Schweizer Hochschulen bringen etliche Jungunternehmen hervor. Doch wenn diese wachsen wollen, scheitern sie hierzulande häufig am Risikokapital. Die Branche versucht, träge Investoren zu motivieren.
Es gibt Forscher, denen reicht es nicht, wissenschaftlich erfolgreich zu sein und ihre Ideen im Labor weiterzuentwickeln. Sie wollen sie auch auf den Markt bringen. Aus der Entdeckung ein Produkt machen, aus der Idee ein Geschäft.
So eine Forscherin ist Deana Mohr. Sie forschte als Doktorandin im Jahr 2012 an der Universität Zürich an einer Methode mit, mit der man menschliches Muskelgewebe züchten kann. Mohr lieferte in ihrer Doktorarbeit die letzten Datensätze für die Zulassung zur klinischen Studie. In der Methode sah sie die ganz grosse Idee. Mohr setzte alles darauf.
«Ich hätte den sicheren Weg wählen und in die Pharmaindustrie gehen können», sagt sie heute. Doch Mohr hat sich dagegen entschieden. Von der Forscherin ist sie zur Unternehmerin geworden. Was folgte, war der lange Weg eines Jungunternehmens, das vielversprechend startete, aber nun feststeckt.
Mohr beschäftigt heute 21 Mitarbeitende. Sie braucht Geld für weiteres Wachstum, will Labor und Büro ausbauen. In der nächsten Finanzierungsrunde sucht sie 20 Millionen. Doch sie findet sie nicht. Zumindest nicht in der Schweiz.
Die Biotech-Branche, zu der Mohrs Unternehmen gehört, gilt zwar als besonders kapitalintensiv. Doch so wie ihrem Startup geht es vielen Schweizer Jungunternehmen: Ab einer gewissen Grösse kommen sie in der Schweiz nicht mehr weiter. Innerhalb der Szene spricht man davon, dass Innovationen nicht kommerzialisiert werden können. Davon, dass man im Ausland skalieren muss. Im Klartext heisst das: In der Schweiz hat man die Ideen. Gross und zu Geld gemacht werden sie anderswo.
Am Anfang läuft es gut
An Forschungseinrichtungen und Hochschulen wie der ETH und der EPFL forschen kluge Ingenieure und Programmierer an neuen Technologien, sie bekommen die nötige Ausrüstung, das Startkapital, treffen auf Gleichgesinnte. Auch bei Mohr läuft am Anfang alles gut.
Mohr will mit ihrer Methode als Erstes Frauen mit Inkontinenz behandeln. Dazu sollen die gezüchteten Muskelvorläufer-Zellen in einer Lösung in den Blasenschliessmuskel der betroffenen Frauen injiziert werden, damit dieser stärker wird. Von der Kontrollbehörde Swissmedic erhält Mohrs Team an der UZH 2015 die Zulassung, sie dürfen ihre Therapie an neun Frauen testen. Das Wyss-Forschungszentrum der Universität Zürich und der ETH unterstützt sie mit Infrastruktur, vom europäischen Forschungsprogramm Horizon sichern sie sich im Jahr 2016 sechseinhalb Millionen Franken.
Mohr gründet mit drei weiteren das Startups Muvon Therapeutics und baut ihr Team auf. Das Unternehmen wächst.
«Am Anfang kriegt man viel Unterstützung in der Schweiz», sagt Mohr. Doch irgendwann gehe es nicht mehr weiter. Eine Schwierigkeit ist der kleine heimische Markt – wollen Startups eine gewisse Grösse erreichen, müssen sie unweigerlich international ausgerichtet sein. Dafür brauchen sie das passende Geschäftsmodell. Häufig liegt es aber auch am fehlenden Risikokapital.
Solches Risikokapital stecken Venture-Capital-Unternehmen in eine Reihe von Startups, in der Hoffnung, ein paar davon würden erfolgreich. Und eines vielleicht sogar zu einem Milliardenbusiness, einem sogenannten Einhorn.
