Mit massgeschneiderten Modellen wie dem Aion V und dem Aion UT will die GAC Group die Akzeptanz in ausgewählten Ländern testen, bevor sie den Sprung in die mitteleuropäischen Märkte wagt.
Das heute als GAC Group (Guangzhou Automobile Corporation) firmierende Staatsunternehmen, einer der ältesten Automobilhersteller Chinas, ist in Europa wenig bekannt. Dabei liegt es beim Verkauf von NEV (new energy vehicles), zu denen neben Batterie-Elektroautos auch Plug-in-Hybride gehören, weltweit an dritter Stelle hinter Tesla und BYD. Nun nimmt GAC den europäischen Markt ins Visier.
Der Schritt kommt vergleichsweise spät, was man in der Zentrale mit umfangreichen Sondierungen der Zielmärkte und einer speziellen Strategie erklärt. Man habe aus den Fehlern der chinesischen Konkurrenz gelernt, heisst es, lasse im eigenen Designstudio in Mailand Autos für Europa entwerfen und gehe in kleinen Schritten voran. Die für Europa geeigneten Produkte sind definiert, doch die Pläne für Marketing und Kundenbetreuung bleiben vage. Ein Blick hinter die Kulissen im südchinesischen Guangzhou.
GAC plant den Markteintritt in Europa nicht mit dem Anspruch, den hiesigen Premiumfahrzeugen Konkurrenz zu machen, sondern gibt sich bescheidener. Die auf dem chinesischen Massenmarkt populäre Submarke Aion bringt zwei kompakte Elektrofahrzeuge auf einer skalierbaren gemeinsamen technischen Plattform, das SUV Aion V und die Stufenhecklimousine Aion UT, an den Start.
Deren Akzeptanz werde zunächst in Polen, Portugal und Norwegen getestet, erklärt Thomas Schemera, der erst seit wenigen Tagen als Senior Vice President für den internationalen Auftritt verantwortlich ist. Erst danach sollen die mitteleuropäischen Märkte folgen.
Schemera, der bei BMW China-Erfahrungen sammelte und für die internationalen Erfolge von Hyundai und Kia mitverantwortlich war, kennt das grösste Defizit chinesischer Hersteller, die in internationale Märkte streben: Sie bringen Produkte auf den Markt, bevor ihre Marken etabliert sind. Schemera steht deshalb vor der komplexen Aufgabe, parallel zur Produkteinführung Markenwerte zu definieren und Vertrauen zu schaffen.
Dies ist eine Herausforderung, die lokale Händlernetze flankieren sollen. Mit diesen sei man im Gespräch, sagt der GAC-International-Präsident Wei Haigang. Die Ziele seien definiert, erklärt er auf Nachfrage. Aber die Wege dorthin scheinen noch unbefestigt.
Die Testfahrt in China beweist Europa-Tauglichkeit
Für eine Probefahrt stehen die beiden für Europa bestimmten Stromer aus der Kompakt- und Kleinwagenklasse bereit. Beide Fronttriebler sind Mainstream-Produkte und bieten weder Retro-Anleihen im Exterieur noch futuristischen Schnickschnack im Interieur. Sie machen mit guter Ausstattung zu günstigen Preisen auf sich aufmerksam.
Den Anfang macht in Europa der Aion V, ein 4,61 Meter langes Kompakt-SUV. Er leistet 150 kW (204 PS) und ist mit einer 75,3-kWh-Batterie für eine Nennreichweite von 521 km nach WLTP-Messzyklus ausgerüstet. In der Praxis dürften gut 400 km möglich sein.
Im Blickfeld des Fahrers befinden sich nach gängigem Muster ein 14,6 Zoll grosses zentrales Tablet sowie ein 8,9 Zoll grosses Cockpit-Display. Für umgerechnet weniger als 33 000 Franken bietet der Aion V eine aussergewöhnlich umfangreiche Ausstattung. Elektrisch verstellbare, beheizte und belüftete Vordersitze, Fensterheber, ein abdunkelbares Schiebedach und ein beheizbares Lederlenkrad sind ebenso an Bord wie eine Zwei-Zonen-Klimatisierung und eine Kühl-/Heizbox unter der Mittelarmlehne. Das Infotainment-System lässt sich von vier Plätzen aus sprachgesteuert bedienen. 13 Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer.
GAC verspricht eine in diesem Segment ungewöhnliche Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h, interessant für deutsche Autobahnen. Fahrdynamisch bewegt sich der Aion V auf dem Niveau anderer chinesischer SUV im C-Segment: Komfortables, unaufgeregtes und sicheres Reisen ist angesagt.
