Unser Falter landet diesmal mitten im Röstigraben: in Freiburg. Dort trägt ihn seine Mission ins Nachtlokal namens «Jo — Bar de Quartier».
Fast könnte hier der Eindruck entstehen, unser Falter orientiere sich bei der Auswahl seiner Tank- und Zapfstellen am Eurovision Song Contest: Sein letzter Nachtflug führte ihn nach Basel, wo im Mai das ESC-Finale stattfindet. Und nun landet er in Freiburg, dem Wohnort der Sängerin Zoë Më, die für die Schweiz am Rheinknie den Titel verteidigen soll.
In Wirklichkeit lockt ein ganz anderer Wettbewerb den Bartester in die Romandie: Die Fachjury der Swiss Bar Awards hat neulich Alessandro Cogoni zum «Barkeeper of the Year» erkoren. Der 34-jährige Italiener arbeitete in Hotelbars von London bis New York, ehe er 2022 mit seiner Familie nach Freiburg zog. Da ist er Teilhaber der «Jo — Bar de Quartier».
Das Jahr ist noch jung und die Nacht noch jünger, als der Falter Cogonis Sieger-Cocktail versuchen möchte. Die Quartierbar, vor fünf Jahren kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie gegründet, protzt nicht mit weltstädtischem Flair. Sie verströmt nachbarschaftliche Nähe in lebendig-entspanntem Ambiente, mit einer geschwungenen Holztheke als Blickfang. Die salbeigrünen Wände schmückt zurzeit, wie der Falter lächelnd registriert, die farbenprächtige Bilderserie «Papillons de nuit» eines ortsansässigen Künstlers.
Die wohlgelaunte Serviceangestellte kommt sofort mit einer Karaffe und schenkt gratis ein: «Déjà un peu d’eau?». Die mitten in den Röstigraben gepflanzte Geburtsstadt von Jean Tinguely, Joseph Deiss, Daniel Vasella und Roger de Weck ist offiziell frankofon, die deutschsprachige Bevölkerung bildet eine Minderheit. Doch der Bahnhof ist seit Jahren zweisprachig beschriftet, und in der Politik streitet man gerade darüber, ob auch das neue Logo der Stadt bilingue sein sollte.
Da lobt sich der Falter nebst der vermittelnden Kraft der Musik — die Songtexte von Zoë Më vereinen Deutsch und Französisch — die universelle Sprache der Cocktailkultur: Die französische Karte in der modern interpretierten American Bar «Jo» prägt ein Italiener mit. Cogoni begeistert sich für die Neurogastronomie, einen jungen Wissenschaftszweig , der Geschmackswahrnehmungen ganzheitlich erfasst. Schliesslich werden diese durch unser Hirn gesteuert, so dass neben allen Sinnen auch Erinnerungen einfliessen.
Optisch bringen die «Jo»-Drinks eine Prise protestantischen Purismus in diese Stadt, die selbst in den Blütezeiten der Reformation ein Bollwerk des Katholizismus blieb: Sie kommen ohne Firlefanz, oft im schlichten Tumbler mit einem grossen Eiswürfel. Umso reichhaltiger ist das Spiel der Infusionen und Aromen im Glas, wo sich etwa Rum mit Apfelsaft oder Tequila mit Olivenöl, Mandeln und Kaffirlimettenblättern vermählt. Im Green Park (Fr. 16.50), einer Adaption des Basil Smash, mischt sich dezent eine Sellerie-Note ein, dem Negroni Rose (Fr. 16.50) mit Lillet Rosé statt Wermuth verleiht der Bergamotte-Likör Italicus einen neckischen Twist.
Und wie schmeckt nun Alessandro Cogonis avantgardistischer Shortdrink East 8th Street, der ihm den Sieg bei den Swiss Bar Awards eintrug, eine Kreation aus Bourbon, Sherry mit Butter-Miso-Infusion, Crème de Banana, Walliser Quittenbrand und Macadamianuss-Sirup? Nun, der Mitarbeiter hinter der Bar bedauert, den gebe es heute nicht, die Zubereitung sei komplex und Alessandro nicht da.
Das ist fast, wie wenn Nemo ein Album ohne den preisgekrönten Song «The Code» vorlegen würde. Aus Frust bestellt der Falter einen mit lauter alkoholfreien Spirituosen zubereiteten, fruchtig-bitteren No-Groni (Fr. 12.50). Dieser ist mit so viel Hingabe zubereitet wie das Original, erreicht aber nicht annähernd dessen Komplexität und Tiefe und sollte sich besser mit Blutorangensaft als mit einem Negroni messen. Im Hintergrund läuft passenderweise «Nutbush City Limits», Tina Turners Song über (Alkohol-)Verbote in ihrem Heimatdorf in Tennessee.
Das mit gotischen Fassaden gesegnete Universitätsstädtchen an der Saane allerdings preist sich zwar Besuchern als «das grösste mittelalterliche Erlebnis der Schweiz» an, ist aber längst in der Moderne angekommen — und scheint sich zu einer Hochburg hiesiger Barkultur zu mausern: Drei Jahre vor Cogoni holte der Franzose Victor Topart vom Freiburger «Crapule Club» den Schweizer Meistertitel. Das ist viel Nachtleben für eine Stadt, die kaum mehr Einwohner zählt als Zürich Altstetten – und einen Viertel so viele wie Nova Friburgo, das Schweizer Auswanderer vor zweihundert Jahren in Brasilien gegründet haben.
Jo – Bar de Quartier
Rue du Criblet 11, 1700 Freiburg
Sonntags und montags geschlossen
Telefon: 026 341 02 01
Der Nachtfalter ist stets unangemeldet und anonym unterwegs und begleicht am Ende stets die Rechnung. Sein Fokus liegt auf Bars in Zürich, mit gelegentlichen Abstechern in andere Städte im In- und Ausland.
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