Der Halbleiterzyklus hat das Tief hinter sich gelassen, und die Schweizer Zulieferer sind aussichtsreich positioniert, um von dem folgenden Aufschwung zu profitieren. Das macht die Wahl für die Investoren allerdings nicht einfacher.
Für die Schweizer Halbleiterzulieferer war 2023 ein schwieriges Jahr. Das gilt vor allem für Comet. Erst sah sich das Unternehmen im vorigen März noch ausserstande, eine vernünftige Jahresprognose abzugeben. Einen Monat später schätzte es für 2023 einen Umsatz von 440 bis 480 Mio. Fr. und eine Marge auf Stufe Ebitda von 13 bis 15%.
Ein Quartal später warnte Comet, es werde wohl nur der untere Rand der Prognosespannen erreicht. Weitere drei Monate später, im Oktober, folgte die nächste Warnung, und das Management reduzierte seine Schätzungen auf einen Umsatz von 380 und 400 Mio. Fr. und eine Ebitda-Marge von 7 bis 9%. Am Ende kam es nicht ganz so schlimm: Comet erzielte 2023 mit 398 Mio. Fr. Umsatz eine Marge von 11,3%. Sie soll in diesem Jahr laut dem Unternehmen auf 15 bis 17% steigen.
Auch VAT musste sich im Laufe des letzten Jahres korrigieren: Anfänglich ging das Management von einer Ebitda-Marge im gewohnten Zielband von 32 bis 37% aus, ab Juli rechnete es mit einem «leicht» tieferen Wert für 2023: Tatsächlich hat eine Marge von 30,6% resultiert. Für 2024 erwartet VAT eine Steigerung, allerdings werde die anhaltende Frankenstärke die Margenerholung «weiterhin erschweren».
Die Ausnahme Inficon
Nur Inficon konnte im vergangenen Jahr seine Prognose erhöhen: Nachdem man anfänglich einen Jahresumsatz zwischen 570 bis 610 Mio. $ vorausgesagt hatte, wurde die Schätzung in zwei Schritten, im Juli und im Oktober, auf 650 bis 670 Mio. $ angehoben. Letztlich hat das Unternehmen 2023 einen Umsatz von 674 Mio. $ erreicht sowie eine Marge auf Stufe Ebit von 20,1%, einen Prozentpunkt über dem prognostizierten Wert. Für dieses Jahr erwartet es eine gleichbleibende Marge um 20% mit 650 bis 700 Mio. $ Umsatz.
Den Hintergrund dieser Entwicklungen bildet der Halbleiterinvestitionszyklus, der sehr starken Schwankungen ausgesetzt ist. Er hat im letzten Jahr ein Tief ausgebildet. Das signalisieren auch die Auftragseingänge, die der Umsatzentwicklung vorlaufen.
Als guter Indikator dient dabei VAT. Der Vakuumventilhersteller hängt besonders stark von der Halbleiterindustrie ab und bestreitet mit ihr um 75% seines Geschäfts. Sein Auftragseingang sank im ersten Quartal 2023 auf ein mehrjähriges Tief und hat sich danach zu erholen begonnen.
Comet hat sich seit Anfang Jahrzehnt nachhaltig verändert. Gemäss Daniel Lenz, Manager des Schroder (CH) Swiss Small & Mid Cap Fund, habe das Unternehmen unter Kevin Crofton, der ab September 2020 zwei Jahre als CEO agierte, die Strategie geschärft: «Der Fokus auf die Halbleiterindustrie ist seither klar verankert.» Rund zwei Drittel des Umsatzes erwirtschaftet es heute mit Kunden aus diesem Bereich.
Inficon hängt weniger stark von der Halbleiterindustrie ab. Rund 45% ihres Umsatzes entfallen auf dieses Kundensegment, schätzt Thomas Buri, der bei der VV Vermögensverwaltung den Cornèr Funds Mid & Small Cap Schweiz leitet. Die breitere Abstützung half dem in der Mess- und Sensorentechnik tätigen Unternehmen im vergangenen Jahr. So konnte es die Schwäche im Halbleitergeschäft mehr als kompensieren, weil in anderen Industrien die Nachfrage nach seinen Lösungen hoch blieb. Andererseits verfügt Inficon über weniger Aufholpotenzial, wenn sich die Erholung im Investitionszyklus der Halbleiterindustrie beschleunigt.