Fast zeitgleich bringt GAC auch den 4,72 Meter langen Aion UT nach Europa. Der in China mit umgerechnet 11 200 Franken äusserst günstige Fünfsitzer soll in Europa rund 28 000 Euro kosten. Marktanpassungen sowie 35,3 Prozent Einfuhrzoll in der EU sorgen für eine Verdoppelung gegenüber dem chinesischen Marktpreis, der hierzulande aber immer noch deutlich unter dem eines vergleichbaren VW ID.3 oder BYD Dolphin liegt.
Wie im Aion V leistet der Elektromotor des UT an der Vorderachse 150 kW (204 PS), wird aber aus einer kleineren 60-kWh-Batterie gespeist. Wird der Aion UT sparsam gefahren, muss er nach gut 300 km an die Ladesäule. Seine Nennreichweite beträgt 430 km (WLTP). Strom soll er mit bis zu 130 kW aus dem Schnelllader ziehen, wird versprochen, so dass von 30 auf 80 Prozent im Idealfall nur 24 Minuten vergehen.
Das Fahrwerk ist für Europa zu weich abgestimmt
Auf der Fahrt in der für China konzipierten Einstiegsversion mit 100 kW (136 PS) zeigen sich keine Auffälligkeiten. Ähnlich wie beim Aion V taucht der UT beim flotten Anfahren hinten leicht ein, auch in Kurven gibt das komfortable Fahrwerk spürbar nach. Kriterien, die chinesische Kunden nicht stören und Europäer darauf vorbereiten, kein Sport-Fahrerlebnis zu erwarten.
Mit dem V teilt sich der UT auch das Zentral- und Cockpit-Display im schlichten Interieur. Erfreulich ist, dass sich wie beim V die Luftströme der Klimaanlage über Schieberegler umlenken lassen. Es gibt zahlreiche Ablagen, auch eine induktive Ladestation für das Smartphone. Die Verarbeitung hinterlässt bei beiden Fahrzeugen einen ordentlichen Eindruck.
Die Lücke zwischen den beiden Modellen könnte der 4,41 Meter lange Stufenheck-Wagen Aion Y schliessen, der derzeitige Bestseller der Marke. Auch er baut auf der gleichen technischen Plattform auf, soll aber nur als Versuchsballon in ausgewählten Märkten dienen. Das Angebot soll nicht überdehnt werden, schon gar nicht will GAC mit vielen Submarken wuchern.
Aus dem gleichen Grund hält das Unternehmen auch Fahrzeuge seiner Premiummarke Hyptech zurück. Zum Beispiel den 494 Zentimeter langen und 170 Zentimeter hohen SUV Hyptech HT mit Scherentüren und edler Innenausstattung. Für umgerechnet 90 000 Franken bekommen chinesische Kunden Lederausstattung, Klapptische und High-End-Kommunikationstechnik. Für Europäer ist der Preis zu hoch, die Verspieltheit trifft den europäischen Geschmack weniger.
Mit dem umgerechnet 162 000 Franken teuren SSR hat Hyptech auch einen weitgehend handgefertigten batterieelektrischen Mittelmotor-Supersportwagen mit 900 kW (1224 PS) im Portfolio, wie sie bei chinesischen E-Mobilitäts-Firmen mittlerweile zum guten Ton gehören. Gegen Aufpreis gibt es eine Rennversion, die in 1,9 Sekunden auf 100 km/h sprinten soll. GAC weiss, dass Europäer den chinesischen Herstellern Sportwagen-Kompetenz noch kategorisch absprechen.
GAC plant seinen Markteintritt in Europa deutlich zurückhaltender als die meisten chinesischen Newcomer. Der Blick auf Tausende von in europäischen Häfen gelandeten, aber unverkauften BYD lehrt, dass sich die hiesigen Märkte nicht einfach überschwemmen lassen. GAC spürt Lücken auf, will auch Plug-in-Hybride dort einführen, wo die Ladeinfrastruktur für Elektroautos noch löchrig ist.
Und GAC ist offen für Nebengeschäfte. Zum Beispiel mit der neuen Marke Flynt im europäischen Markt für leichte Nutzfahrzeuge, der 1,5 Millionen Einheiten umfasst. Ab 2026 sollen Handwerker und Zusteller für einen batterieelektrischen Transporter gewonnen werden und ihre meist nachträglich elektrifizierten VW Crafter, Ford Transit, Mercedes Sprinter sowie entsprechende Modelle des Stellantis-Konzerns ausmustern.
Bei Flynt hat der ehemalige BMW-Manager Daniel Kirchert, Mitbegründer des inzwischen insolventen Startups Byton, die Leitung übernommen. Die in den Niederlanden registrierte Marke baut auf einer eigens entwickelten, hocheffizienten und skalierbaren E-Plattform für 500 km Reichweite auf.