Integration von Auto und Smartphone – das hat sich der grösste Automobilmarkt der Welt zum Ziel gemacht. Noch wichtiger wird in China die Verschmelzung von Wohnwelt und Personentransport.
Momentan schwächelt die Nachfrage nach batterieelektrischen Autos auch auf dem chinesischen Fahrzeugmarkt. Doch mit Angeboten hält sich die Autoindustrie keineswegs zurück. Im Gegenteil: Die Neuheitenflut ist schier unüberschaubar, wobei die meisten neuen Modelle nun auch als Plug-in-Hybride mit akzeptablen elektrischen Reichweiten von mehr als 70 Kilometern vorfahren. In Europa wird diese Übergangstechnologie als immer valabler gesehen – in China ist das Interesse an Stecker-Hybriden deutlich zunehmend.
Neue Modelle und neue Anbieter verändern den chinesischen Automobilmarkt zu einem Elektronikschauplatz für vernetzte, mobile Lösungen. Der Smartphone-Hersteller Xiaomi kleidet seine Kommunikationslösungen in ein erstes E-Auto, den SU7, auf den Käufer aufgrund hoher Nachfrage bereits acht Monate warten müssen. Umgekehrt präsentiert Volvos EV-Tochter ihr erstes, sich vollautomatisch mit dem Polestar 4 vernetzendes Smartphone. Ziel ist, die Integration von Kommunikationslösungen im Auto zu perfektionieren. Und da arbeiten die Chinesen effektiver in die Zukunft als etwa die europäischen Marken, die sich in China etabliert haben.
Die Übergänge zwischen Wohnen und Fahren verschwimmen
Mit dem Wandel zur E-Mobilität verändert sich die Automobilkultur Chinas deutlich. Das Auto reift zu einem dritten Lebensraum zwischen Zuhause und Arbeitsplatz heran. Weniger die Freude am Fahren steht im Mittelpunkt, vielmehr das Lebensgefühl im mobilen Wohnraum. In China führt die Entwicklung zu einem erstaunlichen Comeback des in Europa zur preiswerten Familienkutsche verkommenen Minivan.
Als Raumgleiter mit Business-Class-Gestühl und üppigem Luxus aufgewertet, versuchen die Vans, ihre klobige Erscheinung mit gigantischen Kühler-Grafiken aufzupeppen, die schon fast an Schneepflüge erinnern. Ihre jährlichen Verkäufe stiegen in letzter Zeit um 20 Prozent, Tendenz stark steigend.
Ob die Luxus-Vans den in privaten Haushalten so beliebten SUV den Rang ablaufen werden, darf bezweifelt werden. Vielmehr könnten sie Oberklasse-Chauffeurlimousinen gefährlich werden, die sich bei chinesischen Geschäftsleuten grosser Beliebtheit erfreuen. Diese werden als Statussymbole gern für Vertragsabschlüsse genutzt.
Die neuen Premium-Vans mit Luxus-Sitzgruppen, Tischen, Bar und riesigen Bildschirmen unter lichten Glasdächern sind geräumiger als ein Mercedes-Maybach.
Für den europäischen Geschmack nur bedingt geeignet
In Europa zielen die neuen Premium-Vans eher auf betuchte Familien und VIP-Shuttle-Unternehmen. Nehmen wir den batterieelektrischen Voyah Dream als jüngstes Beispiel. In China für umgerechnet 469 500 Yuan (rund 60 000 Euro) zu kaufen, dürfte er in Europa kaum unter 80 000 Euro kosten. Für mehrköpfige Familien dürfte der Preis wenig attraktiv erscheinen, auch wenn der 5,32 Meter lange Van 435 Elektro-PS und 500 Kilometer WLTP-Reichweite bietet.
Für Personen auf den Vordersitzen spielt der Voyah Dream auf drei 12,3 Zoll grossen Bildschirmen über die gesamte 1,40 Meter Breite der Armaturentafel Informationen zum Fahrzeug und Unterhaltungsprogramme ein. Sportlich gibt sich der Familien-Van jedoch nicht. Das Entwicklungsziel liegt auf hohem Reisekomfort mit grosser Laufruhe. Die Lenkung ist sehr indirekt abgestimmt, das Sänften-artige Luftfederfahrwerk führt bei Lastwechseln zu deutlicher Seitenneigung. Daran ändert auch der Wechsel in sportlichere Fahrmodi wenig.
Der chinesische Automarkt bietet nach wie vor einen Grossteil an Modellneuheiten der Segmente Limousine und SUV. Dabei ist die Tendenz zu höherpreisigen Fahrzeugen erkennbar. Die Absicht dahinter ist klar: Chinesische Kunden von Mittelklasse-Fahrzeugen bevorzugen seit etwa zwei Jahren zunehmend heimische Marken. Die europäischen Marken, die in China Fahrzeuge herstellen, sind wegen deren unzureichender Vernetzung immer weniger attraktiv.
