkt; dazu kann aus einer umfangreichen Karte geordert werden.
Kochen unter falschem Namen
Mit Anthony Bourdain, dem grossen literarischen Koch-Berserker, leider 2018 verstorben, habe ich zwei Dinge gemeinsam. Auch er trank beim Kochen zu viel Wein. Und auch er hasste Brunch. Er sagte einmal: «Nichts gibt einem Koch mehr das Gefühl, ein Armeekoch oder Mel von Mel’s Diner zu sein, als Eier mit Speck und Eier Benedict für die Sonntagsbrunch-Gäste zuzubereiten.» Und für die üblichen Brunch-Menus fand er eine klare Kante und brachte es folgendermassen auf den Punkt: «Alte, eklige Wochen-Überbleibsel der Daily Specials, überbezahlt, und dazu zwei Eier mit einer Gratis-Bloody-Mary».
Sein niederschmetterndes Urteil über den Brunch fasste er in einem legendären Statement zusammen: «Ich hasste Brunch. Ganz gleich, wie sehr ich mein Leben vermasselte oder wie unvermittelbar ich war – ich konnte immer einen Job als Brunch-Koch bekommen, weil niemand Brunch machen will. Am Wochenende fand ich mich oft wieder in irgendwelchen Küchen, bereitete riesige Brunchs zu – meist bar bezahlt, oft unter falschem Namen. Für mich war der Geruch von brutzelnden Eiern, French Toast und Bratkartoffeln im Ofen immer der Geruch von Scham, Niederlage und Demütigung.»
Brunch? Ich will Frühstück!
Doch Brunch ist so populär wie nie, zu meinem totalen Unverständnis. Warum sollte ich an Wochenenden früh aufstehen und meinen Magen – der alles andere als knurrt, noch halb in der Nacht – mit nur halbwegs Gutem vollstopfen, wenn ich bis Mitternacht wach sein und Bestes essen kann? Mich durch herumwuselnde Kinderhorden an ein Buffet drängen und mir dort Dinge auf den Teller laden, die ich nie im Leben bestellen würde? Auch mit Champagner à discrétion fängt man mich nicht. Von mir aus können sie Dom Pérignon all you can drink hinstellen. Ich möchte keinen Alkohol trinken am Morgen.
Doch es gibt Lichtblicke. Mehr und mehr Wirte nehmen Abschied von der Buffet-Taktik. Denn übrig gebliebene Wochenspecials bleiben auch frisch aufgemotzt auf dem Buffet kleben wie die Konfitüre an meiner Hose, welche ein aufgeweckter Bub einmal mit seiner Brotscheibe verwechselte. Und die richtig leckeren Dinge sind immer zu schnell weggefuttert. Also wird das gesamte Angebot auf die Menukarte geschrieben und einzeln bestell- und zahlbar offeriert. Und was mich am meisten freut: Es wird an vielen Orten wieder als das bezeichnet, was es im Grunde immer war. Als Frühstück.
Richard Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch. Instagram @richifoodscout