Kein Skigebiet vereint Luxus und Natur so harmonisch wie Aspen in den Rocky Mountains. Das liegt mitunter am Schweizer André Roche.
Die Luft scheint klarer, die Sonne gleissender, die Stille lauter, der stahlblaue Himmel unendlich weiter als anderswo: Vor der ersten Abfahrt steht stilles Staunen. In den höchsten Höhen der Rocky Mountains ist die Atemluft für Neuankömmlinge ohnehin knapp und kostbar. Doch angesichts des wild-schönen Panoramas – hier der Castle Peak, dort der Hayden Peak, beide weit über 4000 Meter hoch, dick mit Schnee bedeckt – fehlen ohnehin die Worte.
Die Silver Queen Gondola gleitet auf dem Aspen Mountain vorbei an Wäldchen aus Engelmann-Fichten und Felsengebirgstannen, die der Neuschnee der Nacht bedeckt hat. Um das Winterglück auszukosten, wird man sich gleich fallen lassen und tausend Höhenmeter den Hang hinuntersausen, Linien ziehend und Kurven schwingend, immer wieder eintauchend ins blendend aufstäubende Weiss. Als «champagne powder» werden jene besonders fluffigen, trockenen Flocken gerühmt, die in den Rocky Mountains vom Himmel rieseln. Vergleichbare Bedingungen gibt es anderswo nicht: Aspen hat einen Ruf wie Donnerhall.
4 Skiberge, 42 Lifte, an denen man selbst am Wochenende kaum anstehen muss, 360 perfekt präparierte Pisten und 5 Terrainparks locken Enthusiasten aus aller Welt an. Anfänger schätzen den Skiberg Buttermilk, Erfahrene erkunden das komplett über 3000 Meter hoch gelegene Hero’s-Areal. Wer es sich zutraut, darf in Colorado auch abseits der Piste beim Tree-Skiing durch verschneite Espenwälder brettern. Dazu kommen grosse Publikums-Events wie die X-Games und The Snow League, bei denen sich nicht nur professionelle Snowboarder und Freeskier messen, sondern auch Athleten mit Schneemobilen Salti schlagen.
«Living the high life»: Ein gut gefülltes Konto hilft, um Winterferien in Aspen zu geniessen. Daher wird es am Aspen Airport zu Beginn der Skisaison eng mit Parkplätzen – für die Privatjets auf dem Vorfeld. Nicht nur beim Shoppen in den Edelboutiquen glüht die Kreditkarte: Im Beverly Hills der Berge verlangt das Fünf-Sterne-Resort «The Little Nell» 2500 Dollar fürs Zimmer pro Nacht, das Frühstück kostet extra. Nirgendwo in Amerika köpft man mehr Flaschen Veuve Clicquot als beim Après-Ski in der Bar «Cloud Nine». Statt nur Ferien zu machen, wollen die Gäste auch Eigentum erwerben. Das Minenstädtchen mit seinen historischen Backsteinbauten ist zu einer der teuersten Gemeinden des Landes avanciert: Häuschen kosten im Schnitt 13 Millionen Dollar. Da ist die jährliche Gebühr für den Aspen Mountain Club mit 350 000 Dollar quasi ein Schnäppchen.
Das Engadin diente als Vorbild
Wer verstehen will, wie Aspen zum mondänsten Wintersportort der USA wurde, kann im urigen Wheeler-Stallard-Museum die Ausstellung besichtigen oder ins Archiv der Aspen Historical Society hinabsteigen. Feuerfeste Panzerschränke schützen hier vergilbte Zeitungsartikel, die von Aufstieg und Niedergang der Stadt erzählen. Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Aspen noch 12 000 Menschen. 1935 blieben nach dem Ende des Silberbooms nur wenige hundert: Das Opernhaus war verrammelt, die Theater geschlossen, die Bars im Rotlichtviertel verwaist, das legendäre Hotel «Jerome» nur noch eine Absteige. Doch dann hatten ein paar weitgereiste Geschäftsleute die Vision, die Kontakte und das Geld, hier ein Skiresort nach europäischem Vorbild zu schaffen. Dazu holten sie Entwicklungshelfer aus den Alpen. Einer prägte Aspens Geschichte besonders: der Schweizer Skipionier André Roch.
