Für Xi Jinping hat die Nahrungsmittelsicherheit der Bevölkerung oberste Priorität. Doch Chinas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten wächst – ein Risiko im Fall eines militärischen Konflikts.
Wenn Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping in Katastrophengebiete reist, dann inspiziert er zuerst die Felder. In blütenweissem Hemd, Anzughosen und Lederschuhen steht er im Staub und fragt die Bauern nach dem Ausmass des Schadens an den Nutzpflanzen, erkundigt sich nach dem Wiederaufbau, spricht ein paar ermunternde Worte. Landwirtschaft, hat Xi anlässlich des Ukraine-Konflikts und der daraus entstehenden Getreideknappheit gesagt, sei ein «nationales Sicherheitsproblem von extremer Wichtigkeit». Die Chinesen, findet Xi, sollten «ihre Reisschüssel fest in den eigenen Händen halten».
Chinas Landwirtschaftssektor leidet unter dem Klimawandel
Doch Hochwasser, Dürren und Taifune werden in China wegen des Klimawandels immer heftiger – und sie bedrohen die Reisschüssel der Chinesen. Im Frühling ist das besonders spürbar. Diese Woche sind die südlichen Provinzen Guangdong und Jiangxi von den schwersten Überschwemmungen seit 50 Jahren betroffen, wie lokale Behörden warnend erklärten. In der Provinz Jiangxi allein ruinierte der sintflutartige Regen 1500 Hektaren Anbauflächen, ein Schaden von knapp 6 Millionen Dollar. Xi Jinping ist noch nicht hingereist. Das macht er oft erst, wenn die Katastrophe vorbei ist und der Wiederaufbau begonnen hat.
China hat 1,4 Milliarden Einwohner und muss damit ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren – mit weniger als zehn Prozent der weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche. Das wird immer schwieriger. Nebst den zunehmenden Naturkatastrophen bedrohen auch Wasser- und Bodenverschmutzung, Bodenerosion und Wüstenbildung die Erträge. Das Wasser wird knapper.
Ein Grund dafür ist die Anbaustrategie: Der Norden pflanzt Getreide an wie Weizen, der Süden Reis. Das entspricht den Ernährungsgewohnheiten der Chinesen. Die Nordchinesen mögen gedämpfte Brötchen und Nudeln lieber als Reis. Das Problem ist, dass es im Norden selten regnet und für die Bewässerung der Felder das Grundwasser angezapft werden muss. Der Grundwasserspiegel sinkt stetig.
Die Landwirtschaft ist zudem noch ungleich weit entwickelt in den verschiedenen Teilen Chinas. Hocheffiziente Grossbetriebe, wie sie die USA oder Kanada kennen, werden zwar staatlich gefördert, doch familiär geführte Kleinbetriebe dominieren noch immer.
Ein Drittel der Nahrungsmittel stammen aus dem Ausland
China kann sich nicht selbst ernähren. Von diesem ursprünglichen Ziel ist China immer weiter weg gerückt. Während im Jahr 2000 noch über 90 Prozent der Nahrungsmittel aus heimischer Produktion stammten, sind dies heute lediglich 65 Prozent. Dies sagt der Landwirtschaftsökonom Cheng Guoqiang von der Renmin-Universität, der die Regierung in Fragen der Nahrungsmittelsicherheit berät. China muss also ein Drittel der Nahrungsmittel importieren, um den Bedarf zu decken. Cheng schätzt, dass bis 2030 der Anteil importierter Lebensmittel weiter wachsen werde und der Selbstversorgungsgrad auf unter 60 Prozent sinke. In der Schweiz liegt der Wert bereits seit 2015 unter 60 Prozent.
Chinas sinkender Selbstversorgungsgrad hängt mit den veränderten Konsumgewohnheiten der Chinesen zusammen. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist eine Mittelklasse entstanden, die gerne und oft Fleisch isst. Chinesen essen vor allem Schweinefleisch. Früher schlachteten Familien einmal pro Jahr ein Schwein, zum chinesischen Neujahr. Heute ist Schweinefleisch fast täglich auf dem Speiseplan, wenn auch in kleinen Mengen.
Die grössten Schweinebauern Chinas gehören deshalb zu den reichsten Unternehmern. Es gibt Betriebe, die Hochhäuser mit über 25 Stockwerken voller Sauen führen. Pro Jahr schlachten solche Betriebe über eine Million der Tiere. Um diese vielen Schweine zu füttern, importiert China Riesenmengen an Mais und Soja aus den USA und Brasilien. China importiert aber auch Schweinefleisch und Rindfleisch.
Die wachsende Abhängigkeit von ausländischen Nahrungsmittelimporten ist ein Sicherheitsrisiko für Peking. China bekommt Preisschwankungen aufgrund von Knappheiten oder Krisen auf dem Weltmarkt zu spüren, macht sich aber auch verletzlich für Handelsembargos, Blockaden oder Sanktionen im Falle eines militärischen Konflikts – zum Beispiel um Taiwan, was vermutlich westliche Sanktionen zur Folge hätte. Dann wären Chinesinnen und Chinesen mitunter gezwungen, ihre Ernährungsgewohnheiten drastisch anzupassen.
Chinas staatliche Vorräte reichen für knapp zwei Jahre
Damit ist nicht zu spassen. Erhöhte Preise oder Nahrungsmittelknappheit sorgen in China rasch für Unmut und Protest, was die Regierung fürchtet. Das hat sich beispielsweise während des wochenlangen Covid-Lockdowns in Schanghai gezeigt, als die staatliche Nahrungsmittel-Allokation in die Wohnquartiere zeitweise stockte. Steigen die Preise von Grundnahrungsmitteln zu stark, greift deshalb die chinesische Regierung ein. Sie gibt Getreide und gefrorenes Schweinefleisch aus den staatlichen Vorräten frei, um die Marktpreise zu stabilisieren.
Chinas staatliche Getreide- und Schweinefleischreserven sind massiv. Wie gross sie sind, ist ein Staatsgeheimnis. Die USA schätzen, dass sie Chinas Bevölkerung bis zu zwei Jahre lang ernähren könnten. Die strategischen Vorräte reichten aber nur für den Beginn eines Konflikts oder einer Krise.
Die chinesische Regierung will deshalb längerfristig ihre Abhängigkeit von westlichen Zulieferern reduzieren. Die Regierung dehnt den Handel mit «China-freundlichen» Partnern aus, zum Beispiel mit Russland, den Brics-Staaten und Ländern entlang der neuen Seidenstrasse – dem geopolitischen Grossprojekt Xi Jinpings. Chinesische Unternehmer werden ermutigt, in globale Nahrungsmittelkonzerne zu investieren. Der grösste Schweinefleischproduzent der USA, Smithfield Foods, gehört der chinesischen WH Group.








