In ihrer Heimat verdrängen chinesische Hersteller VW, BMW und Mercedes. Nun kommen sie nach Europa. In der Schweiz soll schon bald ein besonders günstiger Kleinwagen auf den Markt kommen.
Der Taxifahrer in der chinesischen Fünf-Millionen-Stadt Taiyuan wird emotional, als er sich von seinem Elektroauto verabschieden muss. Über eine Million Kilometer hat er mit dem Wagen einer chinesischen Marke absolviert, 600 000 davon mit der gleichen Batterie, wie er in einem Video erklärt, das im Internet die Runde macht. Am Schluss hat sein Auto noch immer eine Reichweite von 350 Kilometern. Dennoch muss es auf den Schrottplatz: In China werden kommerziell genutzte Autos nach acht Jahren entsorgt.
Das Beispiel zeigt, wie gut chinesische Elektroautos sind. Dies hat dramatische Folgen für die westlichen Autohersteller. Als der Verbrennungsmotor noch das Mass aller Dinge war, deckten BMW, Audi und Mercedes rund zwei Drittel des besonders lukrativen chinesischen Premium-Marktes ab.
Doch mit dem Aufkommen des Elektroautos hat sich das rasant verändert. Der Marktanteil der deutschen Autobauer liege in diesem Segment bei gerade noch 10 Prozent, erklärt der ehemalige BMW-Manager und Chinakenner Daniel Kirchert. «Die chinesischen Konsumenten haben sich bei der Elektromobilität von den Produkten aus ihrem eigenen Land überzeugen lassen», sagt Kirchert.
Chinesische Autos für Chinesen
Andreas Herrmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, nennt das Beispiel des als Handyhersteller bekannten chinesischen Unternehmens Xiaomi. Bereits vor der Auslieferung habe es dieses geschafft, 50 000 Stück seines neuen Fahrzeuges zu verkaufen. «Da muss man nicht mehr BMW oder Mercedes heissen», sagt Herrmann.
Die chinesischen Marken stehen laut Herrmann für alles, was neu ist rund ums Automobil. Die Hersteller hätten nicht nur sehr viel Kompetenz beim Elektroantrieb und bei der Batterie. Sondern auch bei der Integration der Software ins Auto, etwa bei dem für Autokäufer immer wichtiger werdenden Infotainment-System.
Dabei hatte lange Zeit gegolten: In China werden zwar westliche Autos gefertigt, die Entwicklung findet aber anderswo statt. Doch die elektrische Antriebstechnologie ermöglichte es Chinas Autobauern, auch in diesen Bereich einzusteigen.
Und sie lernten schnell. Viele westliche Automanager erlebten in den letzten Jahren einen veritablen Schock: «Plötzlich standen chinesische Elektroautos in den Verkaufsräumen, die das Niveau europäischer Marken haben», sagt Daniel Kirchert. Die Autos seien nicht nur besser auf die Bedürfnisse chinesischer Kunden zugeschnitten, etwa durch die Integration einer dort sehr beliebten Karaoke-Funktion. Die Bedienung sei auch so intuitiv wie bei einem Smartphone. Dies im Gegensatz zu vielen europäischen Autos, die noch immer mit ebenso langsamer wie umständlich zu bedienender Software aufwarten.
«China speed»
Die chinesischen Elektroautohersteller haben noch einen zweiten Vorteil: Sie produzieren deutlich günstiger. Beim elektrischen Antrieb beträgt der Kostenvorteil laut Daniel Kirchert 30 Prozent.
Die chinesische Autoindustrie habe es zudem geschafft, den Entwicklungsprozess massiv zu verkürzen. Die dortige Autoindustrie benötige nicht vier bis sechs Jahre, um ein neues Modell zu entwickeln. Sondern gerade noch zwei – und dies zu einem Viertel bis einem Fünftel der Kosten, die bei den europäischen Konzernen anfallen. Der VW-Chef Oliver Blume prägte kürzlich einen Begriff für dieses Phänomen: «China speed».
Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb die chinesischen Hersteller der Konkurrenz beim Elektroantrieb zu enteilen drohen. In China haben Elektrofahrzeuge bereits einen Marktanteil von 40 Prozent. Schon in wenigen Jahren könne der Anteil an den Neuverkäufen zwischen 70 und 90 Prozent liegen, so die Einschätzung Kircherts. Diese Entwicklung macht die einheimischen Marken immer stärker, denn sie sind bei den neuen Antriebstechnologien besonders konkurrenzfähig. Die Folgen lassen sich bereits heute beobachten. Vor zehn Jahren hatten chinesische Autos einen Anteil am Heimmarkt von nur 30 Prozent. Jetzt sind es laut Kirchert bereits 50 Prozent.
