Die chinesische Regierung geht wettbewerbsrechtlich gegen den amerikanischen KI-Chip-Entwickler vor. Doch gegen Nvidias technologische Übermacht ist auch Peking machtlos.
Nvidia, die erfolgreichste Aktie der letzten Jahre, kommt seit einigen Wochen nicht mehr vom Fleck. Seit Anfang Dezember haben die Titel sogar mehr als fünf Prozent ihres Werts verloren. Für einen Tech-Mega-Cap wie Nvidia, das eine Kapitalisierung von 3400 Milliarden Dollar hat, bedeutet das einen Wertverlust von 170 Milliarden Dollar – so viel ist etwa Siemens wert.
Grund für die Zurückhaltung der Investoren ist der Handelsstreit zwischen den USA und China. Donald Trump wird zwar erst am 20. Januar als US-Präsident starten, doch der härtere Umgang der beiden Länder ist bereits spürbar. So haben die chinesischen Behörden diese Woche eine Untersuchung gegen Nvidia angekündigt, wegen mutmasslicher Verstösse gegen Antimonopolgesetze. Die amerikanische Nvidia ist der weltweit wichtigste Entwickler von KI-fähigen Halbleitern.
Vorspiel zu Trump 2.0
Die chinesischen Behörden beziehen sich auf eine Übernahme aus dem Jahr 2020, als Nvidia das israelische Netzwerkunternehmen Mellanox für 6,9 Milliarden Dollar kaufte. Mit der Untersuchung drückt die chinesische Regierung ihren Unmut über die Exportbeschränkungen der USA aus. Trump fuhr bereits in seiner ersten Amtszeit einen aggressiven Kurs gegen China und hat während des jüngsten Wahlkampfs Zölle von 60 Prozent auf alle chinesischen Waren in Aussicht gestellt.
Die direkten Auswirkungen auf Nvidia seien «vernachlässigbar», glaubt Kristofer Barrett, Leiter globale Aktien beim Vermögensverwalter Carmignac. Er sieht die kartellrechtliche Untersuchung als Druckmittel, das die Chinesen in künftigen Verhandlungen mit den USA einsetzen könnten. Dabei sind Chinas Vorwürfe nicht unbegründet. Eine Bedingung für die Genehmigung der Mellanox-Fusion war, dass chinesische Unternehmen weiterhin unbeschränkten Zugang zu allen Mellanox-Produkten bekommen. Diese Bedingung konnte Nvidia wegen der US-Exportrestriktionen nicht erfüllen.
Die Untersuchung sei ernst zu nehmen, «sie ist aber Teil eines geopolitischen Spiels», sagt Marcus Weyerer, Investment-Stratege bei Franklin Templeton. China habe letztlich kein Interesse, Nvidia zu vergraulen, und könne nicht auf dessen Technologie verzichten. Der technologische Vorsprung Nvidias sei zu gross und China auf die Technologie angewiesen, um im KI-Wettlauf mitzumischen.
China sei noch nicht in der Lage, ähnliche Chips wie Nvidia herzustellen. Vor allem nicht ohne die Extreme-Ultraviolett-Lithografie-Technologie (EUV), die fast nur ASML liefern kann. Auch hier gelten Exportrestriktionen für China. Kristofer Barrett hält es indes für unwahrscheinlich, dass China einen KI-Chip entwickeln kann, der auf den globalen Märkten konkurrenzfähig ist. Es sei denn, es gebe ein neues «Technologieparadigma».
Ein mögliches neues Paradigma hat diese Woche Google vorgestellt, einen neuen Chip namens Willow. Dieser stützt sich auf Quantum-Technologie. Solche Hochleistungsprozessoren können Rechenoperationen millionenfach schneller ausführen als die schnellsten Supercomputer und stellen auch die Leitung von KI-Chips in den Schatten. Eine Bedrohung für Nvidia ist «Willow» jedoch nicht. Bis Quantum-Chips massentauglich seien, dürfte es mindestens zehn Jahre dauern. «Die Ängste, dass traditionelle KI-Chips bald überholt sein könnten, sind nicht angebracht», glaubt der Investment-Stratege Weyerer.