Daher nehmen chinesische Marken nun immer mehr die Kunden deutscher Hersteller ins Visier. Man muss allerdings sehr genau hinsehen, um die Fahrzeuge von BYD, Geely, Chery, Nio, Great Wall, Changan und Hongqi voneinander zu unterscheiden.
Ein typischer Vertreter der neuen Konkurrenten deutscher Autos ist die 5,09 Meter lange Limousine des in internationale Märkte strebenden Staatskonzerns Dongfeng. Sie ist 15,2 Zentimeter länger als ein 5er-BMW, heisst Voyah Passion und nimmt am wiederbelebten Trend zu Plug-in-Hybridantrieben insbesondere für grosse Pkw teil.
Das Auto-Interieur wird zur Multimedia-Wand
Die Fliessheck-Limousine bietet dank einem 3 Meter langen Radstand einen sehr geräumigen Oberklasse-Fahrgastraum und 1,40 Meter Dreifach-Screen über die gesamte Breite der Armaturentafel aus dem Voyah Dream sowie einen optionalen Panorama-Bildschirm für die Fondpassagiere. Darüber hinaus gibt es ein freistehendes 9-Zoll-Tablet in der Mittelkonsole zur Klimakontrolle.
Interessantestes Merkmal des Passion ist sein Antriebssystem, das in der Topversion für eine Gesamtreichweite von 1260 Kilometern sorgen soll. Ein E-Motor treibt die Frontachse mit 177 PS (130 kW) und ein zweiter die Hinterachse mit 218 PS (160 kW) an. Beide werden aus einer 82 kWh grossen Batterie für eine rein elektrische Reichweite von 262 Kilometern gespeist. Deren Nachladen von 20 auf 80 Prozent Kapazität dauert an der Schnellladesäule laut Dongfeng 29 Minuten.
Alternativ lädt ein 136 PS starker Vierzylinder-Turbobenziner den Akku während der Fahrt nach. Er dient auch als Traktionshilfe, um auf 531 PS und 730 Nm Drehmoment Systemleistung aufzustocken. Der 2,2 Tonnen schwere Passion sprintet – allerdings unter bedenklicher Einbusse seiner Lenkfähigkeit – in 3,8 Sekunden auf 100 km/h.
Sonst gleicht das Fahrerlebnis am Lenkrad dem in anderen chinesischen Limousinen dieses Formats. Lenkung und adaptives Luftfahrwerk machen den Passion zum komfortablen Gleiter, die gut gedämpfte und doppelt verglaste Karosserie schirmt angenehm von Aussen- und Fahrgeräuschen ab. Die zahlreichen Fahrmodi unterscheiden sich allerdings nur marginal voneinander. Ein Eco- und Normalmodus würden reichen, denn auch die sportlichen Einstellungen unterbinden Wankbewegungen der Karosserie in schnell durchfahrenen Kurven nicht.
Besser als der sportlichen Fahrt liegt auch dieser grossen Limousine das komfortable Reisen. Dafür sind eine 4-Zonen-Klimatisierung an Bord, Sitze mit Massagefunktion, ein beheiztes Lenkrad und sogar eine Zugangsberechtigung über Gesichtserkennung besondere Komfort- und Sicherheitsmerkmale. Das umfangreiche Konnektivitätsangebot hört auf Sprachbefehle.
Ob Europäer auf die äusserlich eher schlicht gestaltete Limousine wegen ihres überzeugenden Komforts ansprechen oder auf die grosse Reichweite und den vergleichsweise günstigen Preis, der in Europa bei etwa 60 000 Euro liegen dürfte, bleibt abzuwarten. Vielleicht so lange, bis eine batterieelektrische Version mit der bereits angekündigten Batterie von Hersteller Catl ausgestattet wird, die für 1000 Kilometer elektrische Reichweite stehen und zeitnah in Serie gehen soll.
So vielfältig die Facetten der neuen chinesischen Autokultur auch sind: Es fehlt an preiswerten, attraktiven Modellen, die europäische Einsteiger in die Elektromobilität ziehen. Auf eine entsprechende Modelloffensive chinesischer Hersteller, um die hiesige Angebotslücke bei preiswerten Klein- und Kompaktwagen zu schliessen, warten Interessenten weiterhin.
Aber nur wenige der brandneuen oder bereits auf chinesischen Strassen fahrenden Exemplare dürften international erfolgreich werden. Zu skurril ist ihr Aussehen, zu mager ihre Grundausstattung. Modelle, die in Europa um 20 000 Euro und weniger kosten, hätten grosse Chancen, wie Experten glauben. In China gibt es zahlreiche davon, sie kosten nur wenig mehr als 10 000 Euro und bringen den Unternehmen dennoch akzeptable Margen. Wollen die chinesischen Marken sie aber in Europa zur Blüte bringen, dürfte unter dem Strich nicht mehr viel Ertrag übrig bleiben.