Eigentlich sollte ein Übergangsrat die seit Jahren überfälligen Wahlen organisieren. Doch interne Machtkämpfe legen ihn lahm. Auch die zugesagte internationale Polizeitruppe ist noch nicht vollständig aktiv.
Beim Landeanflug auf den internationalen Flughafen der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist am Montag ein Flugzeug der amerikanischen Fluggesellschaft Spirit Airlines von mehreren Kugeln getroffen worden. Der Pilot steuerte die Maschine daraufhin in die benachbarte Dominikanische Republik, wo sie sicher landen konnte. In den Medien veröffentlichte Bilder zeigen mehrere Einschusslöcher in der Passagierkabine. Wie durch ein Wunder wurde nur eine Flugbegleiterin durch einen Streifschuss verletzt. Am Montagabend kündigten mehrere Fluggesellschaften an, ihre Flüge nach Haiti vorerst einzustellen.
Die Schüsse auf das Flugzeug sollen von einer kriminellen Bande abgefeuert worden sein. Bereits Anfang des Jahres musste der Flughafen der Hauptstadt wegen Kämpfen zwischen Kriminellen und der haitianischen Polizei für drei Monate geschlossen werden. Derzeit wird Port-au-Prince von einer neuen Welle der Gewalt erschüttert, nachdem der erst seit fünf Monaten amtierende Premierminister Garry Conille am Sonntag vom Übergangsrat abgesetzt wurde. Zu seinem Nachfolger ernannte der Rat noch am Sonntag den Geschäftsmann Alix Didier Fils-Aimé.
Seit Jahren politisches Chaos
Die Absetzung des Premierministers, der einst das Lateinamerika-Büro des Uno-Kinderhilfswerks Unicef leitete, ist ein weiteres Kapitel im schier unaufhaltsamen Niedergang des Karibikstaates. Haiti gilt als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre und wird immer wieder von Naturkatastrophen wie Stürmen und Erdbeben heimgesucht. Zudem gilt das politische Establishment als hochgradig korrupt. Die letzten regulären Wahlen fanden 2016 statt, der damals gewählte Präsident Jovenel Moïse wurde jedoch Mitte 2021 unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen ermordet.
Seitdem hat die Gewalt krimineller Banden zugenommen, die weite Teile der Hauptstadt sowie ländliche Gebiete vor allem im Süden kontrollieren. Lebensmittel und Benzin sind oft nur zu überhöhten Preisen auf dem von den Banden kontrollierten Schwarzmarkt erhältlich. In Teilen des Landes herrscht Hunger. Premierminister Ariel Henry, der nach der Ermordung von Moïse die Amtsgeschäfte übernommen hatte, war es nicht gelungen, die Lage zu stabilisieren.
Auf internationalen Druck – vor allem der USA – hatte der im Volk unbeliebte Henry im März seine Macht an den neu geschaffenen Übergangsrat abgegeben. Dieser soll die Voraussetzungen für die seit Jahren überfälligen Wahlen schaffen. Angesichts der katastrophalen Versorgungslage und der ausufernden Gewalt ist jedoch unklar, wann und wie diese stattfinden können. Viele Haitianer halten den Übergangsrat zudem für eine von den USA eingesetzte Marionettenregierung und sprechen ihm die Legitimität ab.
Interne Machtkämpfe im Übergangsrat
Der Entlassung Conilles waren wochenlange Machtkämpfe im neunköpfigen Übergangsrat vorausgegangen. Während Conille als Premierminister an der Spitze der Regierung stand, rotierten die Ratsmitglieder im Amt des Staatspräsidenten. Immer wieder gab es Streit darüber, wer von beiden Haiti auf der internationalen Bühne vertreten darf. Und während die Ratsmitglieder von Conille die Entlassung mehrerer Minister forderten, versuchte dieser, drei Ratsmitglieder wegen angeblicher Korruption abzusetzen. Am Freitag beschloss der Rat schliesslich, Conille zu entlassen.
Dies heizte die Kämpfe zwischen verfeindeten Banden und mit der haitianischen Polizei weiter an. Zwischen Januar und September dieses Jahres sollen bereits fast 5000 Menschen bei den Unruhen ums Leben gekommen sein, 700 000 der insgesamt rund 11 Millionen Einwohner haben aus Angst vor der Gewalt ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Vor allem in der Hauptstadt Port-au-Prince kommt es immer wieder zu Entführungen mit Lösegelderpressungen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch appellierte Ende September an die internationale Gemeinschaft, Mittel zur Verbesserung der humanitären Lage zur Verfügung zu stellen. Zudem brauche Haiti Hilfe beim Wiederaufbau staatlicher Institutionen wie der Justiz.
Polizeitruppe aus Kenya
Auch die Ankunft einer Polizeitruppe aus Kenya hat die Sicherheitslage nicht verbessert. Ursprünglich hatte das afrikanische Land die Entsendung von 1000 Polizisten zugesagt. Andere Länder sagten weitere 1900 Polizisten zu. Doch bis anhin sind nur 400 kenyanische Polizisten eingetroffen. Kenyas Präsident William Ruto hat die Entsendung weiterer 600 Polizisten für diesen November in Aussicht gestellt.
Allerdings forderte Ruto von der internationalen Gemeinschaft zusätzliche Mittel für die von den Vereinten Nationen autorisierte, aber nicht aus dem Uno-Haushalt finanzierte Multinational Security Support Mission. Bis Oktober 2025 werden 600 Millionen Dollar für den Polizeieinsatz benötigt. Bisher sind nur 85 Millionen Dollar durch Spenden zusammengekommen. Zudem unterstützen die USA die Mission mit rund 370 Millionen Dollar.
Die Effektivität der kenyanischen Polizisten ist umstritten. Während sie sich in den Medien gerne auf Patrouille in Port-au-Prince zeigen, machen sich Haitianer in sozialen Netzwerken über die angeblich ängstlichen Polizisten lustig. Diese würden sich nur in ihren gepanzerten Fahrzeugen durch die Stadt bewegen, aber die haitianische Polizei im Kampf gegen die Banden nicht unterstützen. Haitis Polizei gilt im Vergleich zu den kriminellen Banden als schlecht ausgerüstet. Über eine schlagkräftige Armee verfügt der Karibikstaat nicht.