Unternehmen bleiben vorsichtig
Bezüglich der Marktentwicklung hat sich VAT am Dienstag, bei der Jahresabschlusspräsentation, weiterhin zurückhaltend gegeben. Die kontinuierliche Verbesserung des Auftragseingangs in den letzten drei Quartalen über alle Regionen hinweg deute darauf hin, «dass sich der Markt langsam erholt, nachdem er Anfang 2023 seinen Tiefpunkt erreicht hatte».
Doch auch wenn sich die Investitionen in Halbleiterfertigungsanlagen im Laufe von 2024 «allmählich erhöhen» sollten, sieht VAT manche Unsicherheitsfaktoren, darunter das Tempo der Investitionen von China in seine landeseigenen Halbleiterproduktionskapazitäten. Die Ungewissheit zeige sich in der grossen Bandbreite der Wachstumserwartungen von Marktforschungsunternehmen für den Halbleitermarkt.
Die Führung von Comet hat am Montag von einem leichten Aufwärtstrend im Halbleitermarkt zu Beginn von 2024 gesprochen. Er dürfte sich «in der zweiten Jahreshälfte beschleunigen». Aber eine Quelle der Unsicherheit blieben die grossen Herausforderungen, denen sich die Weltwirtschaft gegenübersehe.
Zyklushoch erst 2027?
Fondsmanager Lenz hält fest, dass bereits einige Zulieferer, wie VAT oder die niederländische Besi, für das Schlussquartal 2023 kräftige Zuwachsraten beim Auftragseingang gegenüber dem Vorquartal vermeldeten. Je nach Ausrichtung, zum Beispiel auf das stark zyklische Segment Memory (Speicherchips) oder den relativ stabilen Bereich Logic (Chips für Rechenkapazitäten), sollte der Aufschwung früher oder später für alle Ausrüster deutlich spürbar sein, sagt Lenz: «Wir erwarten, dass 2024 ein Übergangsjahr mit wachsenden Auftragseingängen und 2025 ein sehr gutes Jahr mit starkem Gewinnwachstum sein wird.» Ob dann bereits das nächste Hoch erreicht sein werde oder der Zyklus noch länger anhalte, hänge von der Entwicklung der einzelnen Endmärkte und der Konjunktur generell ab.
Urs Beck, Fondsmanager bei der Privatbankgruppe EFG, verweist auf das Management von Comet. Es habe am Capital Markets Day im vergangenen November die Annahme geäussert, dass der laufende Halbleiterzyklus sein Hoch erst 2027 erreichen könnte.
Die Qualitätsrangfolge: VAT top
Die Frage lautet, welchem der drei Schweizer Halbleiteraktien das grösste Kurspotenzial einzuräumen ist. Einig sind sich die befragten Fondsmanager, was die Rangfolge hinsichtlich der Qualität der Unternehmen betrifft. An erster Stelle sehen sie klar VAT. Der Hersteller von Vakuumventilen, unerlässliche Kernkomponenten für die Fertigung von Halbleitern, hält in diesem Kundensegment mit einem Marktanteil um die 70% eine dominante Stellung.
An zweiter Stelle steht Inficon, ein Anbieter von innovativer Messtechnik, Sensortechnologie für kritische Prozesse und Prozesssteuerungssoftware zur Qualitäts- und Produktivitätssteigerung von Vakuumverfahren. Er sei ebenfalls gut positioniert, allerdings auch stärker in Bereichen ausserhalb der Halbleiterindustrie tätig, sagt Lenz von Schroders.
Buri hebt hervor, dass Inficon als einziger der drei Halbleiterzulieferer im vergangenen Jahr die Prognosen erhöhen konnte, und schätzt am Unternehmen, dass es in den vergangenen zwanzig Jahren stetig gewachsen sei und sich ebenso stetig verbessert habe.