Um in die Vergangenheit zu reisen und jenen Ort in Augenschein zu nehmen, an dem vor knapp neunzig Jahren alles begann, sind Schneeschuhe im Castle Creek Valley abseits der Strasse nützlich. Wer die nicht hat, versinkt nach ein paar Schritten bis zur Hüfte im Weiss. Die Abzweigung ist unbeschildert, weil gewisse Kreise die Ruhe hüten wie einen Schatz. Doch unter der Bedingung, dass ihr Name nicht genannt wird und man nicht neugierig ins Wohnzimmer späht, haben die heutigen Eigentümer einen Gang über das Grundstück eines der exklusivsten Anwesen Aspens gestattet.
Die Highland Bavarian Lodge, an Weihnachten 1936 eröffnet und heute in Privatbesitz, war Aspens erste Unterkunft nur für Skifahrer. Die auf Schwarz-Weiss-Fotos erkennbaren Lüftlmalereien sind verschwunden, keine Fahne mit Filzhut flattert mehr im Wind. Doch das Gebäude selbst hat sich kaum verändert. Weisse Sprossenfenster zieren die Blockhausfassade, durch eine grosse Glasfläche fällt Morgenlicht in die Lounge, in der man sich einst am grossen Kaminofen wärmte. Für sieben Dollar pro Tag gab es einst ein Stockbett und die Alpenküche des Österreichers Franz Keller. Vor allem aber Skitouren über jungfräuliches Terrain, geführt von einem echten Experten.
André Roch, geboren in Genf, gefeiert für Erstbesteigungen in den Alpen und als europäischer Champion im Abfahrtsski und Slalom, war nach seinem Studium zusammen mit dem Südtiroler Alpinisten Gunther Langes nach Aspen eingeladen worden. Der Bobfahrer Billy Fiske, Gewinner der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in St. Moritz von 1928, hatte sich mit dem Investor Ted Ryan sowie lokalen Akteuren zusammengetan, um im Castle Creek Valley unweit der Geisterstadt Ashcroft ein Skigebiet zu entwickeln, das es mit dem Engadin aufnehmen sollte. «Hier kann man genauso gut stürzen wie auf einer der europäischen Pisten», witzelte ein Kolumnist des «New Yorker» in der Broschüre «How to Aspen». Das Terrain, vor allem aber der Schnee, machte den Unterschied: «Besser als in den Alpen oder jedem anderen Ski-Areal, das ich gesehen habe», notierte André Roch, «wegen des Pulverschnees, der bis in den Juni bleibt.»
Hätten die Japaner im Zweiten Weltkrieg nicht Pearl Harbor angegriffen, wären die von André Roch geplanten Lifte und das alpine Bergdorf am Fuss des Hayden Peak vermutlich tatsächlich gebaut worden. Doch der Stahl wurde fürs Militär gebraucht, und man verlagerte den Skibetrieb zum Aspen Mountain, der sich direkt neben der Stadt erhebt. Dort liess André Roch eine halsbrecherische Piste anlegen, die aussieht wie ein Korkenzieher. Man musste schon ziemlich verrückt sein, um am 1937 erstmals ausgetragenen «Roch Run» teilzunehmen: Der Zickzackkurs zwischen den Bäumen war so schmal, dass man mit Glück nur mit den Stöcken die Bäume touchierte und mit Pech in ihnen landete.
Der Geldadel traf sich mit den Sternchen
Doch André Roch rief, und wer in der Branche Rang und Namen hatte (oder hier auf die Verwirklichung seines American Dream hoffte), kam nach Aspen. Zuerst Otto Schniebs aus Esslingen, in den 1930er Jahren Amerikas berühmtester Skilehrer. Dann Friedl Pfeifer aus St. Anton, der in Colorado die Soldaten der 10th Mountain Division für den Einsatz in den Alpen trainierte. Schliesslich Klaus Obermeyer aus Oberstaufen: Der Mann ist heute 105 und erzählt putzmunter, wie er dem Schauspieler Gary Cooper einst eine aus einer Bettdecke geschneiderte Daunenjacke verkaufte, damit dieser auf dem Sessellift nicht fror.
