Peking reagiert verärgert auf die Rede des taiwanischen Präsidenten Lai Ching-te zum Nationalfeiertag. Seit dem frühen Morgen hat China ein Grossmanöver rund um die Insel gestartet.
China hat am frühen Montagmorgen ein Grossmanöver rund um die Insel Taiwan gestartet. Das östliche Regionalkommando der chinesischen Volksbefreiungsarmee teilte mit, dass seine Truppen des Heeres, der Marine, der Luftwaffe und der Raketenstreitkräfte die Übung «Joint Sword 2024B» in der Taiwanstrasse sowie nördlich, südlich und östlich von Taiwan begonnen hätten.
Obwohl das Manöver erst bei Beginn am Montagmorgen um fünf Uhr Ortszeit bekanntgegeben wurde, war es erwartet worden. Am vergangenen Donnerstag hatte die Republik China, wie Taiwan offiziell heisst, ihren Nationalfeiertag begangen. In seiner Rede sagte Präsident Lai Ching-te: «Die Republik China und die Volksrepublik China sind einander nicht untergeordnet. In diesem Land wachsen und gedeihen Demokratie und Freiheit. Die Volksrepublik China hat kein Recht, Taiwan zu vertreten.»
China spricht von Abschreckung separatistischer Aktivitäten
Aus taiwanischer Sicht war dies nichts Neues, im Vergleich zu seiner Rede bei der Amtseinsetzung im Mai kritisierte Lai Peking weniger scharf. In den Augen der kommunistischen Führung auf dem Festland, für die Lai nichts anderes als ein Separatist ist, war dies aber eine Bestätigung, dass Taiwans Präsident für die Unabhängigkeit der Insel eintritt.
Das zeigt sich in der Begründung für das Manöver. Es sei eine wirksame Abschreckung gegen separatistische Aktivitäten von «Elementen der Unabhängigkeit Taiwans», teilte ein Sprecher der Volksbefreiungsarmee laut der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua mit. Es handle sich um eine legitime und notwendige Massnahme zum Schutz der Souveränität Chinas und der nationalen Einheit.
Bereits im Mai hatte Peking mit einem Grossmanöver auf die Rede von Lai reagiert. Die Übungsgebiete sind zwar nicht identisch, doch erneut liegen sie rund um die Hauptinsel Taiwan, jeweils vor grossen Häfen und Militärbasen. Drei kleinere Übungsgebiete sind um kleine Inseln gezogen, die wenige Kilometer vor dem chinesischen Festland liegen, aber von Taiwan kontrolliert werden.
Mit den Übungsgebieten um die Hauptinsel versucht die Volksbefreiungsarmee zu signalisieren, dass sie Taiwan von der Aussenwelt abschneiden könnte. Diesmal nehmen auch zahlreiche Schiffe der Küstenwache teil, die in vier Gruppen Taiwan umrundeten, wie chinesische Staatsmedien berichteten.
Mit einer Quarantäne könnte China Taiwans Wirtschaft treffen
Dies könnte ein Hinweis auf ein Szenario sein, das Experten des Center for Strategic and International Studies (CSIS) gedanklich im Detail durchgespielt haben: eine Quarantäne.
Anstelle einer militärischen Blockade, die als kriegerischer Akt gilt, könnte Peking Vorschriften für Schiffe erlassen, die taiwanische Häfen anlaufen wollen. Das Ziel der Quarantäne wäre, Taiwan wirtschaftlich unter Druck zu setzen. Zusätzlich könnte China so zeigen, dass es eine De-facto-Kontrolle über die Insel habe, schreiben die CSIS-Experten.
Beauftragt mit der Durchsetzung der Quarantäne würde die chinesische Küstenwache – die grösste und am stärksten bewaffnete der Welt. Die Kontrollen fänden vor allem vor dem Hafen von Kaohsiung statt, wo über die Hälfte von Taiwans Handel auf dem Seeweg abgefertigt wird. Die Kontrollen würden zu Verzögerungen im Seehandel führen. Lieferzeiten verlängerten sich, Kosten stiegen.
Ob die chinesische Küstenwache genau dieses Szenario übt, ist noch nicht klar. Doch sie will offenbar zeigen, dass sie fähig ist, rund um Taiwan zu operieren.
Wie unterscheidet Taiwan zwischen Übung und Angriff?
Mit den Grossmanövern hält China die taiwanischen Streitkräfte auf Trab. Dank ihrer numerischen Übermacht kann die chinesische Seite Einheiten und Personal rotieren, die taiwanischen Streitkräfte und Küstenwachen zeigen hingegen Abnützungserscheinungen.
«China ist jederzeit fähig, eine Blockade Taiwans aufzubauen», sagte der Chef der taiwanischen Marine, Admiral Tang Hua, in einem Interview mit dem britischen Nachrichtenmagazin «The Economist». China verfolge eine Anaconda-Taktik der langsamen Erdrosselung Taiwans.
Chinas ständige militärische Aktivitäten um Taiwan machten es schwieriger, Anzeichen eines Angriffs zu entdecken, sagte Taiwans Verteidigungsminister Wellington Koo im September in einem Interview mit der «Financial Times»: «Der Umfang der militärischen Aktivitäten wird immer grösser, und so ist es schwieriger, zu erkennen, wenn sie von einer Übung zu einem Krieg übergehen.»
Das neuste Grossmanöver um Taiwan ist ein weiterer Schritt in dieser Strategie Chinas.