In «Peiden» setzt der Bündner Schauspieler seine zwei zerstrittenen Identitäten in Szene. Regie führt Rafael Sanchez, der designierte Co-Intendant des Zürcher Schauspielhauses.
Der Mann selbst ist ein Stück. Und was für eines: Ein korpulentes Stück Leben. Eine Verkörperung von Schicksal und Trotz, gekleidet in ein kariertes Hemd und schlottrige, braune Hosen, geformt durch das Vermächtnis der Verwandtschaft ebenso wie durch die Kräfte der Natur.
Zu Beginn hat sich Bruno Cathomas vor dem Vorhang in Stellung gebracht, um sich aus ersten vorsichtigen Sätzen allmählich in einen rätoromanischen Redeschwall zu steigern. Der reissende Fluss der Vokale und Konsonanten, getaktet durch labiale Pointen und gutturale Synkopen, wird zur Lektion in Erdgeschichte: Kontinentalplatten wuchten ineinander, die Alpen werden aufgefaltet. Aus Lehm, Quarz und Granit entsteht ein Massiv, aus dem der Glenner-Bach das Val Lumnezia herauswäscht.
Der Star und sein Alter Ego
Am Glenner liegt das Dorf Peiden, das dem autofiktionalen Theaterabend, der am Samstag im Pfauen Premiere feierte, den Titel gegeben hat. Hier ist der 58-jährige Schauspieler Bruno Cathomas aufgewachsen. Als Jugendlicher absolvierte er eine Schlosserlehre; später studierte er an der Schauspielakademie Zürich, um Anfang der neunziger Jahre nach Berlin auszuwandern.
Weil sich Bruno Cathomas in «Peiden» selbst spielt, sollte das Theaterstück ohne grosse Identitätsprobleme über die Bühne gehen, möchte man meinen. Und täuscht sich gewaltig. Denn sobald der Vorhang aufgegangen ist, setzt sich im Esszimmer des ärmlichen Elternhauses – hohe, beige Holztäfelung, darüber hellblaue Tapeten (Bühne: Duri Bischof) – ein sesshafter Bruno Cathomas in Szene. Als Alter Ego des Bühnenstars ist er dem heimatlichen Dorf treu geblieben. Aber seine heile Schweizer Welt ist bedroht: Zwischen den Gesteinsmassen des Mundauns hat sich die Feuchtigkeit eingefressen wie ein Erdwurm; der Hang rutscht und wird Peiden irgendwann unter sich begraben.
In «Peiden» werden aus Bruno Cathomas zwei gegensätzliche Instanzen. Der Sesshafte erzählt aus dem Leben, ohne sein Scheitern und seine Misserfolge zu beschönigen. Das Übergewicht war seine Hypothek. Zu langsam für eine Flucht, wurde er als 12-Jähriger von jugendlichen Feinden an einen Baum gefesselt. Und weil sich Cathomas in Sportklubs nicht durchsetzen konnte, wechselte er zum Theaterverein. Die Schauspielerkarriere hat ihren Ursprung sozusagen im sportlichen Misserfolg; der Konflikt mit der eigenen Physis sollte später durch Rollenspiele überwunden werden.
Der erfolgreiche Schauspieler aber gibt ein ganz anderes Bild von sich. Wenn in Peiden das Fernsehen läuft, erscheint er am Bildschirm als allgegenwärtiger Medienstar. Man sieht ihn nicht nur in verschiedenen Rollen, sondern auch in Talkrunden, an denen er sein Leben manchmal etwas zu beschönigen pflegt.
«Peiden» lebt vom Kontrast zwischen dem heimatlichen und dem mondänen Cathomas. In den achtzig Minuten läuft das Stück zwar auf einen direkten Dialog der beiden sich ergänzenden Seelen hinaus, aber auf ein klärendes Finale und eine schlüssige Pointe wartet man zuletzt vergeblich.
Ein Hauch von Provinztheater
«Peiden» ist eine Produktion des Theaters Chur. Dass das Stück am Zürcher Schauspielhaus gezeigt wird, liegt vor allem an der Regie von Rafael Sanchez, der auf die Saison 2025/26 hin als Co-Intendant nach Zürich kommen wird. Das Gastspiel gibt nun einen Vorgeschmack auf seinen Stil. Der erste Eindruck ist positiv.
Sanchez hält sich diskret zurück, er setzt auf konventionelle Mittel wie Sprache, einfache Kulissen und einen charismatischen Schauspieler. Zuletzt bleibt auch ein leichter Gout von Provinz- und Volkstheater. «Peiden» wird vom sesshaften Cathomas dominiert. Man wünscht sich, Sanchez würde noch mehr von der mondänen Nonchalance des weltläufigen Cathomas nach Zürich bringen.