Statt Pionieren trifft in Aspen heute der amerikanische Geldadel auf Stars und Sternchen. Schon in den 1950er Jahren hatte Hollywood das Skifahren in Aspen für sich entdeckt, später lockte Aspens cooles Hippie-Flair auch die Normalos an. Roch war da längst weitergezogen. Vor seinem Abschied gründete er jedoch einen Skiklub, um die Einheimischen mit kostenlosen Skistunden für den Wintersport zu begeistern. In «The world’s best ski town», wie es heute amerikanisch-unbescheiden heisst, musste man das damals erst noch lernen.
«André hatte ein einnehmendes Wesen: Jeder mochte den Kerl sofort», erzählt Tim Willoughby. Seine Eltern nahmen den Schweizer bei sich zu Hause auf, als er in Aspen arbeitete. Die Bilder mit den Bergpanoramen, die er ihnen als Dank malte, sind leider verloren. Doch er hielt jahrelang per Brief Kontakt mit den Freunden in Amerika, sogar aus höchster Höhe. Im Himalaja erlangte Roch internationalen Ruhm, weil er mit dem Sherpa Tenzing bis auf 200 Meter an den Gipfel des Mount Everest herankam und so dem Briten Edmund Hillary den Weg ebnete. Später leitete er gut dreissig Jahre lang das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos.
Auch der Gastronom Niklaus Kuhn erinnert sich an den Skipionier André Roch, den er in seinem Restaurant bewirtete. «Ein sympathischer Mann, ganz bescheiden, obwohl er Aspens Erfolg massgeblich mitgestaltete.» Heute gilt Niklaus Kuhn selbst als prominentester Schweizer mit Wohnsitz in Aspen. Geboren in Rapperswil, wanderte er mit 20 in die USA aus und führte fast zwei Jahrzehnte lang das «Cliffhouse Restaurant» auf dem Gipfel des Buttermilk Mountain. Noch heute schwärmen die Leute von Apfelstrudel, Bratwurst, Erbsensuppe und Kartoffelsalat. Inzwischen kochen Aspens Restaurants so international wie die zahlungskräftige Klientel: «Mawa’s Kitchen» serviert afro-mediterrane Küche, im «Matsuhisa» gibt es Sushi und Wagyu-Rind, und im Bosq stehen Tasting-Menus mit fünf oder zehn Gängen zur Auswahl, unter anderem Pfifferling-Quinoa-Cracker und Bisontartar. Seit die Aspen Skiing Company die Gastronomie auf den Bergen selbst betreibt, wird im «Cliffhouse» statt traditioneller Alpenküche übrigens ein Banh-Mi-Burger angepriesen – teure amerikanische Hipsterkost.
Niklaus Kuhn: 1614 Mal hat er den Highland Peak erklommen – und selbst im Alter von 85 Jahren fährt er noch regelmässig Ski.
Niklaus Kuhn lässt das kalt. Jedes Jahr arbeitet er noch einige Wochen als Skilehrer einer mexikanischen Milliardärsfamilie. Privat fährt er nur in Aspen Highlands Ski, wo die Abfahrt durch die Highland Bowl steiler sein kann als die legendäre Streif in Kitzbühel. Als 65-Jähriger ist er das erste Mal die mehr als 200 Höhenmeter von der Bergstation des Lifts auf den Gipfel des Highland Peak hinaufmarschiert, auch zum 82. Geburtstag im April war er wieder dort oben auf 3777 Metern, insgesamt schon 1614 Mal.
In Aspen lieben sie ihn für seine Ausdauer und für seinen Humor: An den Ski ist ein Schild befestigt, auf dem es heisst, dass man ihn als über 80-Jährigen gerne überholen dürfe (was aber kaum jemand schafft). Doch Niklaus Kuhn nimmt die Strapazen nicht auf sich, weil er anderen etwas beweisen muss. Sondern weil für ihn Aspen dort oben am schönsten ist: «Hier bin ich dem Himmel so nahe wie nirgendwo sonst.»
Diese Reportage wurde möglich durch die Unterstützung von Aspen Snowmass, Faszination Ski und United Airlines.