Dieser Umbruch im Heimmarkt katapultiert die chinesischen Hersteller auch im globalen Wettbewerb nach vorne. «Diese Entwicklung hat man in Europa total unterschätzt», sagt der Automanager Kirchert.
Riesiges Potenzial für chinesische Autos
Kirchert sieht darum riesiges Potenzial für chinesische Autos in Europa. Und dieses will er nutzen. Er ist heute Chef des Schweizer Startups Noyo. Mit ihm will er chinesische Hersteller zuerst in die Schweiz bringen, später nach ganz Europa.
In der Schweiz ist Noyo vorerst mit Premium-Marken am Start. Da ist etwa das Modell Free des Herstellers Voyah. Oder der M-Hero, ein geländegängiges Elektromonster in martialischem Design, etwa mit Türgriffen, die aussehen wie Pistolen. Der M-Hero sei ein polarisierendes Auto, das gibt Kirchert zu. Es sei aber vor allem «ein Showcase»: dafür, was chinesische Hersteller inzwischen leisten könnten.
Kirchert hat Noyo aber aus einem anderen Grund aufgezogen, wie er sagt. «Damit sich die Elektromobilität durchsetzt, braucht es günstige Einsteigermodelle auf dem Markt.» 70 Prozent der europäischen Kunden geben weniger als 30 000 Euro aus, wenn sie ein Auto kaufen. Das Angebot bei Elektroautos sei aber erst im Preisbereich ab 40 000 Franken stark. «Die Autoindustrie hat das Einsteigermodell in der Elektromobilität vernachlässigt.»
Im dritten Quartal dieses Jahres will Kirchert darum mit dem Import des Modells Box von Dongfeng in die Schweiz beginnen. Das vier Meter lange Auto werde rund 20 000 Franken kosten und sei preislich mit einem ähnlich grossen Benziner vergleichbar. Das Auto sei stark auf die europäischen Bedürfnisse zugeschnitten, etwa auf die oft beengten Platzverhältnisse. Die Reichweite werde wohl bei 350 bis 400 Kilometern liegen, sagt Kirchert.
Tesla setzt doch auf Billigmodell
Die europäischen Autokonzerne haben schon vor längerem gemerkt, dass ihr Angebot Lücken aufweist. Volkswagen etwa kündete vor einem Jahr ein Elektroauto für unter 25 000 Euro an. Es soll 2025 lanciert werden. Diese Woche erklärte Tesla-Gründer Elon Musk, sein Unternehmen wolle ebenfalls rasch ein günstigeres Modell auf den Markt bringen. Zuvor hatte Musk im Kampf unter anderem gegen die chinesische Konkurrenz bereits die Preise für bestehende Modelle gesenkt.
Nach Meinung von Daniel Kirchert werden günstige Elektroautos künftig allerdings vornehmlich aus China stammen. Zwar sind die europäischen Konzerne mit Hochdruck daran, eine Lieferkette für die nötigen Materialien aufzubauen und Batteriefabriken hochzuziehen. Sie seien insgesamt aber wohl zu spät auf diesen Zug aufgesprungen. «Ich bin skeptisch, ob es VW wirklich schaffen wird, ein Elektromodell für weniger als 25 000 Euro zu bauen», sagt Kirchert.
Der St. Galler Mobilitätsexperte Herrmann sieht bei den billigen Elektroautos viel Potenzial für chinesische Hersteller. «Wenn die Elektroautos aus China 10 oder 15 Prozent günstiger sind, ist das ein Faktor, der zählt», sagt er. Nicht unbedingt in der Schweiz, aber in preisbewussten Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Italien.
Die ersten chinesischen Hersteller, die nach Europa drängten, fielen zwar auf die Nase. Dennoch seien die Chancen für chinesische Hersteller sehr gut, im europäischen Markt Fuss zu fassen, sagt Herrmann. Dies etwa darum, weil sie nicht mehr für teures Geld versuchen, eigene Niederlassungen aufzubauen, sondern sich Partner suchen. Der chinesische Riese BYD etwa spannt mit dem Autoimporteur Emil Frey zusammen, wie kürzlich bekannt wurde. Herrmann ist überzeugt: Dieses neue Vorgehen «wird den Markteintritt der chinesischen Marken stark beschleunigen».