Nach einem Unfall mit zwei Toten verstärkt die chinesische Küstenwache ihre Patrouillen um die Inseln, die wenige Kilometer vom Festland entfernt liegen. Statt auf Entspannung hinzuarbeiten, setzt Peking auf Eskalation.
Am Anfang stand ein Unfall. Vor zwei Wochen versuchte Taiwans Küstenwache in Gewässern um die Kinmen-Inselgruppe ein Fischerboot zu kontrollieren, das keine Registrierung auswies. Beim Versuch zu fliehen kenterte das Boot, zwei der vier aus China stammenden Insassen starben.
China anerkennt Sperrzonen nicht
Peking reagierte empört und warf den taiwanischen Behörden vor, fahrlässig und brutal gehandelt zu haben. Die Gewässer, in welchen der Unfall stattfand, sind von den taiwanischen Behörden für chinesische Schiffe als Sperrzone deklariert worden. Da Kinmen nur wenige Kilometer vor der chinesischen Grossstadt Xiamen liegt, sind die Verhältnisse eng. Lokale Fischer auf Kinmen sagten der Nachrichtenagentur Reuters, dass chinesische Fischer die Sperrzone regelmässig missachteten.
Denn aus Sicht der Volksrepublik China gibt es keine Sperrzone: Kinmen, wie ganz Taiwan, gehört in den Augen der kommunistischen Machthaber zu China. Dass Kinmen von Taiwan aus kontrolliert wird, ist der Geschichte geschuldet. Als die Nationalisten 1949 den Bürgerkrieg auf dem Festland verloren, zogen sie sich nach Taiwan zurück. Und sie schafften es, ein paar vorgelagerte Inseln zu behalten – neben Kinmen die Matsu-Gruppe weiter nördlich.
Taiwans Behörden versuchten nach dem Unfall, die Lage zu deeskalieren. Lokale chinesische Vertreter und Familienangehörige der Verstorbenen konnten Kinmen besuchen. Die Leichname wurden übergeben, die beiden anderen Bootsinsassen durften nach einem kurzen Spitalaufenthalt nach China ausreisen.
Nicht so China. Die chinesische Küstenwache markiert Stärke und führt in den betroffenen Gewässern seither eigene Patrouillen durch. Am Montag sind nach Angaben aus Taipeh fünf chinesische Küstenwachschiffe vor Kinmen aufgefahren – nach einer Warnung durch die taiwanische Küstenwache hätten sich diese aber wieder zurückgezogen.
Vor einer guten Woche hatte die chinesische Küstenwache gar ein taiwanisches Ausflugsschiff gestoppt und die 11 Besatzungsmitglieder und 23 Ausflügler kontrolliert. Sie seien verängstigt gewesen und hätten nicht gewusst, ob sie nach Taiwan zurückkehren könnten, sagte eine betroffene Passagierin gegenüber der taiwanischen Zeitung «UDN».
Die chinesische Küstenwache fährt grobes Geschütz auf: Laut der «South China Morning Post» überführte sie grosse Küstenwachschiffe nach Kinmen, die sonst bei den Senkaku-Inseln zum Einsatz kommen. China beansprucht die von Japan kontrollierten Inseln und nennt sie Diaoyu. Chinas Küstenwache fährt fast täglich in die Gewässer um die Inselgruppe ein und macht stetig Druck auf Japan. Peking hat nicht nur zahlenmässig die grösste Küstenwache der Welt, es hat auch Schiffe im Einsatz, die grösser sind als die Kriegsschiffe vieler Länder.
Taiwan kann Kinmen militärisch nicht verteidigen
Die regelmässigen Patrouillen dienten dazu, der «sezessionistischen Administration der Demokratisch-Progressiven Partei» eine Warnung zu senden, schreibt das chinesische Propagandablatt «Global Times». Die chinesischen Strafverfolgungsbehörden seien berechtigt und in der Lage, nicht nur in den Gewässern um Kinmen, sondern auch bei den Inseln Matsu und Penghu weitere Massnahmen zu ergreifen.
Wenn Peking möchte, könnte es Kinmen und Matsu militärisch problemlos einnehmen. Im Gegensatz zu früher, als Zehntausende von taiwanischen Soldaten auf diesen Inselgruppen stationiert waren, sind dort heute nur noch wenige tausend Mann präsent. Sie wären der Volksbefreiungsarmee hoffnungslos unterlegen. Unterstützung von der Hauptinsel ist unrealistisch. Die Regierung in Taipeh würde nicht Flugzeuge, Schiffe und Personal in ein Himmelfahrtskommando schicken; sie braucht diese zur Verteidigung Taiwans.
Ein militärischer Angriff auf Kinmen würde aber das Versprechen Pekings, eine «friedliche Wiedervereinigung» anzustreben, definitiv als leer entlarven. Und bei einer gewaltsamen Änderung des Status quo muss die kommunistische Führung mit Strafmassnahmen des Westens rechnen. Steter Druck auf Kinmen ist da die bessere Taktik – auch wenn dies die Gefahr weiterer Unfälle mit sich bringt.