Das Geschäftsmodell von Venture-Capital-Firmen funktioniert hierbei über das Verteilen von Risiken. Die Firmen suchen sich Jungunternehmen mit Potenzial heraus und investieren Millionenbeträge – auf die Gefahr hin, dass sie das Geld verlieren. Aber auch mit der Hoffnung, dass sie ein Vielfaches ihrer Investition wiederbekommen. In ihrem Portfolio kompensieren die wenigen erfolgreichen Jungunternehmen die Verluste der vielen, die scheitern.
Die Suche nach Geld in Saudiarabien und China
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Risikokapital oder Venture Capital in der Schweiz zwar entwickelt. Es gibt viel Startkapital für Startups, wodurch die guten Ideen aus den Forschungszentren der ETH und EPFL auch zu Geschäftsmodellen werden.
Doch für die Phase, in der Jungunternehmen wachsen wollen und Investitionen ab 10 Millionen suchen, fehlt in der Schweiz häufig das Geld. Der Markt ist fragmentiert. Es gibt viele kleinere Venture-Capital-Firmen, die Investments im einstelligen Millionenbereich tätigen. Daten des Swiss-Venture-Capital-Reports zeigen: Im vergangenen Jahr ist die Anzahl der Finanzierungsrunden in der Wachstumsphase von Jungunternehmen überdurchschnittlich stark zurückgegangen.
In der Konsequenz wenden sich die Startups in der Wachstumsphase, auch Scaleups genannt, häufig an ausländische Investoren. So auch dasjenige von Deana Mohr. Sie sucht mittlerweile nach Geldgebern in den USA, in Saudiarabien, in China.
Laut einer Studie der Europäischen Investmentbank aus dem Jahr 2024 sind in Europa 82 Prozent der Scaleups durch einen ausländischen Investor hauptfinanziert. In San Francisco sind es 14 Prozent.
Die Unternehmerin Jeannette zu Fürstenberg leitet das Europageschäft des internationalen Venture-Capital-Unternehmens General Catalyst. Mit diesem stiess sie eine europaweite Initiative für Investitionen in künstliche Intelligenz an, die im Februar am KI-Gipfel in Paris vorgestellt wurde. Zu Fürstenberg schreibt auf Anfrage, es sei keine neue Entwicklung, dass ausländische Investoren in europäische Startups investierten.
Man solle das als Augenöffner verstehen: «Aussereuropäische Investoren erkennen das Potenzial Europas, sie glauben an unsere Innovationskraft.» Die Frage sei nicht, ob das Kapital aus Europa oder den USA komme. Sondern, wohin es fliesse.
Doch was auch eine Folge ist, wenn Geldgeber in den USA oder China in europäische oder Schweizer Startups investieren: Ein Teil der Wertschöpfung fliesst ins Ausland. Und weil Hauptinvestoren meist auch Sitze im Verwaltungsrat bekommen, findet dort auch ein Teil der strategischen Einflussnahme statt.
Die USA feiern das Scheitern, die Schweiz liebt die Sicherheit
Michael Sidler ist Mitgründer von Redalpine, einem der grössten Schweizer Venture-Capital-Unternehmen. Redalpine hat von Beginn an in die deutsche Neobank N26 investiert, ein Fintech mit Milliardenbewertung. Sidler sagt, die Venture-Capital-Ökosysteme der Schweiz und Europas seien im Vergleich zu demjenigen der USA schlichtweg später gestartet. «Die Tech-Szene in Europa ist zwanzig Jahre jünger als diejenige in den USA.»
Sie habe zwar einzelne Erfolgsgeschichten wie Deepmind, Spotify oder Revolut hervorgebracht, sei jedoch immer noch in der Entwicklungsphase.
Dieser Rückstand hat auch mit der Einstellung gegenüber Risiken zu tun. Die US-amerikanische Mentalität feiert das Scheitern, sie zelebriert die Vergabe von Risikokapital – auch bei grösseren Summen. Die Schweiz hingegen liebt die Sicherheit. Sie ist das Land der Versicherungen und Rückversicherer.
