Die Pläne des Bundesrats für höhere Steuern auf Kapital aus Pensionskasse und Säule 3a sorgen für rote Köpfe. Nun steht die Vernehmlassung an. Vorsorgespezialisten fordern ein Umdenken.
Die Nachricht schlug im vergangenen Oktober in der Vorsorgebranche ein wie eine Bombe: Der Bundesrat will Kapitalbezüge aus der beruflichen und privaten Vorsorge stärker besteuern. Auch Monate danach sorgt dies für Verunsicherung bei Sparern und Finanzberatern. Gutverdiener, aber auch der Mittelstand würden diese Änderungen empfindlich im Portemonnaie zu spüren bekommen.
Der Vorschlag ist Teil eines Pakets an Empfehlungen, die den Bundeshaushalt entlasten sollen. Erarbeitet hat es eine Expertenkommission des Bundesrats unter dem Vorsitz des ehemaligen Direktors der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard. Der Bund rechnet für die nächsten Jahre mit Defiziten von rund 3 Milliarden Franken pro Jahr. Es geht also darum, mehr Einnahmen zu generieren.
Nun kommt das Paket in die Vernehmlassung. Deren Start sei bis Ende Januar geplant, sagt ein Sprecher des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) auf Anfrage.
Viele Steuerpflichtige würden schlechtergestellt
Bis jetzt wird das ausbezahlte Kapital aus Pensionskasse oder Säule 3a zu einem privilegierten Tarif und separat vom übrigen Einkommen besteuert. Diese Steuervorteile will der Bundesrat abschaffen. Das Kapital bei der Pensionierung zu beziehen, soll steuerlich nicht mehr günstiger sein, als die Altersrente zu nehmen.
«In Kundengesprächen ist die Unsicherheit über mögliche neue Regelungen deutlich zu spüren», sagt Reto Spring, Präsident des Finanzplaner-Verbands Schweiz. Sparer machten sich Gedanken darüber, ob sich Einzahlungen in die Säule 3a beziehungsweise Pensionskasseneinkäufe in Zukunft noch lohnen, wenn die Regelung kommen sollte. Beim Sparverhalten hat Spring bei seinen Kunden aber noch keine Änderungen bemerkt. «Es gibt ein Grundvertrauen, dass diese Ideen so nicht umgesetzt werden», sagt er.
Viele Pensionäre wählen Kapital statt Rente
Der Vorschlag des Bundesrats trifft auf ein Umfeld, in dem sich immer mehr Versicherte beim Eintritt in die Pensionierung dafür entscheiden, ihre Pensionskassengelder als Kapital zu beziehen anstatt als lebenslange Rente. Im Jahr 2023 liessen sich Versicherte von ihren Pensionskassen Alterskapital im Volumen von 14,8 Milliarden Franken auszahlen, 2015 waren es hingegen erst 6,3 Milliarden Franken. Dies zeigen die provisorischen Werte der Pensionskassenstatistik des Bundesamts für Statistik (BfS).
Als einer der Gründe hierfür gelten die steuerlichen Vorteile des Kapitalbezugs gegenüber der Rente. Auch die gesunkenen Umwandlungssätze bei den Pensionskassen dürften dabei eine Rolle spielen, ebenso wie manche Fehlberatungen von Kunden.
In politisch linken Kreisen werde die Möglichkeit, mit der Auszahlung von grösseren Kapitalleistungen Steuern zu sparen, als «Steuerumgehung» interpretiert, sagt Spring. Dabei gehe allerdings vergessen, dass die Ersatzquote gerade bei Gutverdienenden mit Einkommen von 100 000 Franken brutto oder mehr pro Jahr in den vergangenen Jahren unter 50 Prozent gesunken sei, sagt Spring. Mit der Ersatzquote sind die Renten aus AHV und Pensionskasse nach der Pensionierung gemeint.
Ersatzquoten von unter 60 Prozent sind heikel. Aus der Schweizer Verfassung wird eine Ersatzquote in dieser Höhe abgeleitet. In ihr steht, die Renten aus der ersten und der zweiten Säule der Altersvorsorge sollten zusammengerechnet im Ruhestand ermöglichen, den gewohnten Lebensstandard fortzusetzen. «Wer die Ersatzquote wieder verbessern möchte, sollte also Anreize zum zusätzlichen Vorsorgesparen in der zweiten und dritten Säule fördern», sagt Spring.
Einmalige und einheitliche Besteuerung des PK-Kapitals
Aus seiner Sicht hat sich bei der Besteuerung von Vorsorgegeldern mit den zunehmenden Kapitalbezügen bei Pensionskassengeldern und dem Gaillard-Bericht ein «gordischer Knoten» gebildet. Zusammen mit Reto Leibundgut von dem Beratungsunternehmen C-alm hat Spring einen Vorschlag entwickelt, um diesen Knoten zu lösen. Der Vorschlag sieht folgende Punkte vor:
- Die Besteuerung der Säule 3a solle beibehalten beziehungsweise ausgebaut werden.
- Für den Bezug von Pensionskassengeldern fordern die beiden Experten einen Systemwechsel. Beim Eintritt in den Ruhestand solle das angesparte Kapital einmalig und einheitlich besteuert werden. Als Diskussionsgrundlage wäre hier ein Steuersatz von 10 Prozent denkbar, sagt Spring. Es könne aber auch etwas mehr oder weniger sein.
