«Der Zauberberg» gilt als einer der grossen Romane des 20. Jahrhunderts. Die Schwedische Akademie allerdings konnte mit dem Buch nicht viel anfangen. Für nobelpreiswürdig hielt sie es nicht.
Im November 1924 erschien Thomas Manns Roman «Der Zauberberg». 1929 erhielt der Schriftsteller den Nobelpreis für die «Buddenbrooks» – ein Buch, das 1901 herausgekommen war. Selbst der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie Karlfeldt fand dies seltsam. Der 28 Jahre alte Roman werde nur deshalb ausgezeichnet, weil Manns jüngstes grösseres Buch, «Der Zauberberg», den Anspruch des Kandidaten auf den Nobelpreis nicht bekräftige, gab Karlfeldt zu Protokoll.
Literaturnobelpreise werden für Gesamtwerke verliehen. Die Akademie fokussiert sich nur dann auf ein einzelnes Werk, wenn sie das Schaffen des Laureaten für unausgewogen hält. Thomas Mann war pikiert. Als Affront empfand er auch Fredrik Bööks Laudatio, die den «Zauberberg» nur am Rande erwähnte. Die Akademie sei im Irrtum, schrieb er an André Gide: Seine «Stellung in der Welt» sei erst durch den «Zauberberg» geschaffen worden, «dessen rein narrative Eigenschaften (. . .) doch seinen analytischen so weit die Waage halten, um das Ganze als Komposition und Kunstwerk haltbar zu machen».
1924 war Mann von dem Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann zum ersten Mal für den Preis nominiert worden. Die Akademie beschloss damals, das Erscheinen des «Zauberbergs» abzuwarten. Dann liess sie sich vier Jahre Zeit. Erst 1928 nominierte Anders Österling, ihr jüngstes Mitglied, Mann ein zweites Mal. Eine schwedische Übersetzung des Romans lag erst im Dezember 1929 vor. Die Juroren mussten sich durch die tausend Seiten des deutschen Originals kämpfen.
Zu schwerfällig, zu weitschweifig
Im Spiel um Manns Nobelpreis fiel Fredrik Böök eine Schlüsselrolle zu. Er hatte eine Professur an der Universität Lund aufgegeben, um als Feuilletonchef in die Redaktion von «Svenska Dagbladet» einzutreten. 1912 hatte er Mann als einen der «genialsten Autoren der Gegenwart» gerühmt. Zum «Zauberberg» jedoch fand er keinen Zugang. Der Roman habe «grössere Ähnlichkeit mit einem anatomischen Präparat als mit einem Kunstwerk», befand er im Sommer 1928 in seinem Blatt. Er habe den Eindruck, dass Mann sich selbst parodiere.
Ein anderer Strippenzieher war der Dichter Per Hallström, der den Vorsitz des Nobelkomitees innehatte. Sein Gutachten für das Wahlgremium, die 18-köpfige Akademie, attestierte dem «Zauberberg» ästhetische Mängel: zu schwerfällig, zu weitschweifig. Detailgenauigkeit als Selbstzweck. Wer das Buch lese, werde selber lungenkrank. Den Nobelpreis verdiene der Roman nicht.
Die fünf Mitglieder des Komitees stimmten dem Verdikt zu. Zwei Mitglieder hielten jedoch Manns Frühwerk, insbesondere die «Buddenbrooks», für preiswürdig. Die Akademie nahm zur Kenntnis, dass sich ausser Hauptmann kein einziger nominationsberechtigter Deutscher je für Mann eingesetzt hatte, während mehr als vierhundert deutsche Professoren eine Kampagne für Arno Holz fuhren. Thomas Mann, der davon Wind bekam, verspottete die «Oberlehrer-Clique» in einem Brief an Hauptmann.
Geistige Verstörung
1929 war es dann aber doch so weit. Es war wiederum Österling, der Mann nominierte. Das von Hallström verfasste neue Gutachten erwähnt den «Zauberberg» mit keinem Wort. Es lobt die «Buddenbrooks» («nähert sich dem klassischen Realismus Tolstois») und frühe Erzählungen, preist die «Betrachtungen eines Unpolitischen» als «Abrechnung mit dem demokratischen Antipatriotismus» und den Essay «Friedrich und die grosse Koalition» als «hinreissend durch männliche und grosse Gedanken». Unerwähnt bleibt die Rede «Von deutscher Republik», Manns Bekenntnis zur Weimarer Demokratie.
Während «Der Zauberberg» als Dokument von Manns politischer Selbstrevision gelesen werden kann, hatten die beiden Deutschland-Experten der Akademie mit dem Epochenbruch von 1918 ihre liebe Not, wie Paulus Tiozzo kürzlich in einer vielbeachteten Göteborger Dissertation zeigte. Hallström, der im Ersten Weltkrieg leidenschaftlich die deutsche Position vertrat, fühlte sich durch die Unruhen nach dem Krieg in der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie bestärkt.
Er empfand die literarische Moderne, für die «Der Zauberberg» stand, als Resultat einer durch den Krieg verursachten geistigen Verstörung. Ganz ähnlich Böök, der Schnitzler für einen Pornografen, Freud für einen Wegbereiter der Perversion und Heinrich Mann für einen kranken Landesverräter hielt. Er wohnte der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz bei und pries das «reinigende Element» des Feuers.