Comet als Nachzügler
An dritter Stelle der Qualitätsrangfolge folgt – aus Sicht von Buri mit einigem Abstand – die Comet Gruppe. Sie ist zum einen in der Röntgentechnologie tätig und liefert zum anderen mit ihrer grössten Division Plasma Control Technologies Hochfrequenztechnologie zur Qualitätskontrolle vorab bei komplexen Chips. Laut Lenz hat die Gruppe im Vergleich in den letzten zwanzig Jahren «sicherlich am wenigsten aus ihrer Marktpositionierung herausgeholt». Sie habe sich immer wieder verzettelt, und es sei viel in neue Bereiche investiert worden, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört hätten. «Aber dies hat sich aus unserer Sicht eben klar geändert», so Lenz.
Die Qualitätsrangfolge bei diesen drei Halbleiterzulieferern wird durch einen Blick auf die Margen bestätigt: VAT gab 2022 für den Fünfjahreszeitraum bis 2027 eine Ebitda-Marge im Korridor von 32 bis 37% als Ziel vor – das liess sich im schwierigen letzten Jahr nicht erreichen, aber es resultierte immer noch ein Wert über 30%.
Inficon erzielte im vergangenen Jahr mit 21,7% eine annähernd doppelt so hohe Ebitda-Marge wie die Comet Gruppe, die aber immerhin im November am Capital Markets Day die Erwartung geäussert hatte, auf dem Höhepunkt des nächsten Halbleiterzyklus eine Marge von 25 bis 30% zu erzielen.
Bewertungsvergleich
Die Qualität eines Unternehmens entscheidet aber nur bedingt über das Kurspotenzial seiner Aktie. Denn gerade bei den Halbleiterzulieferern gilt es auch, auf die Bewertungen zu schauen: Gemessen am geschätzten Gewinn für 2024 werden die Aktien von VAT zu einem zwölf Monate vorwärtsrollierenden Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 54 gehandelt – das heisst, sie sind sehr teuer und nehmen viel von einem Aufschwung bereits vorweg. Die Titel von Comet scheinen mit einem KGV 2024 von 49 ebenfalls überaus teuer zu sein. Von der Börse deutlich am günstigsten bewertet wird Inficon mit einem KGV 2024 von 32.
Vor diesem Hintergrund fällt das Anlageurteil der Fondsmanager nicht einheitlich aus: Lenz hält im Schroder (CH) Swiss Small & Mid Cap Fund eine Position in Comet, ist in VAT und Inficon dagegen nicht investiert. Gleich hält es Beck: In dem von ihm geführten New Capital Swiss Select Equity Fund ist Comet mit einem Anteil von knapp 4% zurzeit die drittgrösste Position. Buri setzt mit dem Cornèr Funds Mid & Small Cap Schweiz dagegen auf Inficon und VAT, während er Comet meidet.
Kaufargumente für Comet
Beck führt zwei Hauptargumente zugunsten von Comet an. Erstens sei die Marge der Gruppe 2023 besonders stark und tief gefallen, somit würde eine Rückkehr zu den angestrebten Margen im Zyklushoch besonders eindrücklich aussehen. Zweitens könne etwa VAT den Umsatz nur proportional zum Wachstum des Halbleitermarkts erhöhen, während Comet dank eines neuen Produkts, dem RF-Generator, einen zusätzlichen Wachstumstrumpf ausspielen könne.
Die Hochfrequenzsystemlösungen von Comet steuern kritische Plasmaprozesse innerhalb der Herstellung von Halbleitern und anderen Bausteinen der digitalen Welt. Matchboxen dienen dabei zur Stabilisierung des Plasmas; bei diesen Regelgeräten hält Comet einen Marktanteil um 40%. Die neu entwickelten RF-Generatoren dienen, als Herzstück der Stromversorgung, zur Plasmaanregung: Mit ihnen erschliesst sich das Unternehmen einen Milliardenmarkt. Seine ersten Kunden dafür sollen laut Marktgerüchten Applied Materials und Lam Research sein, beides Tier-1-Zulieferer der Halbleiterhersteller.
RF-Generator regt Fantasie an
Analysten rechnen damit, dass Comet bis zum nächsten Zyklushoch mit ihren RF-Generatoren einen Marktanteil bis 10% erreichen könne. Längerfristig ist die Fantasie, dass er wie bei den Matchboxen auf 40% steigen werde.