Nvidia: Spagat zwischen USA und China
China ist weiterhin von Nvidia abhängig, auch wenn es aufgrund der Handelsbeschränkungen nicht die fortschrittlichsten KI-Chips beziehen kann. Nvidia und die US-Chip-Industrie brauchen aber auch China. Nachdem das US-Handelsministerium Anfang Dezember neue Exportkontrollen ausgesprochen hatte, die Fertigungsanlagen, Software und Speicherchips betreffen, folgten prompt Repressalien. Peking kündigte Exportverbote für wichtige Materialien wie Gallium, Germanium und Antimon an, die wesentlich für die Hightech-Industrie sind. Zudem sollen die Ausfuhren von Graphit, das für die Batterien von E-Autos benötigt wird, beschränkt werden.
Nvidia muss einen Spagat zwischen den eigenen Interessen und der US-Handelspolitik versuchen. China ist nicht nur ein Rohstofflieferant, sondern nach den USA auch der zweitwichtigste Absatzmarkt. Im dritten Quartal setzte das Unternehmen dort geschätzt über fünf Milliarden Dollar um, wobei der Umsatzanteil in den vergangenen Jahren zurückging. Dennoch wolle Nvidia im Land in die Entwicklung selbstfahrender Autos investieren und die Forschungsteams ausbauen, berichtete Bloomberg am Donnerstag.
Der Nvidia-Chef Jensen Huang macht deshalb gute Miene zum bösen Spiel. Ende November nahm er ein Ehrendoktorat der Hongkong University of Science and Technology entgegen. In seiner Dankesrede lobte er den Beitrag Chinas zur KI-Forschung. Er betonte, dass sein Unternehmen von der Präsenz in China mit Niederlassungen in Hongkong, Schanghai, Peking und Shenzhen profitiert habe. Er ermutigte die Studenten, sich für einen Job bei Nvidia zu bewerben.
19 Milliarden Quartalsgewinn
Nvidia hat bisher kaum unter dem Handelskonflikt gelitten. Das hat das Unternehmen seiner komfortablen Situation zu verdanken. Im dritten Quartal machte es bei rund 35 Milliarden Dollar Umsatz einen Gewinn von 19 Milliarden. Die Bruttomarge steht bei fast 75 Prozent. Mit solcher Gewinnkraft kann das Unternehmen Milliarden in Forschung stecken, um technologisch an der Spitze zu bleiben. Auch Geldstrafen oder der allfällige Wegfall von Einnahmen aus China bringen Nvidia nicht ins Schwitzen.
Dennoch geht es für die Aktien von Nvidia und anderer Halbleiter-Werte derzeit nicht mehr richtig vorwärts. Der Philadelphia-Semiconductor-Branchenindex hat seit dem Sommer deutlich verloren. Das bedeutet aber nicht, dass der von den Aussichten von KI getriebene Aktienboom am Auslaufen ist. Gemäss Weyerer findet lediglich eine Konsolidierung statt. Das Rally habe sich verbreitert und werde nicht mehr so stark vom Halbleiter-Sektor alleine getrieben.
Doch während bei Nvidia die Aussichten für das kommende Jahr trotzdem positiv sind, hat der Rest der Branche einen gemischten Ausblick. So kämpft der ehemalige Branchenprimus Intel damit, technologisch relevant zu bleiben. ASML besitzt zwar ein Quasimonopol in Bezug auf die EUV-Technik, ist aber stark von einem einzigen Grosskunden abhängig: dem taiwanischen Chip-Fabrikanten TSMC, der auch für Nvidia und Apple Chips herstellt.
Derzeit ist das ein Vorteil, denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Tech-Giganten künftig weniger in KI-Technik investieren werden. Mit Blick auf das Investitionsverhalten von Microsoft kann in wenigen Jahren von einer Verzehnfachung der Nachfrage nach KI-fähigen Chips ausgegangen werden, «insofern stehen wir erst am Anfang des Booms», sagt Weyerer. Eine spekulative Blase sieht der Aktienexperte derzeit nicht. Viele Tech-Konzerne würden im KI-Bereich die hohen Gewinnerwartungen sogar noch übertreffen. Und auch die Bewertungen bewegten sich deshalb im Rahmen des Vertretbaren.