- Heute gibt es grosse Unterschiede bei der steuerlichen Belastung je nach Kanton und der Höhe des ausbezahlten Betrags. Die Experten schätzen die Bandbreite der gesamten Steuerbelastung bei Kapitalbezügen aus der Pensionskasse auf zwischen 4 und 12 Prozent.
- Die von Spring und Leibundgut vorgeschlagene Steuer unterläge keiner Progression, sie wäre unabhängig von Pensionskasse und steuerlicher Ansässigkeit ausgestaltet und könnte direkt von der Vorsorgeeinrichtung erhoben und abgeführt werden.
- Der Restbetrag wäre dann steuerfrei – egal, ob er als Kapital, als Rente oder als Mix bezogen würde. Denkbar wäre laut den Experten auch, das System auf Auswanderer auszuweiten. Viele AHV-Rentner leben im Ausland.
- Die Vorteile ihres Vorschlags sehen Spring und Leibundgut darin, dass alle Versicherten gleich lange Spiesse hätten. Aus ihrer Sicht gäbe es dann keine «Schlupflöcher» für Topverdiener. Sie schätzen, dass 95 Prozent der Rentner mit dieser Lösung eine Vereinfachung hätten.
- Zudem würde auch Fehlberatungen ein Riegel vorgeschoben. «Die Frage ‹Rente oder Kapital› könnte neutral und auf Kundenbedürfnisse abgestellt beantwortet werden», teilen sie mit. «Die BVG-Rente wäre steuerfrei, dadurch würde im Rentenalter die Steuerbelastung für alle sinken.»
- Offen ist noch, wie mit bestehenden Rentnern verfahren werden soll: «Der Logik und Einfachheit halber könnte ihr verbliebenes BVG-Kapital per Stichtag X der gleichen Steuer unterliegen, und infolgedessen könnten künftige Renten steuerfrei bleiben.»
Als einen der Nachteile des Vorschlags sehen Spring und Leibundgut, dass die Umstellung auch dazu führen könnte, dass Betroffene noch die Vorteile nach dem alten Regime ausnutzen wollen. Auch würden Tiefsteuerkantone künftig weniger stark profitieren. In einer Gesamtkostenrechnung müsste zudem eruiert werden, wie stark sich durch eine Umsetzung des Vorschlags das Steuersubstrat langfristig verändern würde.
«Pseudoberater könnten Sturm laufen»
Die beiden Experten rechnen auch mit Widerstand gegen ihren Vorschlag. «Gewisse Vertreter der Finanzbranche und Pseudo-Pensionsberater könnten Sturm laufen, da es ihr Geschäftsmodell infrage stellt», sagt Spring. Dieses beruhe darauf, den Kunden die Steuervorteile des Kapitalbezugs gegenüber der Rente schmackhaft zu machen, auch wenn die Kunden mit der Rente besser beraten wären – und die ausbezahlten Kapitalleistungen dann anschliessend gegen gutes Geld zu verwalten.
Unterstützung erhalten Spring und Leibundgut von dem Vorsorgespezialisten Werner C. Hug. «Die Überlegung, das Kapital gleich zu besteuern wie die Rente, ist richtig», sagt er. Aufgrund der steuerlichen Vorteile des Kapitalbezugs gegenüber der Rente komme es in der Beratungsbranche mitunter zu Fehlentscheidungen. Hug ist der Ansicht, dass die Bundesverfassung verletzt wird, wenn das in der Pensionskasse im Rahmen des Obligatoriums angesparte Kapital anstatt die Rente bezogen wird. Konsequenterweise müsse dieses Kapital in der Vorsorgeeinrichtung verbleiben.
Das BVG-Obligatorium als Zwangssparen ist für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gültig, die in der ersten Säule des Altersvorsorgesystems versichert sind und mindestens 22 680 Franken pro Jahr verdienen, und soll eine «angemessene» Rente garantieren. Die obere Limite des Jahreslohns im Obligatorium liegt seit diesem Jahr bei 90 720 Franken.
Die meisten Pensionskassen gewähren ihren Versicherten Leistungen über dieses Obligatorium hinaus. Dabei handelt es sich um die überobligatorische Vorsorge. «Hier sollte es keine Unterschiede bei der steuerlichen Behandlung von Kapitalbezug und Rente geben», sagt Hug.
Rente könnte wieder attraktiver werden
Eine Umsetzung des Vorschlags von Spring und Leibundgut könnte dazu führen, dass es für Versicherte wieder attraktiver wird, bei der Pensionierung die lebenslange Rente anstatt des Kapitals zu wählen. Zweifellos ist es im Interesse von privaten Haushalten, den Lebensunterhalt über lebenslang ausgezahlte Renten zu sichern – gerade auch im höheren Alter wird es schliesslich immer schwieriger, Kapital selbst zu verwalten.
«Zudem ist es volkswirtschaftlich vorteilhaft, keine falschen Anreize zu schaffen, das Vermögen vorzeitig zu verbrauchen und später dem Sozialstaat zur Last zu fallen», sagt Spring.
Weil die Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung seit Jahrzehnten zunimmt, dürfe auch nicht verschwiegen werden, dass viele Pensionskassen und grosse Versicherungen nicht unglücklich über Kapitalbezüge von Versicherten seien, sagt Spring. Sie wollten das «Langlebigkeitsrisiko» nicht mehr in der Bilanz stehen haben. Fest steht aber, dass die Übernahme dieses Risikos zu den ureigenen Aufgaben einer Vorsorgeeinrichtung gehört.