«Die Schweiz muss besser darin werden, die vielen guten Ideen aus der Schweizer Forschung zu skalierbaren Firmen zu machen», sagt Joanne Sieber. Sie leitet die Deep Tech Nation Foundation. Das ist eine Stiftung, die 2024 von der UBS und der Swisscom gegründet wurde und die den Schweizer Innovationsstandort stärken will. Innerhalb von zehn Jahren will sie 50 Milliarden Franken an Risikokapital mobilisieren, das zur Hälfte von Schweizer Investoren kommen soll.
Dafür setzt die Stiftung dort an, wo das Geld ist: die Schweizer Pensionskassen. Diese haben durch eine Reform seit 2022 die Möglichkeit, 5 Prozent in nichtkotierte schweizerische Anlagen zu investieren. Dazu gehört Venture Capital. Sieber sagt, würden die Pensionskassen nur 1 Prozent in Venture Capital investieren, ergäbe das einen Kapitalzufluss von rund 10 Milliarden. Nun gelte es, die Schweizer Pensionskassen zum Investieren zu ermutigen.
Viel Hoffnung im Hinblick auf Pensionskassen
Die Pensionskassen motivieren. Es ist etwas, was europäische VC-Firmen immer wieder fordern. Die Investorin zu Fürstenberg schreibt, würden europäische Pensionskassen mehr in Venture Capital investieren, sei das ein riesiger Hebel. Leider habe sich aber bisher nicht viel getan.
Auf eine Motion, die langfristige Anlagen von Pensionskassen in zukunftsträchtige Technologien forderte und die der Reform im Jahr 2022 vorausging, antwortete der Bundesrat 2014: Risikofähigkeit und -budget der Pensionskassen seien stark limitiert, was Investitionen in Venture Capital erschwere. Diese seien langfristige und relativ illiquide Anlagen mit einem hohen Risiko. Der Staat dürfe die Kassen nicht dazu auffordern, zu investieren.
Der Bund sieht sich nicht als Ermutiger. Aber als Ermöglicher, der die Rahmenbedingungen schaffen kann – darum kam 2022 die Reform.
Mittlerweile gibt es in verschiedenen europäischen Ländern Bestrebungen in eine ähnliche Richtung, die zum Teil noch weiter gehen. Sie alle haben das Ziel, institutionelle Anleger wie Pensionskassen dazu zu bewegen, Geld in innovativen Jungunternehmen anzulegen. Und Europa als Standort für Innovation zu stärken.
In Grossbritannien etwa den Mansion House Compact: Darin vereinbaren neun der grössten Pensionskassen, bis 2030 bis zu 5 Prozent ihrer Standardfonds in Start- und Scaleups zu investieren. In Deutschland plant die Bundesregierung eine Anpassung der Anlageverordnung im Rahmen der Initiative für Wachstums- und Innovationskapital (WIN-Initiative). Dadurch sollen Pensionskassen mehr in risikoreichere Anlageklassen wie Venture Capital investieren können. In Frankreich gibt es seit 2019 die Tibi Initiative, worunter sich 35 institutionelle Anleger dazu verpflichten, bis nächstes Jahr 7 Milliarden Euro in Risikokapital fliessen zu lassen.
Die Unternehmerin Deana Mohr sagt, andere Schweizer Startups gründeten inzwischen Tochtergesellschaften in der EU und verlegten ihr Personal dorthin. Damit sie an europäische Forschungsfinanzierung kämen. Mohr spiele derzeit auch mit diesem Gedanken, aber nur widerwillig. «Es ist schade, wir haben alles in der Schweiz aufgebaut, alle Mitarbeitenden bis auf zwei arbeiten hier.»
Doch am Ende sei es einfach wichtig, dass Geld hereinkäme. Da könne man es sich nicht erlauben, wählerisch zu sein, wenn man überleben wolle.