In seinen Filmen erfährt man von Bergbauern, patriotischen Gedenktagen in der Innerschweiz oder dem Hirtendasein zu Beginn des Jahrtausends. Jetzt feiert Erich Langjahr seinen 80. Geburtstag
Das Bergpanorama der Rigi, eine riesige Schweizerfahne wird wirkungsmächtig von einigen an Seilen hängenden Kletterern an einem Felsen angebracht. Atemberaubende Aufnahmen dieser längst von Postkartenmotiven infiltrierten Welt. Auf der Tonspur ertönen archaische Alphorn- und Büchelklänge von Hans Kennel, man fühlt sich sogleich in diese Landschaft versetzt. «Mein erster Berg» (2012) lautet der Titel dieses Filmes von Erich Langjahr, der am Samstag seinen 80. Geburtstag feiert.
Langjahr, geboren 1944 im Kanton Zug, hat seit den 1970er Jahren zwölf Langfilme realisiert, der dreizehnte soll diesen Herbst Premiere feiern. Er ist einer der herausragenden Filmemacher der Schweiz.
In den Aufnahmen der Berglandschaft, der in ihr arbeitenden Menschen und des sich mehr als spürbar machenden Tourismus findet sich die ganze Vielschichtigkeit seines filmischen Blicks. Nie beugt sich sein Kino einfachen Lesarten, vielmehr schafft er ein dialektisches Zusammenspiel von verschiedenen Elementen, die das Leben ausmachen.
Sobald man seinen Filmen einen nostalgischen Blick auf archaische Lebensformen zuschreiben will, tauchen Dosenravioli und Supermärkte auf, sobald man glaubt, eine eindeutige politische Positionierung zu erkennen, verkompliziert eine getätigte Aussage allzu einfach erscheinende Wahrheiten. Sobald man Pathos erahnt, kommt Humor ins Spiel. Seine Filme zeigen, dass das Leben nicht so einfach ist, wie manch politischer Diskurs glauben lassen will.
Er ringt mit der Welt
Ein Grossteil von Langjahrs Filmen, der seit fast vierzig Jahren mit seiner Partnerin Silvia Haselbeck zusammenarbeitet, ist in der Schweiz angesiedelt, es lohnt, in ihm einen Chronisten und Bewahrer der schweizerischen Kultur zu erkennen. Was ihn vor allem interessiert, beschreibt er im Gespräch selbst so: «Wenn ich studiert hätte, hätte ich Ethnologie studiert. Das Volkskundliche ist das, was mich beschäftigt. Ich versuche die Leute zusammen mit der Landschaft zu erkunden.»
In seinen Filmen erfährt man von Bergbauern, patriotischen Gedenktagen in der Innerschweiz, dörflichen Gasthäusern oder dem Hirtendasein zu Beginn des Jahrtausends. Langjahr filmt Arbeit und das Zusammenwirken von Landschaft und Mensch. Selbstredend stösst er dabei auf Zustände und Veränderungen, die die Existenz bestimmter Gemeinschaften und Landschaften bedrohen. Seine Filme ringen mit der Welt.
In «Ex Voto», seiner über fast sieben Jahre entstandenen Suche nach dem, was das belastete Wort Heimat bedeuten könnte, verbindet er den ethnografischen Blick mit einer inneren Notwendigkeit. Es gehe darum, sagt er, dass es einem wohl sei an einem Ort. Er suche die Gemeinschaft, weil es für ihn wichtig sei, innerhalb einer Gemeinschaft etwas Sinnvolles zu tun. Das alles mache Heimat aus, und das gelte es zu verteidigen.
Dass Langjahr weniger bekannt ist als andere Filmemacher seines Kalibers, liegt letztlich auch an der herrschenden Unterscheidung zwischen Spiel- und Dokumentarfilmen, mit der der Filmemacher selbst wenig anfangen kann: «Spielfilm und Dokumentarfilm unterscheiden sich in diesem Sinne gar nicht. Ich bestimme den Ausschnitt, ich sammle das Material, ich wähle aus, so dass sich eine Erzählstruktur ergibt. Die Wirklichkeit beschenkt einen. Es geht darum, eine Geschichte aus dieser Wirklichkeit zu destillieren.»
Wie viel sich erzählen lässt, beweist unter anderem sein grandioser Film «Männer im Ring» (1990). Darin begleitet er die letzte Männer-Landsgemeinde von Hundwil. Wiederholt zeigt die Kamera die patriarchale Absurdität, aber auch die Schönheit der unzähligen Männer, die auf einer Wiese stehen, um über das zukünftige Frauenstimmrecht abzustimmen. Dazwischen immer wieder Schnitte auf Gesichter von jungen Menschen und Frauen, die das Geschehen am Rand verfolgen. Es gibt keinen Kommentar, der interpretiert, was man sieht. Man muss hinsehen und sich ein eigenes Bild machen.
«Männer im Ring» ist ein identitätspolitischer Film avant la lettre. Aber keiner, der einem Wahrheiten vorkaut, sondern einer, der die Zweifel und Unsicherheiten von Menschen zwischen Tradition und Fortschritt einfängt. Auch wenn der Begriff etwas veraltet scheint, man kann Langjahr als einen grossen Humanisten bezeichnen. Die Menschen sind wichtiger als die Ideen, die es von ihnen gibt. Erschreckend, wie selten das heute geworden ist.
Der Humanismus gilt in besonderer Weise auch für seine zahlreichen Arbeiten mit Berglern, etwa «Sennen-Ballade» oder «Das Erbe der Bergler». In den Filmen erkundet er wie oft ein dem modernen Leben entgegengesetztes Dasein. Indem Langjahr Rituale, Kleidung, Arbeitsweisen, Sprache oder von Umwälzungen bedrohte Landschaften festhält, bewahrt er sie gewissermassen für die Zukunft.
Dabei fällt insbesondere sein Umgang mit der Zeit auf, denn nicht nur entstanden viele von Langjahrs Filmen über lange Zeiträume, sondern er schenkt den Zuschauern und den Menschen vor der Kamera auch die Dauer, die es braucht, um wirklich etwas erkennen zu können. «Wenn ich kurz schneide, dann bleiben die Augen bei einem einzigen Hauptmotiv, dann will ich nur das eine sagen und nichts anderes. Wenn ich aber ein längeres Bild habe, das in sich etwas erzählt, dann kann ich auch mehr sehen. Das kann auch nur der Wind in einer Landschaft sein.»
Der genannte Wind und dessen sinnliche Wirkung im Kino verweisen auch auf einen eher subtilen Strang im Werk des nach wie vor umtriebigen Filmemachers, jenen der Spiritualität. So schliesst er mit seinem neuen Film «Die Tabubrecherin», den er zusammen mit Haselbeck realisierte, an seine Arbeit «Geburt» (2009) an. Begleitet er in letztgenanntem Film eine Schwangerschaft und Geburt aus nächster Nähe, setzt er sich nun mit dem Sterben auseinander.
Der Film begleitet Michèle Bowley, die ehemalige Gesundheitspsychologin des Kantons Zug, auf ihrem letzten Lebensabschnitt. Bis heute schreckt Langjahr also nicht zurück vor den grossen Fragen: Was bedeutet es, zu leben? Wie sollten wir leben? Dass die in seinen Filmen ruhenden Antworten immer wieder neu entdeckt werden können, ist sein grosses Geschenk an uns.
Zum 80. Geburtstag von Erich Langjahr strahlt SRF 1 am 27. April 2024 um 14.10 Uhr den Film «Mein erster Berg» aus.