Der RF-Generator, die Matchbox und die darin enthaltenen Vakuumkondensatoren bilden die Kernstücke eines HF-Systems zur Plasmakontrolle. Comet bietet sie nun aus einer Hand unter dem Produktnamen Synertia an. Auch Lenz sieht in diesem neuen Produkt, für das er in den nächsten Jahren «ein sehr gutes Wachstum» erwartet, ein wichtiges Argument zugunsten von Comet. Zudem werde das Unternehmen überdurchschnittlich vom Aufschwung der Investitionen in Speicherchips profitieren, die sich in diesem Zyklus zuerst erholen dürften.
Viele Wechsel im Topmanagement
Buri von der VV Vermögensverwaltung stösst sich an den vielen Wechseln im Management von Comet. Tatsächlich sind alle acht Mitglieder der Geschäftsleitung seit weniger als zwei Jahren in ihrem heutigen Amt.
CEO Stephan Haferl löste per September 2022 den überraschend abgetretenen Kevin Crofton ab. Wie es heisst, sei Haferl (zu) selbstbewusst gestartet, aber nach den letztjährigen Gewinnwarnungen zurückhaltender geworden. Daneben hat Nicola Rotondo das Amt als CFO von der im letzten August abgetretenen Lisa Pataki lediglich ad interim übernommen.
Wie Buri meint, würden neue Entscheidungsträger auch immer andere Vorstellungen in das Unternehmen einbringen. Für den Fondsmanager ist die Unruhe in Comets Management allein Grund genug, um von einem Engagement in diesen Aktien abzusehen.
Managementwechsel als Risiko
Ein Wechsel der operativen Führung sei immer mit einem gewissen Risiko verbunden, bestätigt Lenz. Der Schroders-Fondsmanager sieht bisher aber «keine Anzeichen», dass die von Crofton ab 2020 eingeschlagene Strategie mit dem Fokus auf die Halbleiterindustrie unter Haferl nicht fortgesetzt werde. Ein Garant für Kontinuität ist wohl Heinz Kundert, der in einer Kampfwahl 2019 zum Verwaltungsratspräsidenten von Comet bestimmt wurde: Er war früher CEO von VAT und ist ein Veteran der Halbleiterbranche.
Festzuhalten bleibt, dass auch die anderen beiden Halbleiterzulieferer in jüngster Zeit Wechsel an der Spitze gesehen haben: VAT hat Urs Gantner per Anfang dieses Januars zum CEO ernannt, als Nachfolger des angesehenen Mike Allison. Bei Inficon trat Lukas Winkler auf Anfang 2023 als CEO ab. Er hatte das Unternehmen fast zwei Jahrzehnte lang mit Erfolg geführt und geprägt, im letzten März wurde er in den Verwaltungsrat berufen. Wie VAT und Comet fand auch Inficon intern einen Nachfolger für das Amt als CEO: Dabei hat Oliver Wyrsch, auch wenn sein Vorgänger Winkler die Messlatte hoch legte, den besten Start erwischt. In seinem ersten Amtsjahr erreichte Inficon neue Rekordmarken.
Lieber mehr Kontinuität
Buri, der jeweils ein besonderes Augenmerk auf die Qualitäten des Managements legt, setzt weiterhin Vertrauen in die Führungen von Inficon und VAT. Er schätzt es, dass jeweils eine interne Nachfolgelösung für die Topposition gefunden wurde: Das sorge für eine gewisse Kontinuität. An Inficon gefällt ihm insbesondere auch die verlässliche Geschäftsentwicklung. Das Unternehmen sei aufgrund der breiteren Diversifizierung der Produkte und Märkte weniger zyklisch als VAT und insbesondere Comet.
The Market zieht das Fazit, dass VAT unter Anlegern einen hervorragenden Ruf geniesst. Die längst erkannten Qualitäten des Unternehmens spiegeln sich aber in der hohen Bewertung der Aktien, weshalb manche Profiinvestoren gegenüber einem Engagement zurückhaltend geworden sind.
Inficon bietet ebenfalls hohe Qualität, und ihre Aktien sind tiefer bewertet. Andererseits wird das Unternehmen weniger stark vom Aufschwung der Halbleiterbranche profitieren. Comet verheisst das grösste Aufholpotenzial, birgt allerdings auch die grössten Risiken unter den drei Schweizer Halbleiterzulieferern.